Zeitachse frühgeschichtlicher Werkzeuge wird korrigiert
An der Newcastle University im Vereinigten Königreich haben EU-finanzierte Forscherinnen und Forscher eine neue Zeitachse für Kupferwerkzeuge und -waffen aus der Jungsteinzeit und der Kupferzeit entwickelt, indem sie deren komplexe technische Vorgeschichte vom Gießen bis zur Ablagerung im Boden untersuchten. „Das Projekt hat unsere Sichtweise auf die Entwicklung der Technik im Lauf der Frühgeschichte verändert“, sagte Projektkoordinator Dr. Andrea Dolfini von TEMPI. Neues Klassifizierungsschema Die Klassifikationssysteme der Metallverarbeitung sind für die Archäologen sehr wichtig, da sie dazu dienen, die Phasen der europäischen Vorgeschichte zu datieren. Im Rahmen des TEMPI-Projekts wurde erstmals ein Ansatz entwickelt, der die Tatsache berücksichtigte, dass Werkzeuge und Waffen aus Jung- und Kupfersteinzeit im Verlauf ihres Arbeitslebens oftmals eine Reihe von Veränderungen durchlebten. Vorherige Schemata betrachteten die Werkzeuge ausnahmslos als festgelegt und unveränderlich. Werkzeuge aus Kupfer können jedoch jetzt heute ganz anders aussehen als sie ursprünglich angefertigt wurden. Beispielsweise kann ein Axtkopf oder ein Dolch mehrmals geschärft worden sein, wodurch das Artefakt kleiner wurde. Abänderungen traten oftmals kumulativ ein und knüpften an früheren Veränderungen an, um im Ergebnis das Objekt so zu hinterlassen, wie es und in der Gegenwart vorliegt. Die Konsequenzen der Forschung für die Chronologie der europäischen Metallverarbeitung in der Frühzeit könnten recht tiefgreifend sein. Objekte werden von der Archäologenschaft oft nach Form klassifiziert. Finden die Forscher jedoch heraus, dass die Archäologen Objekte Gruppen zugeordnet haben, die zwar heute ähnlich geformt sind, aber ursprünglich ganz anders aussahen, so könnten diese Resultate das aktuelle Verständnis prähistorischer Metallarbeiten komplett auf den Kopf stellen. Die endgültige Form eines Objekts kann durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Dazu zählen die Fertigkeiten des an ihm arbeitenden Schmieds, ob es nach dem Gießen umgestaltet wurde, und wie sehr es im Lauf der Zeit verschlissen ist. Keine Briefmarken, die auf's Sortieren warten „Im Großen und Ganzen kann diese Studie den Archäologen klarmachen, dass antike Metallartefakte keine Briefmarken sind, die nur darauf warten, sortiert und gesammelt zu werden. In der Vergangenheit hat man zu oft in diesen Bahnen gedacht. Sie sind aber vielmehr das Ergebnis komplexer technischer Prozesse und gesellschaftlich bestimmter Handwerkstraditionen“, erläuterte Dr. Cristiano Iaia, der an diesem Projekt arbeitende Marie Skłodowska-Curie-Stipendiat. In früheren Tagen vermuteten die Archäologen oftmals, dass die technologische Entwicklung in der Jungsteinzeit einem linearen Muster folgte. Die TEMPI-Forscherinnen und Forscher sind jedoch der Meinung, dass man dabei den komplexen Charakter von Neuerungen außer Acht gelassen hat. „Die vorherrschende Denkweise besagt, dass sich Technik mit der Zeit linear weiterentwickelt - Historiker, Archäologen und Anthropologen, die sich mit technischen Fragen beschäftigen, sind sich jedoch darüber im Klaren, dass das Bild viel komplizierter ist“, bekräftigte Dr. Dolfini. „Der allgemeine Trend über die Jahrhunderte könnte eine Aufwärtskurve darstellen, aber die gesellschaftlichen Realitäten vor Ort sind weitaus komplexer, da Innovationen oft sprunghaft voranschreiten. Unser Projekt hat gezeigt, dass die europäische Metallurgie der Frühzeit keine Ausnahme darstellt.“ Verschleißanalyse an Metallarbeiten Dem Projekt gelang die erfolgreiche Einführung einer fundierten Methodik zur Untersuchung der technischen Vorgeschichte von Objekten auf Grundlage der Verschleißanalyse, eines optischen Mikroskopieverfahrens. Eine Verschleißanalyse dient Archäologen oft dazu festzustellen, auf welche Weise man prähistorische Objekte verwendete. Das Projekt hat jedoch ergeben, dass diese Methode gleichermaßen die Art und Weise der Herstellung sowie deren Beschaffenheit und Umwandlungsgrad im Laufe der Zeit durch Umgestaltung und Gebrauch aufzeigen kann. Zu den nächsten Schritten der Forscher zählen die Analyse von Fehlern in technischen Neuerungen und der gesellschaftlichen Dynamik von antiken Metallartefakten in Form geschichteter Archive über Produktion und Gebrauch. Hierbei könnte der Einsatz ergänzender Analyseverfahren wie etwa Metallografie und Neutronenbeugungsanalyse erforderlich sein.
Schlüsselbegriffe
TEMPI, Metallverarbeitung, Kupferzeit, Kupfersteinzeit, Neolithikum, Jungsteinzeit, Chronologie, Metallurgie, Klassifizierung, frühe italienische Metallverarbeitung