Visuelle Analyse sorgt für clevere polizeiliche Aufklärung
Big Data, d. h. schwindelerregende Mengen von Informationen, die aus verschiedenen Quellen herbeiströmen, und der fehlende Blickwinkel auf diese Quellen bedeuten, dass es wirklich schwierig ist, in dringenden Situationen die Bedeutung von Informationen herauszufinden. Wie Andrew Parker, Generaldirektor des britischen MI5, einmal erklärte, „verfügen wir immer nur über Bruchstücke von Informationen, und wir müssen versuchen, aus diesen Bruchstücken ein Bild von dem zu erstellen, was passieren könnte.“ Dieses Problem trat mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zutage und ist bis heute im Zusammenhang mit den jüngsten Angriffen Gegenstand von Untersuchungen. Nun zeichnet sich jedoch eine Lösung ab. Das Konsortium des Projekts VALCRI (Visual Analytics for Sense-making in CRiminal Intelligence analysis) steht in den letzten Entwicklungsphasen eines auf visueller Analytik und kognitivem Engineering basierenden Analysesystems für polizeiliche Aufklärung. „Der Cognitive-Engineering-Ansatz gewährte uns Einblicke in das Denken anstatt nur in die Arbeit der Analysten“, erklärt Professor William Wong, VALCRI-Koordinator. „Die Idee besteht darin, für jede Aufgabe die richtigen Ressourcen zu finden: Menschen zum Denken und zum Finden des Sinns bei Mehrdeutigkeiten und Maschinen für das Erledigen des Hauptteils der Arbeit, der darin besteht, Millionen von Aufzeichnungen zu durchsuchen, die über viele verschiedene Datenbanken verteilt sind, und semantisch ähnliche Informationen innerhalb desselben Sichtfelds zu präsentieren.“ Im Einzelnen umfasst kognitives Engineering einen Arbeitsbereich, der in drei Teile aufgeteilt ist: den Data Space, einen Datenraum, der es dem Analysten ermöglicht zu sehen, welche Daten vorhanden sind und wie sie in Beziehung zueinander stehen, den Analysis Space, einen Analyseraum zur Durchführung verschiedener Berechnungen, um Trends, Muster, Zusammenhänge und weitere signifikante Verhaltensweisen zu verstehen, und den Hypothesis Space, einen Hypothesenraum, in dem der Analyst die Daten zuordnet, zusammensetzt sowie Hypothesen und Argumente formuliert, die wissenschaftlich geprüft werden können. Letzteres, genannt Storytelling, ist besonders wichtig. Professor Wong vergleicht es mit Archäologie: „Archäologen betrachten Bruchstücke zerbrochener Töpferwaren und anderer Funde und konstruieren dann anhand ihres Wissens über die Geschichte der Zeit Narrative, die erklären, wie die Gesellschaft damals ausgesehen hat.“ Unterstützung für Analytiker naht Um den Analysten Hilfestellung zu geben, untersuchte das VALCRI-Team, auf welche Weise sie denken und arbeiten. Man identifizierte schnell das Auffinden und Zusammenfügen von in Verbindung stehenden oder relevanten Informationen als ein Hauptproblem. „Im Falle eines einfachen Verbrechens müssen verschiedene Datenbanken manuell nach derartigen Informationen durchsucht werden, wofür schätzungsweise 73 separate SQL-Abfragen erforderlich sind. Und das kann drei bis fünf Tage dauern“, berichtet Professor Wong. Mit Hilfe von VALCRI kann dieser Vorgang mit einem einzigen Klick ausgeführt werden. In dem System kommen speziell dafür vorgesehene Engines zum Einsatz, um Ähnlichkeiten zu identifizieren. Es werden assoziative Suchen durchgeführt sowie Berichte aus demselben Bereich und Zeitraum, aber nicht unbedingt über dieselbe Art von Kriminalität, aufgezeigt. VALCRI sucht sogar nach möglichen Zusammenhängen zwischen scheinbar zusammenhanglosen Daten, um gelöste und ungelöste Verbrechen zu vergleichen, was sich als äußerst nützlich erweisen kann, um schnell eine Liste potenzieller Verdächtiger zu erstellen. Alle Aspekte von VALCRI wurden im Hinblick auf Nutzerfreundlichkeit und Effizienz entwickelt. Die Interaktionsgestaltung beispielsweise beruht auf taktiler Logik – der direkten Manipulation von Informationsobjekten in der Benutzeroberfläche. Professor Wong erklärt: „Wir gehen davon aus, dass Bedeutungen oder Zusammenhänge besser erkannt werden können, wenn man eine Menge an Informationen präsentiert bekommt, die visuell-räumlich frei bewegt, gruppiert und neu angeordnet werden können.“ Die Analysten von der Polizei, die VALCRI testen konnten, waren von diesem Erscheinungsbild beeindruckt und bekundeten, dass es ihnen eine Hilfe dabei war, den analytischen Prozess zu entwickeln und den Überblick darüber zu behalten, während sie den Status verfolgten, Versäumnisse aufdeckten und die verbleibenden Aufgaben identifizierten. VALCRI legt außerdem Wert auf Datenschutz. Die Sicherheitssoftware für die Datenzugriffskontrolle gibt vor, welche Gesichter ein Benutzer sehen oder nicht sehen kann, während die Videoanonymisierung die anderen Gesichter verwischt. Das Konsortium löste tatsächlich ein bei sicherheitsrelevanten Projekten häufig anzutreffendes Problem: den Mangel an realistischen Daten. „Wir haben die anonymisierten Daten auf Grundlage von mehr als 1,5 Millionen echten Aufzeichnungen von einem unserer Polizeipartner entwickelt“, berichtet Professor Wong. Der Datensatz wird momentan validiert und falls sich herausstellen sollte, dass ein Deanonymisieren unmöglich ist, wird er für die wissenschaftliche Gemeinschaft freigegeben. Bis Ende Juni wollen Professor Wong und sein Team ein integriertes multifunktionelles System mit Technologie-Reifegrad 5 vorlegen. Der VALCRI-Prototyp ist gegenwärtig in den Räumlichkeiten der Polizeipartner des Projekts im Einsatz. „Die derzeitigen Anstrengungen konzentrieren sich darauf, eine genaue Aufnahme der Daten sicherzustellen. Wenn es Zeit und Ressourcen erlauben, hoffen wir, die Möglichkeiten von VALCRI anhand der Aufklärung echter Verbrechensfälle vorführen zu können“, erläutert Professor Wong.
Schlüsselbegriffe
VALCRI, Datenvisualisierung, Kriminalprävention, Verbrechensaufklärung, Polizeianalytiker, visuelle Analytik, polizeiliche Aufklärung, Kriminalität, Straftat, Verbrechen, kognitives Engineering, Storytelling