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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Reale Ergebnisse des Investitionsabbaus bei sozialen Dienstleistungen

Fünf Jahre, nachdem die EU-Kommission das so genannte Sozialinvestitionspaket (SIP) angenommen hat, zeigt sich, dass es Bedürftigen nur bedingt zugute kommt. Nun beschäftigte sich ein EU-finanziertes Forschungskonsortium noch einmal mit dem Konzept, um zu beurteilen, ob und wie politische Entscheidungsträger eine Kurskorrektur vornehmen können, und mit der Forschungsarbeit die philosophischen, institutionellen und empirischen Grundlagen für Sozialinvestitionen in Europa zu stärken.

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Rückblickend stellt sich das SIP, insbesondere nach fünf Jahren der Krise, die sich durch immer neue Sparmaßnahmen weiter zuspitzte, als ehrgeiziger Versuch dar, die Sozialpolitik zu reformieren. Das SIP war der Auftakt für eine neue Debatte, die auf die Legitimierung von Sozialausgaben abzielte und deren produktiven Wert betont: hohe ökonomische Renditen durch soziale Dienstleistungen wie frühkindliche Bildung, Gesundheitsfürsorge, sozialen Wohnungsbau, aktive Arbeitsmarktpolitik, Sicherung des Lebensstandards und wirtschaftliche Stabilisierung in Krisenzeiten. Tatsächlich jedoch wurde mit dem Paket nur die Hälfte der ehrgeizigen Ziele erreicht. Um künftige Strategien zu verbessern, enthüllte das Projekt Re-InVEST (Rebuilding an Inclusive, Value-based Europe of Solidarity and Trust through Social Investments), wie nachteilig sich der Abbau von sozialen Dienstleistungen in Krisenzeiten langfristig auswirkt. Zudem sollten Rahmenbedingungen und Grundvoraussetzungen für eine echte soziale Investitionsstrategie identifiziert werden. Würden Sie im Rückblick überhaupt von einem positiven Effekt des SIP auf die Förderung von Sozialinvestitionen sprechen? Ides Nicaise: Dieser Effekt ist eher symbolisch zu sehen. Sicher trug dies dazu bei, die negativen Folgen der Sparpolitik in den europäischen Wohlfahrtsstaaten abzumildern und die Effizienzdebatte in den Bereichen soziale Absicherung, Gesundheitsfürsorge usw. anzukurbeln. Jedoch ist die Wirkung des SIP durch die dauernde Forderung nach „Haushaltskonsolidierung“ verloren gegangen. Immer mehr wurde sogar vermutet, dass Sozialpolitik für eine neoliberale Wirtschaftsagenda missbraucht wurde. Die neuen Schlagwörter waren nun Selektivität, Effizienz, Rentabilität und Privatisierung – was zu Lasten von Gerechtigkeit, Grundrechten und sozialen Mindeststandards ging. Kaum verwunderlich ist daher, dass die Juncker-Kommission eine andere Vorzeigeinitiative für ihre Sozialpolitik suchte: die Europäische Säule sozialer Rechte. Zwar will ich nicht sagen, dass sich diese beiden Rahmenregelungen konterkarieren, allerdings findet das SIP in den Grundsatzdokumenten der EU über die letzten drei Jahre kaum Erwähnung. Demnach war das SIP zum Scheitern verurteilt? Untergraben werden konnte es nur durch die Diskrepanz zwischen makroökonomisch-politischem Kontext und der Debatte über soziale Investitionen. Man darf nicht ständig Sozialinvestitionen fordern, ohne den Mitgliedstaaten nicht wenigstens Möglichkeiten aufzuzeigen, die Mittel dafür aufzubringen. Das von der EU vorgesehene Budget von 1 % des europäischen BIP kann nur marginal dazu beitragen. Letztlich bleibt nur die Hoffnung, dass eine nachhaltige Erholung mehr Raum für echte soziale Investitionen in den Mitgliedstaaten schafft. Aber auch beim Juncker-Investitionsfonds, der diese Erholung eigentlich forcieren sollte, stand nur die bisherige ökonomische Infrastruktur im Mittelpunkt. Soziale Investitionen hingegen wurden weitgehend außen vor gelassen. Wie sollte dieser Entwicklung Ihrer Meinung nach gegengesteuert werden? Zunächst haben wir auf die enormen nachteiligen Folgen des Abbaus von sozialen Dienstleistungen für die Menschen in den Krisenjahren hingewiesen. Die landläufige Meinung ist, dass es reicht, bei Kürzungen von Sozialausgaben vorübergehend den Gürtel enger zu schnallen. Mitunter könne dies sogar die Bereitschaft fördern, Arbeit aufzunehmen. An der Basis sieht die Realität jedoch ganz anders aus. Die 13 vor Ort recherchierenden Teams von Re-InVEST dokumentierten mehrere Monate lang, was diese Sparmaßnahmen langfristig im Leben der Bedürftigsten anrichten, einschließlich der oft irreparablen Folgeschäden: Neugeborene, die in ausgekühlten Wohnungen schlafen, chronisch Kranke, die wegen unbezahlbaren Medikamenten die Behandlung abbrechen, bankrotte Eltern, die auf Arbeitssuche ins Ausland gehen und ihre Kinder zurücklassen, Familien, die zerbrechen, eine Selbstmordrate, die in die Höhe schießt usw. Während Sozialinvestitionen einen spürbaren langfristigen Effekt haben, wirkt sich im Gegenzug der brutale Abbau von Sozialausgaben verheerend auf das Leben der Menschen aus. Aus dieser Erfahrung müssen Lehren gezogen werden. Bei sozialen Investitionen muss die Wahrung der Menschenrechte im Vordergrund stehen. Die EU sollte soziale Mindeststandards in allen relevanten Dienstleistungssektoren unterstützen, und Regierungen müssen Rechenschaft ablegen, sobald sie ihre Sparpolitik überstrapazieren. In den weiteren Forschungsabschnitten untersuchten wir, was gesunde soziale Investitionsstrategien in verschiedenen Politikbereichen ausmacht: soziale Absicherung, Arbeitsmarktpolitik, frühkindliche Bildung, sozialer Wohnungsbau, Gesundheitsfürsorge, Wasserversorgung und finanzielle Unterstützung. Was waren bislang Ihre wichtigsten Erkenntnisse? Zwar geht unsere Forschungsarbeit noch weiter, aber lassen Sie mich einige Beispiele nennen: In unserer Studie zur Arbeitsmarktpolitik untersuchten drei Teams Aktivierungsmaßnahmen für junge Menschen. Dies lieferte uns Ansatzpunkte für die im SIP konzipierte Beschäftigungsinitiative für junge Menschen „Jugendgarantie“. In Portugal waren die Ressourcen des Programms sehr unzureichend, sodass sich junge Arbeitsuchende durch minderwertige Maßnahmen seitens überlasteter Arbeitsvermittlungen nur im Kreis drehten, statt in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Die Jugendlichen wurden nicht einmal darüber informiert, dass es ein „Garantieprogramm“ gibt, und diejenigen, die einen Arbeitsplatz fanden, konnten aus der Armut nicht herauskommen. In Frankreich war man erfolgreicher, da die Aktivierungsprogramme lokalen NRO überantwortet wurden, die ihre Zielgruppe besser kannten. In der Schweiz analysierten wir den Erfolg von „Scène Active“, einem Experiment, das auf dem so genannten Fähigkeiten-Ansatz basierte: dabei wurden Persönlichkeitstraining und Verbesserung von Fähigkeiten kombiniert, und wichtig war vor allem das freie Engagement der Jugendlichen. Wie die Beispiele zeigen, können Universalprogramme nachteilige Effekte haben. Und obwohl langfristige, maßgeschneiderte Programme naturgemäß teurer sind, sind auch die Nettorenditen deutlich höher. Ein anderes Beispiel war die Wasserversorgung in Flandern. Die jetzige flämische Regierung reformierte den Markt nach strengen ökologischen Kriterien: man investierte in die Abwasserwirtschaft und Aufbereitung und erhöhte die Preise, um einerseits öffentliche Investitionen zu fördern, andererseits zu sparsamem Wasserverbrauch anzuregen. Allerdings wurden die bereits bestehende unentgeltliche Mindestversorgung wie auch die Sozialtarife abgeschafft. Der Dienst zur Bekämpfung von Armut und Samenlevingsopbouw investierten in den Aufbau von Kapazitäten und Informationsveranstaltungen für Gruppen bedürftiger Haushalte, um anschließend mit Anbietern und der Regierung in Verhandlungen zu treten. Wie Berichte über „wasserarme“ Haushalte zeigten, kann ein Markt ohne soziale Korrekturen grundlegende Menschenrechte einschränken. Dann wurde ein neuer Sozialtarif eingeführt und ein Leitfaden mit bewährten Verfahren entwickelt, um ein Abrutschen zu verhindern und soziale Verantwortung bei allen Interessengruppen zu fördern. Wie lauten Ihre Empfehlungen? Vor allem müssen aus der Krise entsprechende Lehren gezogen werden. Sparmaßnahmen sollten immer nur dann erlaubt sein, wenn die Menschenrechtsgrundsätze nicht gefährdet sind: konkret heißt das, jeder Kürzung der Sozialausgaben sollte eine soziale Folgenabschätzung vorausgehen, und immer dann, wenn die Grundrechte Bedürftiger gefährdet sind, müssen Maßnahmen zur Abmilderung getroffen oder die Sparmaßnahmen ganz zurückgezogen werden. Zweitens muss der konzeptionelle Rahmen des SIP neben dem Ansatz „Humankapital“ auch den Ansatz „Menschenrechte und Fähigkeiten“ umfassen. Grundlegende Menschenrechte (auf Gesundheit, Bildung, Familienleben, soziale Teilhabe usw.) sind von unschätzbarem Wert und haben daher in der objektiven Zielstellung des SIP oberste Priorität. Drittens muss ein umfangreiches Sozialinvestitionsprogramms finanziert werden können, und hierfür lässt die noch immer dominierende Haushalts- und Währungskonsolidierung zu wenig Raum. Eine einfache Lösung wäre die Erhöhung der öffentlichen Einnahmen. Europa ist mehr als reich genug, um mit öffentlichen Mitteln ein ehrgeiziges SIP finanzieren zu können. Voraussetzung hierfür ist aber eine koordinierte und faire Finanzpolitik.

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