Neue Wirkstofftransporter gegen Resistenzen bei Neuroblastomen
Medikamentenresistenzen treten als zunehmendes Problem zutage, das medikamentöse Therapien von Antibiotika bis hin zu Krebsmedikamenten unwirksam macht. Forscher wollten dieses Phänomen nun bei Kindern angehen, die mit Neuroblastom, einer Tumorerkrankung des peripheren Nervensystems, diagnostiziert wurden. Das Neuroblastom ist die häufigste Form solider Tumoren bei Kindern und verantwortlich für 15 % aller Todesfälle bei unter 15-Jährigen, wobei nur 30 % die Stufe 4 (Metastasierung) überleben. Diese schlechten Erfolgsquoten lassen sich leicht erklären. Für die Behandlung eines Neuroblastoms sind komplexe Therapien nötig, gegen die sich rasch Resistenzen entwickeln können. Man geht davon aus, dass diese Resistenzen auf die biologischen Eigenschaften der betroffenen Zellen zurückgehen, möglicherweise aber auch auf eine unzureichende Wirkstoffpenetration. Dieser Vermutung gehen nun Dr. Jaume Mora und Dr. Angel Montero-Carcaboso vom Hospital Sant Joan de Déu im Rahmen der EU-finanzierten Marie-Curie-Maßnahme NEUROBLASTOM CHEMO (Chemotherapy of neuroblastoma) nach. Das vierjährige, im vergangenen Monat abgeschlossene Projekt sollte pharmakologische Ansätze entwickeln, um einige der bekannten Mechanismen für Arzneimittelresistenzen außer Kraft zu setzen und Tumorzellen durchlässiger für den Wirkstoff zu machen. Trotz unerwarteter Hürden gelang dem Team die Entwicklung eines neuen Medikamentenabgabesystems, bestehend aus biokompatiblen Polymernanofasern und Arzneimittelcontainern. Die Projektergebnisse sollen nun in diesem exklusiven Interview mit dem Magazin research*eu Ergebnisse enthüllt und künftige Forschungsrichtungen erörtert werden. Was sind die Hauptziele des Projekts? Dr. Angel Montero-Carcaboso: Unsere Forschungsarbeit sollte mehrere Fragen rund um die Pharmakologie des Neuroblastoms klären, eines aggressiven soliden Tumors im Kindesalter. Die erste Frage betraf eine möglicherweise schlechtere Verteilung des Krebsmedikaments bei aggressiveren Neuroblastomen. So entwickelten wir eine Kombination aus Mikrodialyse und Homogenattechnik zur Bestimmung freier Arzneistoffe im Tumor an PDX-Mausmodellen (Patient-derived xenografts), die am Hospital Sant Joan de Déu (HSJD) in Barcelona generiert worden waren. Außerdem wollten wir untersuchen, ob sich rezidivierende Tumoren nach klinischer Therapie zum so genannten „drug-impenetrable“ (wirkstoffresistenten) Phänotypen entwickeln. Um diesen Aspekt zu klären, generierten wir PDX mit Tumorgewebe des gleichen Patienten in verschiedenen Behandlungsstadien (Diagnose und Rezidiv) und wandten die genannten Techniken an. Die dritte Aufgabe, die sich uns stellte, war die Entwicklung neuer Wirkstofftransportsysteme (drug-delivery systems, DDS), die die Wirkstoffpenetration in stark chemoresistenten Tumoren verbessern. Dr. Jaume Mora: Das strategische Ziel bestand vor allem darin, an der Gasteinrichtung, dem Hospital Sant Joan de Déu in Barcelona, ein Labor für translationale Krebsforschung an pädiatrischen soliden Tumoren einzurichten, das sich präklinischen Studien zur Verbesserung der Therapie solcher Tumoren bei Kindern widmet. Was sind die Hauptgründe für das Versagen derzeitiger Therapien? JM: Pädiatrische Tumoren, d. h. Krebserkrankungen im Kindesalter, sprechen normalerweise sehr gut auf konventionelle Chemotherapeutika an, bei 20 bis 30 % der Fälle versagt jedoch die Therapie. Dazu gehören Subtypen wie etwa Tumoren des zentralen Nervensystems, Rezidive oder metastasierte Tumoren. Ein Therapieversagen bei diesen Patienten geht in erster Linie auf Arzneimittelresistenzen zurück, da viele Tumoren anfänglich gut auf Chemotherapien reagieren, sich dann aber als unheilbar herausstellen. Mehrere Faktoren, vermutet man, befördern Mehrfachresistenzen bei Neuroblastomen. So bewirkt offenbar ein Funktionsverlust des Gatekeeper-Proteins p53, dass Neuroblastomzellen einen mehrfachresistenten Phänotypen ausbilden. Dementsprechend wurden bei Neuroblastomzelllinien aus rezidivierten Tumoren der Patienten gehäufte Mutationen im TP53-Gen und Aberrationen beobachtet, die zu ungewöhnlich erhöhter Aktivität des p53-Inhibitors MDM2 führen. Als weiterer Mechanismus kommt die verstärkte Expression von Effluxpumpen in Frage, mit denen der therapeutische Wirkstoff aus den Neuroblastomzellen entfernt wird. Die Kombination beider Faktoren führt dazu, dass das Chemotherapeutikum kaum in solide Tumorzellen eindringen kann, was dann in dem beschriebenen wirkstoffresistenten Phänotypen resultiert. Unser Ziel war nun, diese funktionelle Barriere zu messen. Haben Sie eine Lösung gefunden, damit Wirkstoffe besser in die Tumorzellen gelangen? Und wie sieht sie aus? AMC: Ja. Wir entwickelten ein lokales Abgabesystem, bestehend aus einem biokompatiblen Gewebe aus Polymernanofasern, die mit reinen Wirkstoffpartikeln eines hocheffizienten Krebsmedikaments ausgerüstet sind. Wir deponierten die Nanofasern nach der Tumorresektion auf der Operationsstelle und wiesen dort bis zu einer Woche danach potenziell aktive Wirkstoffkonzentrationen nach. Infolge der besseren lokalen Verteilung der Wirkstoffe konnten unsere DDS die Rezidivrate an der Resektionsstelle senken. Wir beobachteten eine vielversprechende Aktivität in präklinischen Modellen für pädiatrische solide Tumoren wie Neuroblastom, Ewing-Sarkom und Rhabdomyosarkom. Das über DDS freigesetzte Medikament war im Blut niedriger konzentriert als bei einer systemischen Verabreichung des Arzneimittels. Was waren die größten Probleme, mit denen Sie während des Projekts konfrontiert waren, und wie haben Sie sie gelöst? AMC: Wie bei jedem neuen Projekt in einer Gasthochschule machten wir uns die Stärken des Gastgebers zunutze. Wie sich herausstellte, waren einige der ursprünglichen Projektziele nicht machbar, einmal aus technischen Gründen (z. B. verkapselte sich der Modellarzneistoff nicht in den Mizellen wie ursprünglich geplant), aber auch praktischen Gründen (kein Anbieter für bestimmte Medikamente) oder wegen experimenteller Probleme (mangelnde Aktivität der ursprünglich vorgeschlagenen Wirkstoffe). All diese Schwierigkeiten konnten wir jedoch überwinden und waren letztlich sogar erfolgreicher als mit der ursprünglichen Planung. Und nun, zum Ende des Projekts, würden Sie es als Erfolg bezeichnen? JM: Ja. Aus dem Projekt gingen insgesamt drei Patentanmeldungen für DDS hervor. Ein Manuskript ist bereits veröffentlicht und zwei sind in Vorbereitung. Das Projekt bildet die Grundlage für viele neue Projekte, die derzeit noch in der Laborphase sind. Wir haben eine sehr wichtige Ressource an der Gasteinrichtung etabliert, und im Moment arbeiten sechs unserer Wissenschaftler an einem Forschungsvorhaben für präklinische Therapie und Wirkstofftransport („Preclinical Therapeutics and Drug Delivery Research Program“), das direkt aus dieser Marie-Curie-Maßnahme hervorging. Ab welchem Zeitpunkt werden die Patienten von Ihren Forschungen profitieren können? AMC: Plänen der Gasthochschule zufolge soll die DDS-Technologie mittelfristig (innerhalb von drei Jahren) in die klinische Phase gehen. Dann laufen weitere unserer Projekte parallel und werden innerhalb der nächsten zwei Jahre in drei klinischen Studien an der Gastinstitution münden. Wie sieht die weitere Planung nach Projektende aus? JM: Wir entwickeln derzeit einen neuen gezielten Nanowirkstoff zur Behandlung des Neuroblastoms und nehmen für unsere Studien immer wieder Rücksprache mit dem klinischen Team und Patientenvertretern. Gemeinsam identifizieren wir medizinische Bedürfnisse, auf die wir uns bei künftigen translationalen Projekten konzentrieren sollten.
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