Erkenntnisse zum Gehirn aus der Sprachanalyse
Bei neurodegenerativen Krankheiten verlieren Gehirnzellen (Neuronen) nach und nach an Funktionalität und sterben ab, sodass es zu kognitiven Beeinträchtigungen kommen kann. Zu den häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen gehören die Alzheimer-Krankheit und die Parkinson-Krankheit. „Mit zunehmendem Alter wird das Gehirn durch natürliche biologische Veränderungen – wie dem Verlust an Gehirngewebe, Energiezellen und reduzierter Reparaturfähigkeit – anfälliger“, erklärt die Stipendiatin im Projekt MULTI-LAND Lucia Amoruso am Basque Center on Cognition, Brain and Language (BCBL) in Spanien. „Faktoren wie Genetik und Umweltaspekte sind auch entscheidend.“
Marker der natürlichen Sprache analysieren
Das Projekt MULTI-LAND wurde über die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen unterstützt mit dem Ziel, genauere und effizientere Möglichkeiten zu finden, die Gehirngesundheit über Sprache zu diagnostizieren und zu überwachen. Amoruso baute auf einer bewährten Methode auf, die Sprache Betroffener zu analysieren – wendete dabei jedoch künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen an, um weitaus mehr Informationen zu gewinnen als bisher. „Meist werden Betroffene aufgefordert, innerhalb einer Minute so viele Wörter mit dem Anfangsbuchstaben P aufzuzählen wie möglich“, sagt sie. „Dann wird schlicht die Anzahl korrekter Wörter gezählt und ein Urteil gefällt. Ich wollte KI-Werkzeuge einsetzen, um sprachliche Merkmale wie die Häufigkeit verwendeter Wörter oder auch die Sprachgeschwindigkeit, Tonhöhe und Pausen auszuwerten.“ Amoruso nimmt an, dass diese Marker natürlicher Sprache viele Informationen beinhalten könnten, mit denen medizinisches Personal Erkrankungen charakterisieren und die Schwere der Symptome genauer vorhersagen kann. „Der Ansatz ist kostengünstig und skalierbar und die Betroffenen müssen lediglich reden“, ergänzt sie. „Er ist also zugänglich und patientenfreundlich.“
Bildgebungsdaten zu Sprache und Gehirn
In Zusammenarbeit mit der Universität San Andrés (Website auf Spanisch) in Argentinien hat das Projektteam Sprachdaten von Menschen mit der Alzheimer- oder Parkinson-Krankheit sowie die Sprache gesunder Menschen analysiert. Algorithmen maschinellen Lernens wurden darauf ausgerichtet, anhand der Sprachmuster zu erkennen, ob der oder die Sprechende zu den Betroffenen oder den gesunden Teilnehmenden gehört. Mit dieser KI-gestützten Analyse konnte das Forschungsteam eindeutige Muster bestimmen, die Betroffene von Gesunden unterscheiden. „Menschen mit der Alzheimer-Krankheit verwenden oft geläufige, weniger spezifische Wörter, z. B. ‚Blume‘ statt ‚Rose‘“, berichtet Amoruso. „Diese Muster stehen mit der Hirnatrophie und schwindenden Verbindungen in den gedächtnisbezogenen Netzen im Zusammenhang. Menschen mit der Parkinson-Krankheit hingegen nutzen eher konkrete Wörter wie ‚Klavier‘ statt ‚Symphonie‘ und hatten Schwierigkeiten, zwischen Ideen zu wechseln.“
Zuverlässige Mittel, neurodegenerative Krankheiten zu überwachen
Amoruso konnte auch herausfiltern, dass diese Muster bei spanischsprachigen Menschen aus Lateinamerika und Europa gleich sind. Marker natürlicher Sprache könnten also eine zuverlässige Möglichkeit sein, neurodegenerative Krankheiten unabhängig vom kulturellen Kontext zu erkennen und zu überwachen. „Als nächstes müssen die Marker in mehr Sprachen getestet werden, um die Marker zu finden, die über sprachliche und kulturelle Grenzen sowie soziobiologische Variablen hinweg zuverlässig sind“, so Amoruso. „Das Ziel ist letztendlich, benutzerfreundliche Möglichkeiten – wie mobile Apps – zu entwickeln, mit denen die Marker in die Klinikroutine integriert werden können. Das würde die Diagnose und Überwachung dieser Erkrankungen verbessern.“ Amoruso hofft, dass die Arbeit zu einem Umdenken beitragen könnte, wie neurodegenerative Erkrankungen in Zukunft erkannt und behandelt werden. „Mit erschwinglichen, kosteneffizienten und nichtinvasiven Mitteln können wir den gerechten Zugang zu diagnostischen Technologien fördern“, fährt Amoruso fort. „So werden letztendlich Einzelpersonen befähigt, gesundheitliche Ungleichheiten abgebaut und die Lebensqualität der alternden Weltbevölkerung wird gesteigert.“
Schlüsselbegriffe
MULTI-LAND, Sprache, Gehirn, neurodegenerativ, Alzheimer-Krankheit, Parkinson-Krankheit, Genetik