Demokratie – ein Recht, das es zu verteidigen gilt
Hierbei handelt es sich um eine KI-Transkription.
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CORDIScovery
00:00:10:05 - 00:00:16:03
Abigail Acton
Das ist CORDIScovery.
00:00:16:05 - 00:00:37:18
Abigail Acton
Herzlich willkommen zu dieser Folge von CORDIScovery. Ich bin Abigail Acton und begrüße Sie. In der Zeit vom 6. bis 9. Juni werden die Europäerinnen und Europäer an die Wahlurnen treten, um die Menschen zu wählen, die sie im Europäischen Parlament vertreten sollen. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments werden Gesetze in den Bereichen Umwelt, Sozialpolitik, Migration und zu allen anderen wichtigen nationalen Prioritäten mit europäischer Dimension erlassen.
00:00:37:20 - 00:01:03:02
Abigail Acton
Die Demokratie ist eine kollektive Errungenschaft, und das Jahr 2024 kann als ihr größtes Jahr bezeichnet werden. In acht der zehn bevölkerungsreichsten Länder der Welt werden 2024 Wahlen abgehalten, und dieser Prozess wird zweifellos Herausforderungen, absehbare und bislang unbemerkte, mit sich bringen: Desinformationskampagnen im Internet, Falschmeldungen, Auswirkungen von KI, Echokammern in den sozialen Medien. Weltweit werden rund 1,5 Milliarden Menschen ihr Wahlrecht ausüben.
00:01:03:04 - 00:01:32:02
Abigail Acton
Aber wie sicher ist unser demokratischer Prozess und wie können wir ihn sicherer gestalten? Unsere drei Gäste, deren Forschung durch EU-Finanzmittel unterstützt wurde, erzählen uns, was sie unternehmen, um die Herausforderungen zu meistern, denen die Demokratie im 21. Jahrhundert standhalten muss. Ihnen geht es darum, herauszufinden, wie Vertrauen und Misstrauen entstehen, die Mechanismen zu verstehen, die den zunehmenden Rechtspopulismus ermöglichen, und mithilfe von maschinellem Lernen festzustellen, wann sich Desinformation vom Internet-Chat zur realen Bedrohung entwickeln kann.
00:01:32:04 - 00:01:52:09
Abigail Acton
Jan Kubik ist außerordentlicher Professor für Politikwissenschaften an der Rutgers University in den USA und emeritierter Professor für Slawistik und Osteuropawissenschaften am University College London. Sein besonderes Interesse gilt dem Aufstieg des Rechtspopulismus, den er aus verschiedenen Blickwinkeln erforscht und dabei politische, kulturelle und wirtschaftliche Faktoren miteinander kombiniert. Hi Jan.
00:01:52:11 - 00:01:55:18
Jan Kubik
Hallo. Ich danke Ihnen für die Einladung. Ich freue mich, hier bei Ihnen zu sein.
00:01:55:21 - 00:02:14:01
Abigail Acton
Schön, dass Sie da sind. David Dueñas-Cid ist außerordentlicher Professor an der Kozminski University in Polen und Leiter des Forschungszentrums für datengesteuerte Technologien im öffentlichen Sektor. Seine Forschungsarbeit befasst sich mit der Schnittstelle zwischen digitaler Soziologie und E-Government, wobei elektronische Demokratie und elektronische Stimmabgabe eindeutig den Schwerpunkt bilden. Willkommen, David.
00:02:14:02 - 00:02:16:21
David Dueñas-Cid
Hallo, Abigail. Ich sehe es als echtes Privileg, hier sein zu dürfen.
00:02:16:22 - 00:02:39:04
Abigail Acton
Es ist mir wirklich eine Ehre, Sie hier begrüßen zu dürfen. Ich danke Ihnen, David. Sven-Eric Fikenscher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kompetenzzentrums für Polizei- und Sicherheitsforschung an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern, Fachbereich Polizei, in Deutschland. Sein besonderes Interesse gilt der Weiterentwicklung unseres Verständnisses dafür, auf welche Weise Desinformationskampagnen im Internet kriminelle Handlungen nach sich ziehen können, und wie dieses Wissen nutzbar ist, um die Strafverfolgungsbehörden dabei zu unterstützen, sich auf potenzielle Bedrohungen zu konzentrieren.
00:02:39:10 - 00:02:40:15
Abigail Acton
Herzlich willkommen, Sven.
00:02:40:17 - 00:02:43:01
Sven-Eric Fikenscher
Vielen Dank, Abigail. Es ist mir eine Freude, hier bei Ihnen sein zu können.
00:02:43:02 - 00:03:08:23
Abigail Acton
Großartig. Jan, Sie haben das Projekt POBREBEL ins Leben gerufen, bei dem Daten und Modelle aus verschiedenen Disziplinen herangezogen wurden, um jene Kräfte, die hinter dem zunehmenden Populismus stehen, tiefgründig zu erforschen. Sie haben verdeutlicht, dass Ihr Schwerpunkt nicht nur auf der Wissenschaft liegt. Das Projekt dient als Plattform, um voneinander zu lernen. Wie David weiß ich, dass Sie sich für kulturelle Dimensionen interessieren, für die Feinheiten des Kontextes, in diesem Fall für die wachsende Unterstützung für das, was Sie als autoritären Rechtspopulismus bezeichnen.
00:03:09:00 - 00:03:11:23
Abigail Acton
Was stellen Sie fest?
00:03:12:00 - 00:03:46:17
Jan Kubik
Meiner Einschätzung nach lautet die wichtigste Erkenntnis, dass dieser von uns beobachtete Prozess nicht nur ein politischer Prozess ist. Er ist nicht nur durch wirtschaftliche Faktoren bedingt, sondern hat auch eine starke kulturelle Komponente, d. h. dass es bestimmte Subkulturen gibt, die besonders dazu neigen, diese rechtsradikalen Ansichten zu übernehmen. Und auf der anderen Seite gibt es politisch Aktive, d. h. Politikerinnen und Politiker, die bereit sind, diesen Diskurs voranzutreiben.
00:03:46:22 - 00:04:25:14
Jan Kubik
Und das geschieht oft. Und vielleicht passiert hier das Wichtigste, nicht nur bei den politischen Institutionen, sondern auch bei den Institutionen, die der sogenannten kulturellen Produktion zuzurechnen sind. Die meisten davon sind religiöse Einrichtungen, Kirchen, aber auch Schulsysteme, Kunstgalerien und vor allem Museen, die sich mit der historischen Erinnerung und dergleichen beschäftigen. Bei diesem Prozess laufen, wie ich es nenne, die Auswirkungen dieser Faktoren gewissermaßen seitwärts.
00:04:25:16 - 00:04:50:01
Jan Kubik
Dabei geht es nicht um die Mobilisierung der Menschen von unten nach oben. Es handelt sich nicht nur um eine Manipulation von oben nach unten durch politisch Agierende, sondern es gibt eine Art dritte Kraft, die im Allgemeinen von diesen Kultureinrichtungen ausgeht, und oft übersehen wir deren Bedeutung. Andererseits scheinen sich die rechtspopulistischen Kräfte heutzutage der Bedeutung dieser Institutionen überaus bewusst zu sein.
00:04:50:05 - 00:05:01:00
Jan Kubik
Und wenn sie an die Macht kommen, versuchen sie sofort, die Kontrolle darüber zu erlangen. Manchmal sind sie erfolgreicher, manchmal nicht. Aber das Bestreben scheint sehr ähnlich zu sein.
00:05:01:02 - 00:05:18:21
Abigail Acton
Das übersehen wir wohl manchmal. Das ist möglicherweise etwas heimtückischer und verläuft schrittweise und auf eine seltsame Art weitreichender. Sie erwähnten, dass Sie sich im Rahmen Ihres Projekts im Zusammenhang mit der Übernahme von Macht mit den Mechanismen befasst haben, die hinter diesen Aufstiegen zur Macht stehen. Können Sie uns ein wenig mehr darüber erzählen, wie sich das konkret äußert?
00:05:18:21 - 00:05:22:11
Abigail Acton
Wie können sie so leicht an die Macht kommen? Warum durchschauen wir sie nicht?
00:05:22:13 - 00:06:01:23
Jan Kubik
Ich denke, der erste Analyseschritt besteht darin, zwischen den Mechanismen, durch die sie an die Macht kommen, und dem Mechanismus, durch den sie an der Macht bleiben, zu unterscheiden. Die Faktoren, die ihre Machtübernahme beeinflussen, sind vielfältig und manchmal auch eher zufällig. Ein Faktor ist die Mobilisierung. Ein weiterer Faktor ist eine Art von Unfällen am Arbeitsplatz, die den anderen passieren, und unser dritter Faktor ist die Korruption und die Desillusionierung im Zusammenhang mit bestehenden Regierungen, die mehr in der Mitte angesiedelt sind, bestimmten linken Richtungen, was auch immer sie sind, aber bekanntlich haben die Leute nach einer Weile von ihnen die Nase voll.
00:06:02:00 - 00:06:23:10
Jan Kubik
In einer demokratischen Gesellschaft besteht dieses Paradoxon, dass die der Demokratie feindlich Gesinnten frei für ihre Produkte werben können. Anfangs verstecken sie das vielleicht ein wenig, aber ihre Aussage besteht darin, dass wir diesen ganzen verpennten Haufen loswerden müssen. Dass wir sie von der Macht verdrängen müssen, und dann werden wir kommen und alles wird schön und prima sein.
00:06:23:10 - 00:06:34:17
Jan Kubik
Und dann funktioniert das. Damit holen sie sich systematisch 30, 40, manchmal auch etwas mehr Prozent der Wählerschaft.
00:06:34:19 - 00:06:37:10
Abigail Acton
Was müssen wir tun, um unsere Demokratien zu verteidigen?
00:06:37:12 - 00:07:06:15
Jan Kubik
Nun, bisher haben wir drei oder vier Ideen, die etwas konkreter sind. Eine davon lautet, dass wir den Menschen den Unterschied zwischen Rechtspopulismus und Konservatismus vermitteln müssen. Viele junge Leute nehmen diese Unterscheidung überhaupt nicht vor, und sie erkennen auch keinen Unterschied zwischen Faschismus und Konservatismus und so weiter. Das zweite von mir erwähnte Element ist, dass wir den Menschen beibringen müssen, dass nicht nur auf die Politik geachtet werden muss.
00:07:06:21 - 00:07:28:20
Jan Kubik
Diese kulturellen Einrichtungen müssen betrachtet und in diesem Zusammenhang muss den Menschen der Wert des Pluralismus vor Augen geführt werden. Was ich damit meine, ist, dass, wenn man sich die Welt anschaut, in der natürlich nichts perfekt ist, es dort gibt Systeme gibt, in denen zum Beispiel Kunstschaffende und Museumskuratierende und so weiter sich selbst verwalten. Und das im Guten wie im Schlechten, richtig?
00:07:28:24 - 00:07:59:12
Jan Kubik
Manchmal gehen sie in diese Richtung, manchmal in jene. Aber sie sind verantwortlich für den gesamten Lebensbereich, das Leben in der Gesellschaft. In jedem System, das den Pluralismus zerstört, wird die Zentralgewalt die Kontrolle über diese Institutionen übernehmen wollen. Und das verstehen die Menschen nicht immer. Also eine einfache Lehre über den Wert des Pluralismus wäre hilfreich. Und das dritte Element ist die Bedeutung der Kinder und des Unterrichtens der Kinder darüber, dass ein System realisierbar ist, das nach einigen Grundprinzipien der Gerechtigkeit funktioniert.
00:07:59:14 - 00:08:07:10
Jan Kubik
Meine Frau unterrichtet junge Kinder, und sie sagt mir immer, dass sie für die Botschaft der Gerechtigkeit sehr empfänglich sind.
00:08:07:13 - 00:08:10:12
Abigail Acton
Das Wort „fair“ spielt für die Kinder eine sehr große Rolle. Gerechtigkeit, ja.
00:08:10:17 - 00:08:29:11
Jan Kubik
Fairness ist das Konzept. Aber irgendwann verlieren die Menschen das Gefühl dafür, dass jede Person Gegenstand von Fairness und Rücksicht sein sollte. Und dann wird festgestellt, dass einige Menschen Fairness verdienen und andere nicht.
00:08:29:13 - 00:08:31:03
Abigail Acton
Und genau das ist der Punkt. Ja.
00:08:31:05 - 00:08:35:16
Jan Kubik
Und dann kippt die Stimmung buchstäblich um. Daraus ergibt sich diese Polarisierung.
00:08:35:20 - 00:08:46:08
Abigail Acton
Ja. Das ist offensichtlich etwas, das Ihnen sehr am Herzen liegt. Sie forschen schon seit langem zu diesem Thema und darüber hinaus, und auch dieses Projekt dreht sich darum. Warum? Warum interessiert Sie das so sehr?
00:08:46:10 - 00:09:19:04
Jan Kubik
Ich denke, der wichtigste Faktor ist meine Familiengeschichte, die für jemanden, der in Osteuropa geboren wurde, ganz normal ist. Dort finden sich das enorme Leid und die Tragödien, die zwei totalitäre Systeme, das sowjetische und das nationalsozialistische, mit sich brachten, und die Menschen, die sterben mussten. Meine Mutter wurde von der Gestapo gefoltert, und ihren ersten Mann ließen die Sowjets buchstäblich verschwinden.
00:09:19:04 - 00:09:48:10
Jan Kubik
Wir wissen nicht einmal, was mit ihm passiert ist. Also dieser Rückblick, die Geschichte der zwanziger und dreißiger Jahre, über die ich versucht habe, so viel wie möglich zu lesen, was manchmal schwierig ist, zeigen mir, dass die Ähnlichkeiten absolut frappierend sind. Zeitweise wollten die Menschen diese Phänomene nicht mit Faschismus bezeichnen. Sie tanzten also um die Begriffe Neofaschismus, Halbfaschismus, Demi-Faschismus herum.
00:09:48:12 - 00:10:02:15
Jan Kubik
Aber es gibt offensichtlich Parallelen. Und die Ähnlichkeit besteht in der Ablehnung, wenn nicht gar im Hass auf die liberale Demokratie, bei der es sich lediglich um das Mehrheitsprinzip, eingeschränkt durch die Rechtsstaatlichkeit, handelt.
00:10:02:17 - 00:10:18:23
Abigail Acton
Faszinierend. Gibt es einen Weg, wie wir diese Erzeugung von Misstrauens gegen diejenigen einsetzen können, die das Misstrauen nutzen, um die Demokratie zu untergraben? Ich meine, können wir ihre Werkzeuge nehmen und sie gegen sie wenden, um andere Menschen dazu zu bringen, ihnen zu misstrauen?
00:10:19:00 - 00:10:49:03
Jan Kubik
Daran versuche ich jetzt zu arbeiten. Dieser Prozess der Wiedergutmachung aller in acht Jahren entstandenen Schäden erweist sich als äußerst schwierig. Und es stellt sich die Frage, ob es möglich ist, ein schwer beschädigtes Rechtssystem zu reparieren. Deshalb existiert die Idee, dass wir vielleicht ganz von vorne anfangen sollten, mit einer Art neuer Revolution und einer verfassungsgebenden Versammlung und einem Neustart des Systems und wie auch immer sie es nennen, der Dritten Republik.
00:10:49:05 - 00:11:16:01
Jan Kubik
Das ist in Frankreich schon ein paar Mal passiert. Es beginnt die vierte Republik oder etwas in dieser Richtung, denn der allmähliche Wandel erweist sich als mühsam. Sie wird von den Rechtspopulisten, die die Macht verloren haben, durch eine Reihe von Strategien blockiert, die ich allerdings zu erforschen versuche. Und die Menschen werden ungeduldig. In der Literatur findet sich der Begriff der wehrhaften Demokratie.
00:11:16:02 - 00:11:39:18
Jan Kubik
Können wir die Werkzeuge, die sie gegen uns eingesetzt haben, ethisch vertretbar anwenden? Sagen wir es mal so. Um ganz ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Ich zögere ein wenig. Ich meine, in Momenten der Entrüstung sagte ich: Ja, aber sicher. Zeigen wir es ihnen, wie sich das anfühlt. Aber andererseits denke ich, nein, das kann man nicht machen. Denn wir wollen nicht so wie sie sein, richtig?
00:11:39:20 - 00:11:42:24
Abigail Acton
Denn sonst gäbe es nichts zu bekämpfen. Man würde absorbiert werden.
00:11:43:01 - 00:11:49:15
Jan Kubik
Ein gewaltiges Dilemma. Und was im Grunde genommen passiert, ist, dass sich das System irgendwie durchwurstelt.
00:11:49:17 - 00:12:11:03
Abigail Acton
Dort, wo es erlaubt ist. Ausgezeichnet. Ich danke Ihnen vielmals. David, ich wende mich nun an Sie. Im Projekt ELECTRUST, oder, um den vollständigen Titel zu nennen, „The Dynamics of Trust and Distrust, Creation and Internet voting“, wird untersucht, wie Vertrauen und Misstrauen den öffentlichen Diskurs über die elektronische Stimmabgabe und die sie Befürwortenden beeinflussen. Was hat Ihre Forschungsarbeit über die Nutzung des Internets und anderer Formen der Fernabstimmung ergeben?
00:12:11:03 - 00:12:12:01
Abigail Acton
00:12:12:03 - 00:12:34:22
David Dueñas-Cid
Lassen Sie mich zunächst ein paar Hintergrundinformationen zu meiner Forschung geben. Wir leben mehr und mehr in einer mobilen Gesellschaft, in der die Menschen von einem Ort zum anderen umziehen. Das führt zu einer Situation, in der die Wahlbeteiligung vielerorts generell zurückgeht. Deshalb wurde Technologie als eine der Optionen zur Lösung dieser Art von Problemen benannt.
00:12:34:24 - 00:12:53:15
David Dueñas-Cid
Die elektronische Stimmabgabe gilt somit schon seit einiger Zeit als die Wahl der Zukunft, aber ihre Umsetzung gestaltete sich bisher nicht einfach. Würden wir also bis 1999 zurückgehen, dann würden wir denken, dass wir in Zukunft unsere Stimme über das Internet abgeben werden. Und wenn wir uns heute diese Frage stellen, würden wir wahrscheinlich die gleiche Antwort geben.
00:12:53:17 - 00:13:11:17
David Dueñas-Cid
Aber wir sind noch nicht am Ziel. Im Rahmen meiner Forschung haben wir unter anderem die Orte untersucht, an denen die elektronische Stimmabgabe über das Internet bereits eingeführt wurde. In Estland beispielsweise wird das Internet seit 2005 genutzt, in der Schweiz wurde es vorübergehend eingestellt und letztes Jahr wieder eingeführt. Und sie nutzen es.
00:13:11:17 - 00:13:32:10
David Dueñas-Cid
Es wird erneut damit experimentiert. Vielerorts wird diese Internetvariante als eine gute Lösung angesehen, beispielsweise für den Umgang mit im Ausland Lebenden. In Frankreich und Panama zum Beispiel wählen im Ausland Lebende auf diese Art. An anderen Orten, wie etwa in Kanada, wird es bei einigen kleineren Wahlen für die Kommunalwahlen verwendet. Natürlich hat es auch andere Fälle gegeben, die nicht erfolgreich waren.
00:13:32:12 - 00:13:51:04
David Dueñas-Cid
In Norwegen wurden zum Beispiel 2015 und 2017 Versuche unternommen, die dann abgebrochen wurden. In Australien in New South Wales gab es Versuche, die wieder abgebrochen wurden. In Finnland und in den Niederlanden geschah etwas Ähnliches. Einer der Kernpunkte ist also das Konzept des Vertrauens, das in meiner Forschung eine zentrale Rolle spielt.
00:13:51:04 - 00:14:10:20
Abigail Acton
Wir betrachten den Begriff des Vertrauens. Dieser ist natürlich sehr wichtig, wenn eine Fernwahl durchgeführt werden soll. Aber ich denke, Sie sind dabei, einige interessante Dinge in Bezug auf Vertrauen und Misstrauen herauszufinden, die nicht wirklich an den entgegengesetzten Enden eines einzigen Spektrums liegen. Können Sie mir ein wenig mehr darüber berichten, was Sie über die Art des Misstrauens in das Vertrauen herausgefunden haben?
00:14:10:22 - 00:14:28:18
David Dueñas-Cid
Ja, natürlich. Festzustellen ist, dass bei Wahlen am Ende alles mit Vertrauen zu tun hat. Ich meine, um dem Ergebnis der Wahlen zu vertrauen, müssen wir dem Prozess vertrauen. Und das Ergebnis ist das Wichtigste, denn es steht für die Delegation von Macht. Jemand gibt die Macht an jemand anderen ab, die Bürgerinnen und Bürger geben die Macht an die Präsidentin oder den Präsidenten ab.
00:14:28:20 - 00:14:48:04
David Dueñas-Cid
Die vorherige die Präsidentschaft innehabende Person übergibt die Macht an die neue Person. Vertrauen bildet das Konzept. Bisher wurden Vertrauen und Misstrauen als die beiden gegensätzlichen logischen Enden desselben Kontinuums betrachtet. In meiner Forschungsarbeit versuche ich, einen anderen Ansatz zu verwenden, ohne dabei zu berücksichtigen, dass das Gegenteil von Vertrauen Misstrauen, und das Gegenteil von Misstrauen Vertrauen ist, denn ich gehe davon aus, dass es sich bei Vertrauen und Misstrauen
00:14:48:04 - 00:15:21:19
David Dueñas-Cid
um zwei komplementäre Konzepte handelt, die parallel zueinander verlaufen und offensichtlich logisch miteinander verbunden sind. Sie sind offensichtlich gegensätzlich, aber sie weisen ihre eigene innere Dynamik und ihr eigenes Verständnis auf. So muss der gleiche Prozess, der zu Vertrauen führt, nicht zwangsläufig zu Misstrauen führen, wenn er nicht stattfindet. Das lässt dieses Thema etwas komplexer werden und öffnet die Tür zu dem Verständnis, dass einige Elemente gleichzeitig Vertrauen und Misstrauen erwecken können, oder dass einige Elemente, die in der Vergangenheit Vertrauen erweckten, als sie verschwanden, plötzlich Misstrauen entstehen ließen.
00:15:21:21 - 00:15:38:04
Abigail Acton
Okay, das ist sehr interessant. Könnten Sie mir diese Art des Konzepts etwas genauer erläutern? Denn die Vorstellung, dass etwas gleichzeitig Vertrauen und Misstrauen erwecken kann, klingt ziemlich interessant. Können Sie uns einige Beispiele nennen, die Ihnen dazu einfallen, einen Kontext, in dem das möglich ist?
00:15:38:06 - 00:16:05:01
David Dueñas-Cid
In den Niederlanden beispielsweise wurden bis 2005/2006 Maschinen zur Stimmabgabe eingesetzt, und dann wies eine Hackergruppe nach, dass das System nicht vertrauenswürdig war. Deshalb hat diese Hackergruppe zunächst einmal auf brillante Art bewiesen, dass das System wahrscheinlich nicht vertrauenswürdig war. Aber sie hat auch das Vertrauen in das demokratische System gestärkt, indem sie Misstrauen gegenüber der eingesetzten Technologie geweckt hat.
00:16:05:03 - 00:16:14:05
David Dueñas-Cid
Beide Elemente gingen also Hand in Hand. Wenn wir Vertrauen und Misstrauen als dasselbe logische Kontinuum verstehen, können wir diese Art der Erklärung nicht unterstützen.
00:16:14:07 - 00:16:36:21
Abigail Acton
Sie haben völlig Recht. Die Tatsache, dass nachgewiesen wurde, dass es nicht funktioniert, führt bei den Menschen zu der Annahme, dass die Situation robust genug ist, um diese Analyse, dass es nicht klappt, überhaupt zuzulassen. Und das gibt Ihnen ein Gefühl der Zuversicht. Ja, das verstehe ich. Okay. Das ist interessant. Können Sie uns bitte etwas mehr darüber erzählen, was die Auslöser für Misstrauen und Vertrauen sein könnten?
00:16:37:02 - 00:16:46:07
Abigail Acton
Denn wir neigen dazu, ziemlich oberflächlich zu denken. Die Menschen misstrauen, weil sie glauben, dass jemand lügt, und vertrauen, weil sie glauben, dass jemand das nicht tut, oder so ähnlich. Aber es ist noch viel raffinierter, nicht wahr?
00:16:46:10 - 00:17:07:11
David Dueñas-Cid
In der Tat, ja. Eine der Kernfragen, die ich mit meiner Forschung zu beantworten versuchte, war, dass, wenn wir mit Fachleuten für elektronische Stimmabgabe über die Elemente sprechen, die Vertrauen schaffen, sie normalerweise die technologische Robustheit in den Mittelpunkt rücken, die natürlich ein entscheidender Faktor für den Aufbau von Vertrauen ist. Aber das reicht nicht aus.
00:17:07:11 - 00:17:32:19
David Dueñas-Cid
Mein Vater würde zum Beispiel einem Wahlsystem mit elektronischer Stimmabgabe nicht trauen, weil es extrem sicher ist und eine komplexe Kryptografie zum Einsatz kommt. Aber er würde der Stimmabgabe im Internet aus anderen Gründen vertrauen, die gesellschaftlich bedingt sind und nichts mit der Technologie selbst zu tun haben. Und das lässt das Konzept viel breiter und viel interessanter werden. So hängen zum Beispiel viele vertrauensbildende Elemente mit positiven vorherigen Erfahrungen zusammen.
00:17:32:21 - 00:17:56:10
David Dueñas-Cid
Deshalb sehen wird, dass einige der Länder, die Wahlen per elektronischer Stimmabgabe durchführen, diese auch dann, wenn sie auf Probleme stoßen, weiter nutzen,weil sie bereits positive Erfahrungen sammeln konnten. Diejenigen jedoch, die noch nie per Internet abgestimmt haben, fanden es sehr schwierig, sich für die Nutzung des Internets zu entscheiden, da keine Erfahrungen vorhanden sind, die dessen positive Nutzung legitimieren, und Misstrauen demgegenüber auf eine andere Weise funktioniert.
00:17:56:10 - 00:18:18:22
David Dueñas-Cid
Ich meine, in den Fällen, in denen Misstrauen aufkam, hatte das meist nichts mit technologischen Problemen zu tun, oder es trat auf störende Weise in einem System auf, das sich in Nutzung befand. Vertrauen ist demzufolge ein Prozess, der sich langsam aufbaut, und Misstrauen ist ein Element, das aus unterschiedlichen Interessen heraus entstanden ist.
00:18:18:24 - 00:18:37:09
Abigail Acton
Ja, das liegt in der Natur des Menschen. Das ist interessant, nicht wahr? Wir brauchen lange, um Vertrauen in etwas aufzubauen, aber dieses Vertrauen kann im Handumdrehen verloren gehen. Was können wir Ihrer Meinung nach von dieser durch Sie geleisteten Arbeit mitnehmen, David? Was wäre Ihre wichtigste Botschaft an die politisch Verantwortlichen oder an diejenigen, die über die Einführung der elektronischen Stimmabgabe usw. entscheiden?
00:18:37:09 - 00:18:38:16
Abigail Acton
Was würden Sie ihnen sagen?
00:18:38:18 - 00:18:59:22
David Dueñas-Cid
Bei meiner Forschungsarbeit geht es nicht darum, festzustellen, ob die elektronische Stimmabgabe die Lösung ist oder nicht, sondern ich versuche zu verstehen, welche Erkenntnisse sich ergeben, wenn sie angewandt wird. Denn hier besteht noch eine Lücke, da es noch nicht sehr viele Erfahrungen gibt und wir noch daran arbeiten und noch viel zu lernen haben.
00:19:00:03 - 00:19:20:08
David Dueñas-Cid
Ich versuche, einen Beitrag zu leisten, und zwar in Form von Leitlinien für Menschen, die an der Einführung der elektronischen Stimmabgabe interessiert sind, um zu erfahren, was bei der Einführung dieses Systems passieren kann, welche Elemente Vertrauen schaffen und welche Misstrauen hervorrufen können, und welche Strategien zum Aufbau von Vertrauen es gibt. Sie sollten sich von den Strategien zum Umgang mit diesem Vertrauen unterscheiden.
00:19:20:10 - 00:19:31:12
David Dueñas-Cid
Das ist ein wichtiger Unterschied, denn Vertrauen funktioniert auf die eine Weise, und Misstrauen auf eine andere. Aber wir müssen beide in Betracht ziehen, denn wir könnten sie vorfinden, wenn wir uns mit dem System befassen müssen.
00:19:31:14 - 00:19:49:21
Abigail Acton
Das ist ausgezeichnet, okay. Und vielen, vielen Dank. Es ist besonders interessant, denn sobald man darüber gesprochen hat, ist es sehr verständlich und fühlt sich sehr logisch an. Noch vor Ihren Erläuterungen hätte man denken können, dass es sich um zwei entgegengesetzte Enden desselben Spektrums handelt. Aber es sind zwei Dinge, die parallel laufen. Überaus interessant. Hat jemand Fragen an David oder Anmerkungen?
00:19:49:23 - 00:19:50:05
Abigail Acton
Ja. Jan.
00:19:50:05 - 00:20:41:10
Jan Kubik
Ja, ich habe eine Frage. Haben Sie innerhalb Ihres Projekts versucht, die Variable der, nennen wir es ideologischen Polarisierung, zu untersuchen? Denn ich vermute, dass in einer Kultur, die eher daran gewöhnt ist, Pluralismus und Toleranz zu kultivieren, dieser Prozess des gleichzeitigen Vertrauens und Misstrauens möglich ist und in einer Kultur, angetrieben durch den rechtspopulistischen Diskurs, in dem alles binarisiert und polarisiert ist, Ideen hervorgebracht werden, die die Möglichkeit dieser Dualität ablehnen, weil sie je nach Bedarf alles auf eine negative oder positive Weise sehen wollen.
00:20:41:10 - 00:21:00:05
Jan Kubik
Die von Ihnen vorgenommene Unterscheidung zwischen dem Vertrauen in die Hackergruppe und dem Misstrauen in die Demokratie oder umgekehrt ist sehr interessant. Aber in diesem stark polarisierten Diskurs rund um den Rechtspopulismus erscheint mir das nicht möglich. Haben Sie versucht, sich damit zu beschäftigen?
00:21:00:07 - 00:21:23:03
David Dueñas-Cid
Ja, wir haben darüber nachgedacht. Ich meine, wir hatten eine Einschränkung in der Art, dass es nicht so viele Länder gibt, die die elektronische Stimmabgabe nutzen, und damit wurde die Stichprobe auf eine bestimmte Anzahl von Ländern reduziert. Wir können also nicht frei wählen, wo wir die Forschung durchführen. Wir erkundeten den Fall Polens als ein Land, in dem es vorher keine elektronische Stimmabgabe gab und das daher über keine Erfahrungen verfügt.
00:21:23:03 - 00:21:33:14
David Dueñas-Cid
Und wir arbeiten jetzt an den Ergebnissen, um zu sehen, wie diese verschiedenen Arten von Diskursen zustande kommen. Polen ist meiner Meinung nach ein Beispiel an sich, ein Land, das politisch polarisiert ist.
00:21:33:16 - 00:21:49:24
Jan Kubik
Der Rechtspopulismus hat einfach jegliche Diskussion über Pluralismus an sich gerissen und alles in schwarz-weiß gezeichnet. Und das sofort. Daher würde ich vermuten, dass sie das Argument, dass man gleichzeitig Vertrauen und Misstrauen hegen kann, nicht hören werden.
00:21:50:01 - 00:22:15:18
David Dueñas-Cid
In der Tat verfügen sie oft über eine wirklich gute Strategie, denn sie nehmen hochtechnische Konzepte, um sie auf etwas leicht Verständliches zu reduzieren, um dann die Qualität des verwendeten Systems zu untergraben, indem es mit technischen Problemen in Verbindung gebracht wird, die am Ende aber nichts damit zu tun haben, weil die technischen Probleme, auf die sie sich bezogen haben, gelöst wurden, aber sie verwenden sie trotzdem immer wieder, um Botschaften zu verbreiten, die am Ende die Qualität der Demokratie untergraben.
00:22:15:18 - 00:22:44:22
Abigail Acton
Faszinierend. Ich danke Ihnen vielmals. Ich wende mich jetzt an Sven. Sven, das System läuft irgendwie nicht rund. Natürlich, wenn es viel Enttäuschung und Frustration gibt und die Vorstellung, dass Versprechen nicht eingehalten werden, dann suchen die Leute Zuflucht bei Kampagnen im Internet und Desinformation und Falschnachrichten und so weiter. Sven, Ihr Projekt „FERMI“, der „Fake News Risk Mitigator“ (Falschmeldungs-Risikosenker), ist erst auf halbem Wege...
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Abigail Acton
aber Sie verfügen bereits über einige sehr interessante Erkenntnisse, die Sie uns mitteilen können. Es werden Instrumente entwickelt, die den gesetzgebenden Organen hilfreich dabei sein können, die Art der Bedrohung durch Online-Desinformationskampagnen zu bestimmen. Um zwischen Dingen zu unterscheiden, die nur heiße Luft sind, und solchen, die tatsächlich in Gewalt enden könnten. Können Sie uns ein wenig mehr darüber berichten?
00:23:04:02 - 00:23:19:22
Abigail Acton
Wir haben gehört, dass Vertrauen und Misstrauen nicht demselben Spektrum angehören und dass Populismus mehr als nur ein politisches Phänomen ist. Ich habe mir die Komplexität angesehen, die entsteht, wenn versucht wird zu definieren, was Desinformation eigentlich ist. Wie läuft das bei Ihnen?
00:23:19:24 - 00:23:41:17
Sven-Eric Fikenscher
Ja, nun, Abigail, zunächst noch einmal vielen Dank, dass ich hier dabei sein darf. Es ist mir eine große Freude, hier mit Ihnen und meinen Kollegen zu sprechen. Ja, wir standen vor einigen Herausforderungen. An erster Stelle stand dabei, Desinformation zu definieren. Denn wie sich herausstellte, gibt es in der EU und auch darüber hinaus keine allgemein akzeptierte Definition des Begriffs „Desinformation“.
00:23:41:19 - 00:24:10:12
Sven-Eric Fikenscher
Deshalb haben wird die Definitionen, die wir finden konnten, untersucht und nach gemeinsamen Themen, gemeinsamen Schwerpunkten gesucht. Wie sich herausstellte, bestand einer dieser gemeinsamen Schwerpunkte darin, dass Desinformation etwas ist, das absichtlich verbreitet wird. Die Person oder die Gruppe, die falsche Behauptungen verbreitet, weiß also, dass diese Angaben falsch sind, was sehr wichtig und ein wesentlicher Unterschied zwischen Desinformation und Fehlinformation ist.
00:24:10:14 - 00:24:37:14
Sven-Eric Fikenscher
Denn Leute, die falsche Behauptungen verbreiten, wissen nicht unbedingt, dass diese falsch sind. Das ist jedoch etwas, das in unserer Arbeitsdefinition eine große Rolle spielt. Fairerweise muss gesagt werden, dass es schwierig war, passende Datensätze zu finden. Darin besteht eine der Herausforderungen. Ich vermute, dass eine noch größere Herausforderung darin besteht, dass wir in dem Sinne endnutzungsorientiert sind, wie wir es versuchen, denn wir werden nicht im Rahmen einer Aufforderung zur Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung finanziert.
00:24:37:16 - 00:24:58:00
Sven-Eric Fikenscher
Wir sind also endnutzungsorientiert in dem Sinne, dass wir versuchen, Werkzeuge für die Strafverfolgungsbehörden zu entwickeln, und unsere Partner aus den Strafverfolgungsbehörden haben uns, wie Sie sich vorstellen können, immer wieder gesagt, Leute, das ist alles großartig, doch die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge gehört nicht zu unserem Auftrag. Wir dürfen das gar nicht.
00:24:58:02 - 00:25:42:16
Sven-Eric Fikenscher
In der Tat kann die Verbreitung falscher Behauptungen unter die Meinungsfreiheit fallen. Die Menschen haben das Recht, innerhalb bestimmter Grenzen Unwahrheiten zu verbreiten, aber dennoch, das müssen wir im Auge behalten. Was haben wir also getan? Kurz gesagt: Wir haben ein paar Anwendungsfälle entwickelt, bei denen die Grenzen der Legalität in dem Sinne überschritten werden, dass aktiv Desinformationsnachrichten in den sozialen Medien verbreitet werden, und auch die Grenzen der Legalität in dem Sinne überschritten werden, dass illegale Dinge verbreitet werden, zum Beispiel durch Anstiftung zur Gewalt oder zum Terrorismus, was unter die EU-Definition von Terrorismus fällt und in der gesamten Europäischen Union illegal ist.
00:25:42:18 - 00:25:59:15
Sven-Eric Fikenscher
Das erforschen wir in unseren Anwendungsfällen, und wir entwickeln eine Plattform, die unsere Partner bei den Strafverfolgungsbehörden und später unsere Kundschaft hoffentlich in die Lage versetzt, derartigen Aktivitäten nachzugehen und geeignete Gegenmaßnahmen zu erarbeiten.
00:25:59:17 - 00:26:19:24
Abigail Acton
Okay, super. Es muss sehr schwierig sein, den Strafverfolgungsbehörden dabei zu helfen, zu entscheiden, wann Desinformationskampagnen in reale Gewalt umschlagen könnten, wenn der eigentliche Begriff der Desinformation nichts ist, womit sie sich tatsächlich befassen können, weil es nicht Teil ihrer Arbeit ist. Ich sehe, dass das ein schwieriges Problem ist.
00:26:20:05 - 00:26:34:06
Abigail Acton
Wenn Sie von Anwendungsfällen sprechen, was genau meinen Sie damit? Meinen Sie, dass Sie im Internet Dinge gefunden haben, die Sie genauer untersuchen konnten? Und wenn ja, auf welche Weise haben Sie es erforscht? Oder haben Sie eine Simulation erstellt? Was genau haben Sie unternommen? Woher haben Sie Ihre Daten?
00:26:34:08 - 00:27:07:05
Sven-Eric Fikenscher
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Zunächst einmal haben wir bei den Szenarien drei verschiedene Anwendungsfälle verwendet, die alle auf der Idee beruhen, dass wir versuchen, die Anstiftung zur Gewalt und zum Terrorismus zu erkunden. Die Nachrichten werden von unseren Endnutzungspartnern, die für die Pilotprojekte zuständig sind, zur Verfügung gestellt. Unsere Botschaften stammen aus dem Rechtsextremismus oder Linksextremismus und dem COVID-bezogenen Extremismus, wobei der COVID-bezogene Extremismus natürlich aus der Sicht der Desinformation besonders interessant ist.
00:27:07:11 - 00:27:07:18
Abigail Acton
Sie meinen
00:27:07:18 - 00:27:11:15
Abigail Acton
Dinge wie Zögerlichkeit und Verweigerung gegenüber Impfstoffen?
00:27:11:17 - 00:27:22:00
Sven-Eric Fikenscher
Ja, aber nicht nur das. Auch die Verbreitung von Behauptungen über Schäden, die durch die 5G-Technologie und dergleichen verursacht wurden.
00:27:22:05 - 00:27:23:18
Abigail Acton
Verschwörungstheorien also.
00:27:23:20 - 00:27:55:14
Sven-Eric Fikenscher
Verschwörungstheorien, altmodische Verschwörungstheorien und die Äußerungen, die Menschen über Dinge verbreiten, die scheinbar nicht ihrem Denken entsprechen, die aber bei zahlreichen Menschen da draußen auf Resonanz stoßen. Und in vielen Fällen oder zumindest in einigen Fällen mündete das Ganze in gewaltbereiten Aktivitäten. Den Daten der Universität Maryland zufolge stieg die Anzahl der Verschwörungstheorien, die zu terroristischen Aktivitäten motivierten, im ersten Pandemiejahr sprunghaft an, was zu einem großen Teil mit Extremismus im Zusammenhang mit COVID zu tun hatte.
00:27:55:16 - 00:28:11:16
Sven-Eric Fikenscher
Das ist einer der Anwendungsfälle, mit denen wir uns beschäftigen und die hoffentlich zu neuen Erkenntnissen führen werden, denn es gibt einige andere Studien über Rechts- und Linksextremismus, nicht unbedingt unter dem Gesichtspunkt der Desinformation, aber ich denke, dass der Fall des korrelierten Extremismus besonders interessant und vielversprechend ist.
00:28:11:19 - 00:28:24:18
Abigail Acton
Super. So können Sie also sehen, was vor sich geht. Sie verfolgen die Interaktion, und wie funktioniert das? Sie erhalten also Informationen, die Sie über die Plattform mit den gesetzgebenden Organen teilen können, um ihnen mitzuteilen, dass es sich um eine ernste Angelegenheit zu handeln scheint, dass das vielleicht etwas ist, das sie sich ansehen sollten. Wie funktioniert das?
00:28:25:02 - 00:28:52:16
Sven-Eric Fikenscher
Damit komme ich auf das zurück, was ich gerade über die Grenzen des Mandats der Strafverfolgungsbehörden gesagt habe. Denn das ist der entscheidende Punkt. Unsere Plattform muss von einer Person aus der Strafverfolgung mit einem Tweet oder Beitrag gefüttert werden. Sonst funktioniert es nicht. Das Personal der Strafverfolgungsbehörde, und das ist die Unterscheidung, die wir aus rechtlichen, aber auch aus ethischen Gründen treffen müssen, ist sich der Grenzen, innerhalb derer wir arbeiten, sehr bewusst, und wir wollen diese in keiner Weise verletzen.
00:28:52:18 - 00:29:23:01
Sven-Eric Fikenscher
So können unsere Strafverfolgungsbehörden sogar die Entscheidung treffen, ob sie einem Tweet oder Beitrag nachgehen oder nicht. Wenn sie unsere Plattform mit dem Tweet oder dem Beitrag gefüttert haben und diesen dann untersuchen müssen, dann kann unsere Plattform ihnen bei der Ermittlung helfen, indem sie sofort Reposts oder Retweets, Likes und Dislikes findet, was unserer Meinung nach eine Untersuchung enorm erleichtern kann, denn es kostet natürlich einen enormen Aufwand, diese Beweise manuell zu sammeln.
00:29:23:01 - 00:29:43:04
Sven-Eric Fikenscher
Es ist mühsam, zeitaufwendig und sehr fehleranfällig. Erkennen die Strafverfolgungsbehörden all dies sofort, können sie sich einen sehr guten Überblick verschaffen, nicht nur über die Popularität des zu untersuchenden Beitrags, sondern natürlich auch über alle weiteren Beiträge, die je nach dem genauen Inhalt und Kontext ebenfalls eine Ermittlung erfordern könnten.
00:29:43:07 - 00:29:46:14
Abigail Acton
So können sie beobachten, ob sich die Situation zuspitzt, an Dynamik hinzugewinnt.
00:29:46:16 - 00:30:10:15
Sven-Eric Fikenscher
Ganz genau. Ja, exakt so ist es. Das ist ein Teil davon. Das ist der Teil, auf den ich anspielte, als ich sagte, okay, wir versuchen, die Ermittlungen zu erleichtern. Wir haben uns auch damit beschäftigt, Gegenmaßnahmen zu erleichtern, um herauszufinden, wann solche Beiträge zu Gewalt in der Realität führen können, was eine noch größere Herausforderung darstellt. Doch wir haben ein Werkzeug entwickelt.
00:30:10:17 - 00:30:40:23
Sven-Eric Fikenscher
Wir konnten es noch nicht validieren, aber wir haben bereits ein Werkzeug entwickelt und integriert, das die zukünftige Verbrechenslandschaft abschätzt, die sich dort entfaltet, wo genau die Straftaten inmitten von Desinformationsaktivitäten wahrscheinlich stattfinden werden. Wie wir das geschafft haben? Wir nutzten Datensätze über Desinformationskampagnen und Datensätze über kriminelle Aktivitäten. Wir gleichen diese miteinander ab, damit wir berechnen können, wie Ersteres wahrscheinlich zu Letzterem führt.
00:30:41:00 - 00:31:08:10
Sven-Eric Fikenscher
Und wir versorgen die Strafverfolgungsbehörden mit diesen Informationsfragmenten. Sie werden natürlich viel besser in der Lage sein, auf die zu erwartenden Bedrohungen zu reagieren, indem sie zum Beispiel Polizeikräfte in die betroffenen Gebiete entsenden, die auf jegliche Herausforderung gut vorbereitet sein werden. Zum Beispiel könnten Unruhen entstehen, wenn im Zuge von Desinformationsaktivitäten rechte, linke oder andere extremistische Kräfte aufgehetzt werden.
00:31:10:02 - 00:31:27:02
Abigail Acton
Das Werkzeug muss ungeachtet der Tatsache, dass das Wort Desinformation für die Gesetzgebung schwer zu fassen ist, für sie sehr nützlich sein, um entscheiden zu können, wo ihre Ressourcen eingesetzt werden. Ich meine, es ist eine große Herausforderung, alle sind so angespannt. Und Sie erwähnten, dass es gegenwärtig in Pilotstudien getestet wird?
00:31:27:04 - 00:31:34:12
Abigail Acton
Haben Sie eine Vorstellung davon, wann dieses Werkzeug der Gesetzgebung und den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehen wird?
00:31:34:14 - 00:31:58:00
Sven-Eric Fikenscher
Das wird noch eine Weile dauern, aber wir entwickeln sogar mehrere Werkzeuge, die nun in der zweiten Hälfte des Projekts validiert werden sollen. Wenn wir in anderthalb Jahren fertig sind, werden wir unsere drei Anwendungsfälle für die Bereiche Rechtsextremismus, Linksextremismus und mit bestimmten Kodes zusammenhängenden Extremismus wiederholen, einen Nutzungsplan aufstellen und dann technische Partner mit der Entwicklung der Plattform
00:31:58:00 - 00:32:09:22
Sven-Eric Fikenscher
und ihrer verschiedenen Werkzeuge beauftragen. Von dort aus werden wir daran arbeiten, die Werkzeuge in ein Stadium zu bringen, in dem sie zu einem späteren Zeitpunkt vollständig erforscht werden können und hoffentlich marktreif sein werden.
00:32:09:24 - 00:32:29:14
Abigail Acton
Nun, ich danke Ihnen allen. Das war absolut faszinierend. Besonders interessant ist es, über Ideen nachzudenken, an die wir uns vielleicht gewöhnt haben, ohne daran zu denken, dass sie hinterfragt werden müssen, wie etwa die Vorstellung, dass Vertrauen und Misstrauen einander nicht ausschließen und dass es verschiedene Arten desselben Spektrums gibt. Faszinierend. Wirklich interessant. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
00:32:29:16 - 00:32:32:13
Abigail Acton
Und viel Glück bei Ihrer weiteren Forschungsarbeit. Auf Wiedersehen.
00:32:32:13 - 00:32:38:07
Vielen
Dank, Abigail, es war eine Freude, bei Ihnen zu sein. Vielen Dank an Sie alle. Es war mir ein Vergnügen, dabei zu sein.
00:32:38:07 - 00:32:39:15
Jan Kubik
Vielen Dank.
00:32:39:17 - 00:33:02:24
Abigail Acton
Sehr gern geschehen. Wenn Ihnen dieser Podcast gefallen hat, folgen Sie uns auf Spotify und Apple Podcasts und besuchen Sie die Podcast-Homepage auf der CORDIS-Website. Melden Sie sich an, damit Ihnen die spannendsten Forschungsergebnisse der EU-finanzierten Wissenschaft nicht entgehen. Und wenn Ihnen das Zuhören Freude bereitet, dann erzählen Sie es doch weiter. Möchten Sie mehr über die neuesten Arbeiten zu dem Thema erfahren, wie die Evakuierung von brennenden Schiffen effizienter vonstattengehen kann?
00:33:03:00 - 00:33:26:01
Abigail Acton
Oder wie mit modernster Technologie der genaue Nährstoffbedarf eines einzelnen Frühgeborenen ermittelt wird? Wussten Sie, dass Sensoren erprobt werden, die erkennen können, ob eine fliegende Mücke ein Weibchen ist, wie alt sie ist und ob sie das Zika-Virus trägt? In unseren 35 Folgen wird etwas dabei sein, das Ihre Neugierde weckt. Vielleicht möchten Sie wissen, was im Rahmen weiterer EU-finanzierter Projekte getan wird, um die Demokratie zu unterstützen.
00:33:26:03 - 00:33:47:15
Abigail Acton
Werfen Sie einen Blick auf unseren kürzlich veröffentlichten Results Pack, der jetzt auf der CORDIS-Website verfügbar ist. Neue Instrumente und Erkenntnisse, um Bürgerinnen und Bürger besser mit der Demokratie zu verbinden. Die Website hat Artikel und Interviews zum Inhalt, die sich von Wein bis Wetter mit den Forschungsergebnissen aus einem sehr breiten Spektrum von Bereichen und Themen befassen. Da ist etwas für Sie dabei! Vielleicht sind Sie auch an einem Projekt beteiligt oder möchten eine Finanzierung beantragen.
00:33:47:17 - 00:34:07:14
Abigail Acton
Schauen Sie sich an, was andere in Ihrem Bereich unternehmen, und informieren Sie sich über die Forschung, die zeigt, wie unsere Welt tickt. Wir freuen uns immer, von Ihnen zu hören. Schreiben Sie uns eine Nachricht. editorial@cordis.europa.eu Bis zum nächsten Mal.
Einblicke und Ideen Die Demokratie ist eine kollektive Errungenschaft, und das Jahr 2024 kann als ihr größtes Jahr bezeichnet werden. In acht der zehn bevölkerungsreichsten Länder der Welt werden 2024 Wahlen abgehalten. Der Prozess wird jedoch Herausforderungen, absehbare und bislang unbemerkte, mit sich bringen. Weltweit werden rund 1,5 Milliarden Menschen ihr Wahlrecht ausüben. Wie sicher ist unser demokratischer Prozess angesichts von Desinformationskampagnen im Internet, Falschmeldungen, der Auswirkungen der künstlichen Intelligenz und Echokammern in den sozialen Medien, und wie können wir ihn sicherer gestalten? Unsere drei Gäste, deren Forschung durch EU-Finanzmittel unterstützt wurde, erzählen uns, was sie unternehmen, um die Herausforderungen zu meistern, denen die Demokratie im 21. Jahrhundert standhalten muss: Ihnen geht es darum, herauszufinden, wie Vertrauen und Misstrauen entstehen, die Mechanismen zu verstehen, die dem zunehmenden Rechtspopulismus den Weg bereiten, und mithilfe von maschinellem Lernen festzustellen, wann sich Desinformation vom Internet-Chat zur realen Bedrohung entwickeln kann. Jan Kubik ist Professor für Politikwissenschaft an der Rutgers University in den USA und emeritierter Professor für Slawistik und Osteuropawissenschaften am University College London. Sein besonderes Interesse gilt dem Aufstieg des Rechtspopulismus, den er aus verschiedenen Blickwinkeln erforscht und dabei politische, kulturelle und wirtschaftliche Faktoren miteinander kombiniert. Kubik koordinierte das Projekt POBREBEL. David Dueñas-Cid ist außerordentlicher Professor an der Kozminski University (Leon Koźmiński-Akademie), Polen, und Leiter des Forschungszentrums für datengesteuerte Technologien im öffentlichen Sektor. Im Rahmen des Projekts ELECTRUST befasste er sich mit der Schnittstelle zwischen digitaler Soziologie und elektronischen Behördendiensten, d. h. E-Government, wobei elektronische Demokratie und elektronische Stimmabgabe eindeutig den Schwerpunkt bildeten. Sven-Eric Fikenscher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kompetenzzentrums für Polizei- und Sicherheitsforschung an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern, Fachbereich Polizei in Deutschland. Sein besonderes Interesse gilt der Weiterentwicklung unseres Verständnisses dafür, auf welche Weise Desinformationskampagnen im Internet Kriminalität nach sich ziehen können. Im Zuge des Projekts FERMI wird untersucht, wie dieses Wissen nutzbar ist, um die Strafverfolgungsbehörden dabei zu unterstützen, sich auf potenzielle Bedrohungen zu konzentrieren.
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