Genauerer Blick in das Erdinnere dank innovativer Modellierung
Naturgefahren – wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, langfristige Klimaveränderungen und Vererzung – stehen in direktem Zusammenhang mit Prozessen, die Dutzende oder sogar Hunderte Kilometer unter der Erdoberfläche geschehen. Doch aufgrund der immensen Tiefe und extremen Bedingungen stammt das Wissen zum Erdinneren hauptsächlich aus indirekter Forschung, insbesondere Seismologie – die Erforschung von Erdbeben und seismischen Wellen. Doch wie Manuele Faccenda von der Universität Padua erklärt, können die Messungen irreführend sein: „Tomographische Bilder sind mit Bildfehlern versetzt, die für echte Wärme oder Anomalien der Zusammensetzung gehalten werden können, sodass irreführende Deutungen aufkommen.“ Finanziert über den Europäischen Forschungsrat wurden im Projekt NEWTON mittels geodynamischer und seismologischer Modellierung neue seismische Bildgebungsverfahren entwickelt und validiert, um die Struktur und Dynamik des Erdinneren besser erforschen zu können. Ergänzt durch fortschrittliche geodynamische Simulationen wurde die Methodik auf die Cascadia-Subduktionszone angewandt, um mehr über deren komplexe unterirdische Struktur und tektonische Evolution zu erfahren.
Seismologische Simulationen verbessern
Bei der Tomographie wird mit durchdringenden Wellen ein Bild einer Struktur Abschnitt für Abschnitt erstellt. Diese Methode kommt in vielen Forschungsbereichen zum Einsatz, auch in der Geophysik, in der mit Messungen seismischer Wellen Bilder des Erdinneren geschaffen werden. Die standardmäßige seismische Bildgebung beruht auf seismischen Wellen durch natürlich entstandene Erdbeben und der Annahme, dass das Erdinnere isotrop ist – also lokal konstante physikalische Eigenschaften aufweist, unabhängig von der Richtung der seismischen Wellen. Doch in Wahrheit gibt es Hinweise auf Anisotropie, bei der die Wellengeschwindigkeit je nach Ausbreitungsrichtung variiert. Dadurch werden anisotrope Gebiete im Erdmantel als schnell oder langsam aufgezeichnet, selbst wenn keine thermischen oder kompositorischen Anomalien vorliegen. Das NEWTON-Team wollte die seismische Anisotropie bei der Bildgebung berücksichtigen. Für das 3D-Modell aus dem Projekt wird ein innovatives Inversionsverfahren angewandt, mit dem seismische Daten in die physikalischen Eigenschaften von Gestein umgewandelt werden. So wird die seismische Anisotropie im Gefüge des Mantelgesteins erfasst. Gefüge sind Mikrostrukturen, die bei der Gesteinsbildung entstehen, bzw. laut Faccenda eher bei der Verformung. „Wir wissen, dass das strukturelle Gefüge dieses Gesteins sich hauptsächlich durch Verformungen bildet. Also können wir die seismischen Daten invertieren, um die Evolution des Gesteins nachzubilden. Dadurch können wir die künstlichen Geschwindigkeitsanomalien bereinigen und einen genaueren Blick auf den Erdmantel erhalten“, erklärt Faccenda. Die Cascadia-Subduktionszone wurde aufgrund der hochwertigen seismischen Daten zu der konvergierenden Plattengrenze vom NEWTON-Team ausgewählt. „Wir fanden heraus, dass strukturelle Gefüge und Verformungen im Erdmantel häufiger vorkommen als bisher angenommen, jedoch mit geologischen Beobachtungen der Plattentektonik in der Region übereinstimmen. Wir konnten auch nachweisen, dass einige bekannte uneindeutige Geschwindigkeitsanomalien tatsächlich Bildfehler waren“, meint Faccenda. Mit den Projektergebnissen konnte auch eine seit langem geführte Debatte zur planetaren Dynamik und der kompositionellen Evolution geklärt werden: Die Gesteins- oder Mineralienschichten hatten tatsächlich nur wenig Auswirkungen auf das mechanische (elastische und viskose) Verhalten des Erdmantels.
Breitere Anwendung in wirtschaftlich kritischen Bereichen
Anders als viele Inversionsverfahren ist das von NEWTON im quelloffenen Softwarepaket ECOMAN verfügbar und auf jegliche natürliche Umgebung anwendbar. Mit dem Verfahren können zum Beispiel komplexe 3D-Krustenstrukturen erfasst werden. Das war bisher nur entlang der vertikalen oder horizontalen Ebene möglich. Jetzt können Fehler und Risse lokalisiert werden, um den Bergwerksbetrieb zu optimieren und die Gefahrenerkennung auszubauen. Derzeit untersucht das Team mit dem Verfahren Vulkane sowie Öl- und Geothermiefelder, die starke zeitabhängige Frakturierung vorweisen. „Mit unserer Methodik könnten geologisch wichtige Stätten wirksam beobachtet werden, um wichtige Informationen über die fortlaufende Entwicklung der Tiefenstruktur zu erhalten“, schließt Faccenda.
Schlüsselbegriffe
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