Neuer Ansatz in der Prothetik
Handprothesen haben sich vom einfachen Haken bis heute deutlich weiterentwickelt. Dank neuer Technologien und Fortschritte in der Robotik profitieren bereits viele Amputierte von hochfunktionellen Prothesen, die ein hohes Maß an Geschicklichkeit erlauben. Initiativen wie das EU-finanzierte Projekt MYKI sollen nun einen Schritt weiter gehen. „Schwerpunkt war für uns die Entwicklung und klinische Prüfung einer beweglichen Handprothese, die auf natürliche Weise gesteuert und als körperzugehörig empfunden wird“, so Projektforschungsleiter Christian Cipriani vom Institue of BioRobotics in Pisa, Italien. Und diesem Ziel wollte das vom Europäischen Forschungsrat finanzierte Projekt technisch näher kommen. „Mit den im Projekt entwickelten Technologien wurde erstmals eine myokinetische Schnittstelle in einen menschlichen Arm implantiert, der unterhalb des Ellenbogens amputiert wurde“, ergänzt Cipriani.
Forschung zur myokinetischen Schnittstelle
Eine myokinetische (muskelbewegende) Schnittstelle ist eine gänzlich neue Mensch-Maschine-Schnittstelle (human-machine interface, HMI), die sich das Magnetprinzip zunutze macht. Das System integriert zahlreiche implantierbare Magnete und externe magnetische Lesegeräte/Treiber, wird in das Muskelgewebe Amputierter implantiert und kann dort Bewegungen der Magnete lokalisieren und auch kleine Bewegungen auslösen. „Nach der Implantation liefert der Magnet entsprechend der Muskelbewegung direkte Messwerte in Form von Positionsdaten für die Muskelkontraktion und -dehnung, die vom Zentralnervensystem bewusst gesteuert wird“, erklärt Cipriani. „Indem ein Nebenprodukt der Muskelfaserbildung beobachtet wird, lassen sich Signale, die über efferente Nerven vom Gehirn an die Muskeln gesendet werden, entschlüsseln.“ Andererseits kann der externe Treiber Bewegung im implantierten Magneten induzieren und so einen wahrnehmbaren Reiz erzeugen, der über periphere Sinnesrezeptoren der Muskeln oder umliegenden Haut zum Gehirn weitergeleitet wird. Dank dieser Funktion könnten Berührungen und/oder propriozeptive Sinnesinformationen an das Gehirn übermittelt werden, um den physiologischen sensomotorischen Regelkreis wiederherzustellen. „MYKI integrierte passive Magnetimplantate, die weder Stromversorgung noch Kabel benötigen, sowie transkutane Lesegeräte/Treiber, um eine bidirektionale drahtlose Mensch-Maschine-Schnittstelle zu entwickeln, die deutlich leistungsfähiger ist als bisherige Schnittstellen“, so Cipriani.
Durchbruch in der Biomedizintechnik
Nach Zulassung durch die Ethikkommission und das italienische Gesundheitsministerium testete das Projekt die myokinetische Schnittstelle in einer ersten klinischen Studie. Dabei wurden die Magnete einer freiwilligen Versuchsperson implantiert, die die Prothese mit geschlossenem Regelkreis dann am amputierten Arm trug, wobei erste Ergebnisse laut Cipriani sehr vielversprechend sind. „Die erste Studie zu einer myokinetischen Schnittstelle am Menschen ist definitiv ein Durchbruch in der Biomedizintechnik und ein Erfolg für die europäische Forschung“, sagt er. „Bestätigt wird dies durch die vielen wissenschaftlichen Arbeiten, Projekte und führenden Fachkräfte, die unseren myokinetischen Ansatz nutzen wollen.“
Anwendungen jenseits der Handprothetik
Obwohl MYKI den Schwerpunkt auf Handprothesen legte, könnten myokinetische Schnittstellen für sämtliche Amputationen an oberen Gliedmaßen eingesetzt werden – von Handteilamputationen bis hin zur Schulterexartikulation. Zudem könnte das Prinzip an die Erfordernisse von Prothesen und Exoskeletten der unteren Extremitäten angepasst werden. „Wir hoffen, dass unsere Schnittstelle der Auftakt für eine neue Generation bionischer Gliedmaßen und Assistenzsysteme ist“, schließt Cipriani. „Durch Wiederherstellung des natürlichen sensorisch-motorischen Regelkreises könnten solche Prothesen und Geräte Amputierten weltweit ein deutlich mehr Lebensqualität bieten.“
Schlüsselbegriffe
MYKI, Prothetik, Prothesen, Handprothese, Mensch-Maschine-Schnittstelle, Magnete, Robotik, Amputation, myokinetische Schnittstelle, Biomedizintechnik, Exoskelett