Wann begann der Mensch mit der Nutzung von Straßen?
Die Erfindung der Straße haben wir den Pyramiden von Gizeh zu verdanken. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil unserer bebauten Umgebung und seit Jahrtausenden fest im menschlichen Dasein verankert. Ihre Bau- und Nutzungsweise verrät nicht nur viel über die modernen Gesellschaften und Volkswirtschaften unserer Zeit, sondern kann auch wichtige Erkenntnisse über die Vergangenheit offenbaren. Doch wann begann der Mensch eigentlich damit, Straßen zu nutzen? „Die allgemeine und ehrliche Antwort darauf lautet, dass sich das nur ganz schwer sagen lässt“, gibt Kalaycı zu. „Zunächst sollte man sich darüber im Klaren sein, was man mit Straße eigentlich meint: geht es um eine gebaute Straße oder um einen einfachen Geländeweg, der auf natürliche Weise dadurch entstand, dass sich Menschen und/oder Tiere kontinuierlich auf derselben Strecke bewegten?“ In letzterem Fall könnte man gewissermaßen philosophisch argumentieren, dass die ersten Straßen unmittelbar entstanden, nachdem der Mensch das Laufen lernte und damit begann, die Welt von seinem Ursprung in Afrika aus zu durchqueren – kurz gesagt, kann eine Straße also schlicht als eine Strecke aufgefasst werden, auf der sich Menschen kontinuierlich fortbewegen. Wie Kalaycı erklärt, waren es jedoch wahrscheinlich die alten Ägypter, die sich ganz bewusst um den Bau der ersten gepflasterten Straßen bemühten, als sie Pyramiden und andere Monumente errichteten, also zur Zeit des Alten Reiches etwa zwischen 2600 und 2200 v. u. Z. „Im Grunde ging es ihnen um eine angenehme, einfache und gerade Strecke zwischen dem Errichtungsstandort und dem Steinbruch, um das Baumaterial schnell und effizient transportieren zu können“, erläutert er. Allerdings muss hier angemerkt werden, dass die Archäologie nicht mit Sicherheit sagen kann, ob andere den alten Ägyptern nicht vielleicht zuvorgekommen waren. „Es könnte durchaus Nachweise gepflasterter Straßen geben … wir haben sie nur noch nicht gefunden“, räumt Kalaycı ein.
Die alten Straßen von Mesopotamien
Als ehemaliger Marie-Curie-Stipendiat, der am EU-finanzierten Projekt GeoMOP beteiligt war, konzentriert sich Kalaycı in seiner Forschung auf Obermesopotamien. Dieses Reich erstreckte sich über das heutige Gebiet der südlichen Türkei, des nördlichen Irak und des nördlichen Syriens und lag zwischen den bedeutenden Flüssen Euphrat und Tigris. Diese vorwiegend flache Region war die Heimat vieler der bekannteren alten Zivilisationen, wie den Akkadern und den Assyrern. „Die archäologischen Aufzeichnungen belegen, dass diese Region im Altertum zunehmend urbanisiert und dem Verkehr aufgrund der Veränderungen in der Wirtschaft und Gesellschaft deutlich mehr Bedeutung beigemessen wurde“, so Kalaycı. „Es entwickelte sich eine intensive Landwirtschaft, in deren Zuge es nötig wurde, die Bewegungen von den Städten zu den Dörfern und von den Weiden zum Markt straffer zu organisieren. Das führte dazu, dass sich Menschen und Tiere auf denselben Strecken bewegten und flachere Einsenkungen im Boden – sogenannte ‚Hohlwege‘ – verursachten, die bis heute bestehen.“ Genau darauf konzentrierte sich Kalaycı im Rahmen des Projekts GeoMOP, für das er anhand von Satellitenaufnahmen das Netz der antiken Straßen in der Region kartierte. Zu seinen Aufgaben gehörte es außerdem, nicht nur herauszufinden, wo sich die Straßen befanden, sondern auch, wie ihre Nutzung aussah. „Ich musste herausfinden, wie hoch das Verkehrsaufkommen auf jeder einzelnen Strecke war, was uns wiederum über die komplexe politische Ökonomie einer Region Aufschluss geben kann.“ Straßen waren für Kalaycı schon immer ein gewisses Faszinosum. „Das hat mit persönlicher Neugier zu tun, denn Straßen erfassen die Komplexität der Menschheit sehr gut. Beim Reisen auf einer Straße kann man lesen, essen, sich aufregen und fremde Leute kennenlernen. Straßen können interessante Aspekte der Vergangenheit beleuchten, die in der Archäologie sonst oft unbeachtet bleiben. Meine Arbeit hat daher das Ziel, ein auf den ersten Blick so unscheinbares menschliches Phänomen ein wenig sichtbarer zu machen.“ Klicken Sie hier, um mehr über die Forschung von Tuna Kalaycı zu erfahren: Auf den Straßen von Obermesopotamien: Wissenswertes über den Verkehr in der Bronzezeit
Schlüsselbegriffe
GeoMOP, Straßen, altes Ägypten, Archäologie, Mesopotamien, Hohlwege