Fortschrittlichere Theorien zur Übertragung von Krankheitserregern von Tieren auf den Menschen
Wie die COVID-19-Pandemie gezeigt hat, können Infektionskrankheiten unsere gesamte Lebensweise auf den Kopf stellen. Einer der wichtigsten grundlegenden Mechanismen, welche die Wissenschaft zu verstehen versucht, ist der Übertragungseffekt: wann und wie sich Krankheitserreger über die Artenschranke hinweg von Tieren auf den Menschen ausbreiten. Dies geschieht in der Natur zwar häufiger, doch nicht in einem solchen Tempo wie in den letzten Jahrzehnten. Ein Großteil dieses Anstiegs ist darauf zurückzuführen, dass der Mensch auf der ganzen Welt in die Lebensräume von Tieren eindringt und diese aus dem Gleichgewicht bringt, wie etwa mit der Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen in stark bewaldete und abgelegene Regionen. Das jüngste drastische Beispiel hierfür ist die Übertragung von SARS-CoV-2 aus einem Tierreservoir auf den Menschen, was zur verheerenden COVID-19-Pandemie führte. Weitere Beispiele sind HIV und Ebola. „Es ist klar, dass in naher Zukunft ein anhaltendes Risiko für neu aufkommende Infektionskrankheiten besteht. Um sich auf solche artenübergreifenden Erreger vorzubereiten, ist es entscheidend, die biologischen Mechanismen zu verstehen, die eine Übertragung begünstigen“, erklärt Benny Borremans, Krankheitsökologe an der University of California in Los Angeles, dem Projektpartner. Dies war das Ziel des EU-finanzierten Projekts SpiL. Im Rahmen von SpiL wurde ein außergewöhnlicher Datensatz zur Ausbreitung von Leptospira, einem bakteriellen Erreger, der Leptospirose verursacht, zwischen Populationen von Kalifornischen Seelöwen und Füchsen der Britischen Kanalinseln untersucht. „Das Projekt hat Konzepte und Fallstudien aus der Literatur zusammengetragen, um eine neue Theorie zur Übertragung von Krankheitserregern zwischen Ökosystemen aufzustellen“, so Borremans, leitender Forscher des Projekts SpiL und Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiat.
Wissenschaftliche Fortschritte
Das erste große Ergebnis betrifft ein weit verbreitetes Problem bei der Untersuchung der Ausbreitung von Krankheiten in einer Population: die Feststellung, wann genau ein Individuum infiziert wurde, insbesondere in Tierpopulationen. Bei einem vielversprechenden neuen Ansatz wird nun der Zerfall von Infektionsbiomarkern wie Antikörpern oder das Vorhandensein von genetischem Material des Erregers gemessen. Auf diese Weise können die Forschenden zurückrechnen, wann die Infektion stattfand. „Bisher wurden diese Analysen nur mit experimentellen Infektionsdaten durchgeführt. Deshalb bestand ein großer Fortschritt unserer Arbeit darin, die Verwendung reiner Felddaten zu ermöglichen“, erklärt Niel Hens, Professor für Biostatistik an der Universität Hasselt in Belgien und Projektkoordinator von SpiL. Durch eine neue statistische Analyse, die eigens vom Team erstellt wurde, konnten die Teammitglieder verschiedene Biomarker integrieren und so die Rückrechnung der Infektionszeit verbessern. „Diese Methode ist ein großer Fortschritt auf dem Gebiet“, ergänzt Hens. Die Arbeit war von unmittelbarem Nutzen für das Verständnis der Immunantwort gegen SARS-CoV-2, den Erreger der COVID-19-Erkrankung. So wurde eine Studie für schnelle Reaktionen unter der Leitung von Borremans bereits in der Fachzeitschrift ‘eLife’ veröffentlicht. Ein zweites wichtiges Ergebnis war die Entwicklung einer neuen Übertragungstheorie. Die Idee, dass das Zusammentreffen verschiedener Ökosysteme zu einer Übertragung führt, kursiert zwar bereits seit einiger Zeit, doch es fehlt ihr an theoretischen Fortschritten. „Durch die Zusammenfassung der Literaturquellen haben wir neue Konzepte zur Übertragung von Krankheitserregern in der Nähe von Ökosystemgrenzen entwickelt“, sagt Jamie Lloyd-Smith, Professor für Ökologie und Koordinator der Projektarbeit an der University of California. Die Ergebnisse könnten umgehend zur Verhinderung von Übertragungseffekten genutzt werden. „Wir kommen zu dem Schluss, dass es durchaus viele Gründe gibt, an Ökosystemgrenzen höhere Übertragungsraten zu erwarten, aber dass auch Mechanismen vorhanden sind, welche die Übertragungsraten verringern“, merkt Lloyd-Smith an.
Zukünftige Forschung
Um zukünftige Pandemien zu vermeiden und die Übertragung von Viren wirklich zu verstehen, müssen Forschende ein globales Überwachungsnetz einrichten, über das Proben von Wildtieren und Menschen kontinuierlich kontrolliert werden können. „Im Mittelpunkt vieler dieser Bemühungen stehen quantitative Modellierungsmethoden, wie sie im Rahmen von SpiL entwickelt wurden“, so Borremans abschließend.
Schlüsselbegriffe
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