Auf der Stelle laufende Mäuse führen uns zu den neuronalen Schaltkreisen, die den Reaktionen auf Bedrohungen zugrunde liegen
Das Gehirn nimmt eine enorme Menge an Informationen auf, die in kürzester Zeit Verarbeitung, Entscheidungsfindung und Maßnahmen erfordern. Die neuronale Aktivität mit dieser schnellen Abfolge von Ereignissen zu korrelieren, gelingt am besten mit Experimenten, die eine Art von Aufzeichnung oder Messung mit wachen Tieren kombinieren, die eine kontrollierte Verhaltensaufgabe ausführen. Das macht den Komplex jedoch noch komplizierter. Durch die Förderung eines Einzelstipendiums im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen konnte Yaara Lefler vom Sainsbury Wellcome Centre for Neural Circuits and Behaviour am University College London, UCL genau dies ermöglichen. Lefler entwickelte und implementierte im Projekt defence_SC ein neuartiges virtuelles Fluchtparadigma mit neuronalen In-vivo-Messungen.
Suche nach Schutz – an Ort und Stelle
Die neuronale Signalübertragung erfolgt größtenteils durch die Bewegung geladener Ionen, die Ströme und Spannungen erzeugen. Elektrophysiologische Aufzeichnungen sind dabei der Goldstandard, um neuronale Anregungen in den Griff zu bekommen. Allerdings sind winzige Geräte, die sehr kleine elektrische Schwankungen in einzelnen Neuronen auf sehr schnellen Zeitskalen messen, bei sich bewegenden Tieren erheblichen Störungen ausgesetzt. Lefler und ihr Team entwickelten einen einzigartigen Weg, um dies zu umgehen, indem sie Mäuse ihre Umgebung und nicht sich selbst bewegen ließen, um Schutz zu suchen. Sie erklärt: „Um ein realistisches Paradigma mit minimaler Kopfbewegung zu schaffen, haben wir einen schwebenden Käfig verwendet, der aus einer leichten Plattform mit einem auf einem Lufttisch schwebenden Schutzbereich besteht. Die Mäuse waren am Kopf fixiert, konnten aber beim Laufen die Plattform mit ihren Pfoten bewegen. Sie erkundeten die Umgebung, während sich die Plattform um sie herum bewegte, und betraten auf eigenen Wunsch auch den Schutzbereich.“
Ein virtuelles „Spukhaus“ für Mäuse
Das Interesse galt insbesondere dem Mittelhirn, dessen Einfluss auf das Abwehrverhalten bereits seit langer Zeit anerkannt wird. Verschiedene Unterbereiche des Mittelhirns sind an der sensorischen Verarbeitung von Bedrohungen, an der Fluchtreaktion und an der Erstarrungsreaktion beteiligt. Es ist jedoch unklar, wie die sensorische Integration erfolgt, um Bedrohungen zu signalisieren, oder welche neuronalen Substrate bei den beiden gegensätzlichen, sich gegenseitig ausschließenden, Flucht- oder Erstarrungsreaktionen auftreten. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, konfrontierte das Team die Mäuse entweder mit einem „drohenden Reiz“ – eine sich ausdehnende dunkle Scheibe, die ein sich näherndes Raubtier nachahmt (visuell) – oder einem Ultraschallreiz, der einen räuberischen Rattenruf nachahmt (auditiv). Siliziumsonden mit hoher Dichte zeichneten extrazelluläre Aktionspotenziale von Hunderten von Neuronen gleichzeitig auf, und Patch-Clamp-Aufzeichnungen ganzer Zellen erfassten synaptische Ereignisse bei einzelnen Neuronen.
Soll ich bleiben oder soll ich gehen
Mit all den vorliegenden Daten werden Analysen durchgeführt, die schon jetzt beginnen, neuronale Schaltkreise zu enthüllen, die der Reaktion auf Bedrohungen dienen. Lefler führt weiter aus: „Wir fanden Neuronen in bestimmten Regionen des Mittelhirns, die auf bedrohliche auditive Reize, visuelle Reize oder beides reagieren. Darüber hinaus sind wir auch auf Neuronen gestoßen, die ausschließlich während des Abwehrverhaltens reagieren statt auf einen bedrohlichen Reiz, der keine Verhaltensreaktion auslöste, was darauf hindeutet, dass sie als Teil des Verhaltensmechanismus aktiv sind.“ Die derzeitigen Bemühungen konzentrieren sich auf die Analyse der elektrophysiologischen Aufzeichnungen, um die synaptischen Mechanismen darzulegen, die zur Entscheidung zwischen Flucht und Erstarren führen. Lefler fügt hinzu: „Dieser einzigartige Aufbau bietet eine spannende Gelegenheit, die neuronalen Mechanismen der Entscheidungsfindung auf der Ebene einzelner Neuronen zu erforschen. Die Anwendungen können auch leicht auf andere Verhaltensweisen, andere Hirnareale und andere Arten erweitert werden.“ Mäuse, die ein horizontales Glücksrad drehen, weisen den Weg – obwohl sie dabei an Ort und Stelle treten.
Schlüsselbegriffe
defence_SC, Neuronen, virtuell, Entscheidungsfindung, Reaktion auf Bedrohungen, Abwehrverhalten, elektrophysiologisch, Mittelhirn, synaptisch, Aktionspotenzial