Mikrobielle Zellfabriken für nachhaltigere Produktionsverfahren
Die Menschheit hat es sich zur Gewohnheit gemacht, die von ihr benötigten chemischen Verbindungen aus fossilen Brennstoffen herzustellen, mit den bekannten Folgen in Form von hohem Energieverbrauch, CO2-Emissionen und der Freisetzung giftiger Abfallprodukte in die Natur. Aber was wäre, wenn wir unsere Aminosäuren, Lebensmittelfarbstoffe oder Kunststoffmonomere aus Mikroorganismen herstellen könnten? Schließlich sind doch auch fossile Brennstoffe mikrobiellen Ursprungs? Seit Jahren schon versucht die industrielle Biotechnologie, Mikroorganismen oder deren Enzyme zu nutzen, um Zucker in die vielen Verbindungen umzuwandeln, welche die chemische Industrie zur Verfügung stellt, allerdings durch einen nachhaltigeren Prozess. Um dies zu ermöglichen, müssen Forschende jedoch zuerst einmal herausfinden, welche Mikroorganismen welche Verbindung herstellen, und in welchem Umfang. „Die Idee besteht darin, Mikroorganismen zu konstruieren und sie zu ‚zwingen‘, ihre Energie in die Produktion von Chemikalien zu lenken, anstatt sich auf Wachstum und Replikation zu konzentrieren. Aber wir wissen oft nicht, wie wir die Produktbildung in dem jeweiligen Mikroorganismus maximieren können. Um dieses Problem zu umgehen, müssen wir Hunderte oder Tausende von Varianten desselben Mikroorganismus schaffen und sie einzeln charakterisieren. Das erfordert große Investitionen in der Form von Geld, Arbeitskraft und Zeit“, so Jan Marienhagen, Leiter der Abteilung Synthetische Zellfabriken am Forschungszentrum Jülich in Deutschland. Um diese Probleme zu überwinden, startete Marienhagen im Mai 2015 das Projekt CUSTOM-SENSE, das vom Europäischen Forschungsrat gefördert wird. „Wir haben zwei Kernziele“, erklärt er. „Das erste besteht darin, herauszufinden, ob wir Biosensoren entwerfen und konstruieren können, die in eine einzelne Zelle hineinschauen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, welche Mengen diese produziert. Das zweite ist, eine Lösung zu liefern, die es erlaubt, die Produktionskapazität von Millionen von Zellen sehr schnell zu bewerten, ohne sie kultivieren zu müssen.“
Biosensoren und Tracker
Konkret arbeitet CUSTOM-SENSE an einer Reihe von Biosensoren, die interessante Chemikalien direkt in einzelnen Zellen nachweisen können. Jeder Sensor tastet nach einer definierten Verbindung ab. Sobald er diese gefunden hat, zwingt er den Mikroorganismus, Fluoreszenz zu emittieren, während er diese Verbindung herstellt. Je mehr Verbindungen ein Mikroorganismus herstellt, desto mehr Fluoreszenz sendet er aus. Natürlich wäre es unmöglich, eine Zelle nach der anderen zu analysieren. Deshalb kombinieren Marienhagen und sein Team ihren Biosensor-Ansatz mit dem Einsatz von Vorrichtungen, die als fluoreszenzaktivierte Zellsortierer bezeichnet werden. „Wir können bis zu 80 000 Zellen pro Sekunde betrachten. Bei so viel ‚Screening-Leistung‘ bleibt die Idee, Tausende – oder sogar Millionen – von Zellvarianten zu produzieren und zu sehen, wie jede Veränderung die Produktbildung beeinflusst, nicht mehr lediglich ein Traum. Sie kann tatsächlich verwirklicht werden. Das führt nicht nur zu leistungsstarken Produktionsstämmen, sondern auch zu besseren Einblicken in den mikrobiellen Metabolismus“, stellt er fest. Das Projektteam hat bereits mehrere Biosensoren für Aminosäuren und aromatische Verbindungen von biotechnologischem Interesse entwickelt und sie mit dem fluoreszenzaktivierten Zellsortierer-Gerät kombiniert, um große Screening-Kampagnen durchzuführen. Auch wenn das Projekt erst im April 2021 abgeschlossen sein wird, gibt es bereits einige Erkenntnisse, die für Aufsehen sorgen. „Es ist uns insbesondere gelungen, die Spezifität eines Biosensors zu ‚schärfen‘, d. h. wir konnten eine Spezifität des Biosensors entfernen, ohne die Reaktion auf einen anderen Metaboliten von Interesse zu verändern. Dies wurde noch nie zuvor durchgeführt und wurde kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht. In der Zwischenzeit haben wir eine ganze „Biosensoren-Familie“ für sehr unterschiedliche aromatische Verbindungen entwickelt. Alle diese Biosensoren können mit fluoreszenzaktivierten Zellsortierern kombiniert und direkt eingesetzt werden“, fügt Marienhagen hinzu. In den nächsten Monaten will das Team weiter an computergestützten Algorithmen arbeiten, um die Veränderungen in 100 verschiedenen Stammvarianten zu untersuchen, die mit den Biosensoren des Projekts verbessert wurden. Es wird erwartet, dass solche Studien zu einem besseren Verständnis des mikrobiellen Metabolismus beitragen und schließlich zu mehr industriellen Anwendungen für Mikroorganismen führen werden, was wiederum zu einem umweltfreundlicheren europäischen Industriesektor führen würde.
Schlüsselbegriffe
CUSTOM-SENSE, Chemikalien, Industrie, Mikroorganismen, Biosensoren