Adipöse Kinder könnten von fortschrittlicher Blutflussüberwachung profitieren
Adipositas im Kindesalter gilt als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Laut dem EU-Aktionsplan (2014–2020) waren im Jahr 2010 allein in Europa 33 % der Sechs- bis Neunjährigen adipös oder übergewichtig – ein Anstieg um 8 % in nur zwei Jahren. Adipöse Kinder haben ein höheres Risiko, auch im Erwachsenenalter adipös zu sein, sowie ein höheres Risiko für eine Vielzahl chronischer, nicht übertragbarer Erkrankungen und einen vorzeitigen Tod. Sie leiden häufiger als normalgewichtige Kinder unter einem hohen Cholesterinspiegel und frühen Anzeichen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es wird angenommen, dass die mit diesen Erkrankungen eng verbundene Hämodynamik durch die Adipositas negativ beeinflusst wird. Das Forschungsteam des im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen unterstützten Projekts CALLIRHEO verwendete kontinuierliche 3D-Daten aus mehreren Scans zur erstmaligen Erstellung hochpräziser Modelle des gesamten patientenspezifischen arteriellen Gefäßsystems, beginnend bei der Aortenwurzel bis hin zu den kleineren Arterien im Arm. Dadurch kann das Team den Zusammenhang zwischen Blutfluss und Markern für flussbedingte Erkrankungen untersuchen. Das Projektteam erfasste außerdem patientenspezifische Phasenkontrast-MRT-Daten von normalgewichtigen und adipösen Menschen, die Messungen der Blutflussgeschwindigkeit erlaubten. Durch die Kombination dieser Daten mit mehreren Methoden der numerischen Strömungsmechanik konnten personalisierte, mehrskalige Modelle erstellt werden, die in der klinischen Praxis hilfreich sein können. „Zum ersten Mal betrachtete die Forschung Adipositas im Kindesalter aus hämodynamischer Sicht unter Verwendung fortschrittlicher numerischer Strömungsmechanik“, sagt Asimina Kazakidi, Stipendiatin der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen. „Der wissenschaftliche Einfluss von CALLIRHEO ist sowohl für die numerische Modellierung als auch die Biomedizintechnik wahrscheinlich sehr hoch.“
Die Bedeutung der Hämodynamik
Die Hämodynamik gilt als der zugrundeliegende Mechanismus für die frühe Bildung atherosklerotischer Läsionen, wobei es durch die Entstehung von Plaques bestehend aus Fett, Cholesterin und Calcium zu einer Arterienverengung kommt. Diese Plaques schädigen die Arterienwand und beeinträchtigen ihre Funktion. Dieser Prozess ist eines der frühen Anzeichen für die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Forschungsteam von CALLIRHEO nutzte die Methoden der numerischen Strömungsmechanik, da sie auf einzigartige Weise patientenspezifische Simulationen der komplexen Arteriennetze ermöglichten. Die Netze dienen dann der Untersuchung der durch Adipositas induzierten Gefäßveränderungen. „Die numerische Strömungsmechanik ist eine attraktive Methode, da sie die Quantifizierung von Variablen ermöglicht, die im Menschen oder in der Zellkultur nur schwer gemessen werden können. Diese Art der numerischen Modellierung erfährt heute eine große Akzeptanz bei der Verwendung für die prädiktive Behandlung und Operationsplanung, da sie die Visualisierung möglicher Ergebnisse erlaubt und die Entscheidungsfindung verbessert“, erklärt Kazakidi. Zur Erprobung des Ansatzes betrachtete das Forschungsteam etwa 20 patientenspezifische Datensätze aus dem Universitätsklinikum Queen Elizabeth in Glasgow, Schottland. Diese Tests zeigten einen starken Zusammenhang zwischen dem Blutflussverhalten und den Markern für flussbedingte Erkrankungen. Die Ergebnisse wurden auf mehreren nationalen und internationalen Konferenzen vorgestellt und in Zeitschriftenartikeln veröffentlicht.
Reduzierung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Zwar ist Adipositas eine ernährungsbedingte Erkrankung, die durch eine hohe Kalorien- und Fettaufnahme verursacht wird, doch die zugrundeliegenden Ursachen sind multifaktoriell und umfassen verschiedene Entscheidungen hinsichtlich der Umwelt, Kultur und Lebensweise. Durch Öffentlichkeitsarbeit, beispielsweise in Grundschulen und Wissenschaftszentren, konnte das Projektteam das Bewusstsein bei Kindern und Erwachsenen für die Auswirkungen der Adipositas auf die Gesundheit wie das größere Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. „Diese Forschung könnte durch das bessere Verständnis der von Adipositas verursachten Gefäßveränderungen bei Kindern signifikante soziale Auswirkungen sowie Auswirkungen auf das Gesundheitswesen und die Medizinwissenschaft zum Voranbringen neuer Methodologien haben“, merkt Kazakidi an. Das Projektteam baut derzeit Kooperationen mit kanadischen und britischen Universitäten auf, um so Zugang zu einer größeren Anzahl patientenspezifischer Datensätze zu erhalten. Dadurch kann die Richtigkeit des Modells weiter abgesichert und die Untersuchung auf unterschiedliche Geschlechter- und Altersgruppen sowie BMI-Gruppen ausgeweitet werden.
Schlüsselbegriffe
CALLIRHEO, Adipositas im Kindesalter, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, numerische Strömungsmechanik, Gefäße, Hämodynamik, Cholesterin, Arterie, Modelle