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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Grammatik aus der Perspektive zweisprachiger Personen

Dass sich Zweisprachigkeit stark auf die Sprachentwicklung auswirkt, ist bekannt. Doch es gibt hier noch viel zu erforschen. Einer dieser Aspekte hat damit zu tun, wie zweisprachige Menschen, denen eine Sprache gemeinsam ist, ihre eigene Grammatik aufbauen oder mit sogenannten „grammatischen Illusionen“ anders umgehen.

Wenn es um den Spracherwerb geht, sind wir nicht alle gleich. Einige von uns sprechen nur unsere Landessprache, kommunizieren aber zu Hause in einem regionalen Dialekt. Andere wiederum mussten in ihrer frühen Kindheit mit mehreren Sprachen gleichzeitig umgehen. Bei wieder anderen Menschen ergab sich eine ähnliche Situation beim Umzug in ein anderes Land. Das Spektrum der möglichen Sprachkombinationen und -kontexte, die zu diesen Kombinationen führen, könnte einen in der Tat ohne Weiteres schwindlig werden lassen. Diese vielschichtige Zweisprachigkeit stand im Mittelpunkt des Projekts DIVA (Disentangling variation: A crosslinguistic investigation of bilingualism and non-standardization) von Marit Westergaard und Evelina Leivada. Gemeinsam erforschten sie verschiedene Kombinationen von Griechisch und anderen Sprachen oder Dialekten, um herauszufinden, wie sie sich auf die Sprachentwicklung und die Grammatik auswirkten.

In Ihrem Projekt untersuchen Sie, welche Auswirkungen die Zweisprachigkeit auf die Sprachentwicklung hat. Welche Wissenslücken wollten Sie füllen und warum war das wichtig?

Westergaard: Im Rahmen von DIVA haben wir verschiedene Gruppen zweisprachiger Personen untersucht, darunter Sprecherinnen und Sprecher von Nichtstandardvarietäten. Unser Ziel war es herauszufinden, wie bestimmte Entwicklungsverläufe – etwa bei Menschen, die als Erwachsene mit einer Zweitsprache in Kontakt kamen, Menschen, die seit ihrer Geburt zwei oder mehr Sprachen sprechen usw. – verschiedene Bereiche der Grammatik beeinflussen. Am Ende hatten wir mehr als 500 Menschen in verschiedenen europäischen Ländern getestet. Solche grenzübergreifenden großangelegten Tests sind äußerst schwierig in der Durchführung, insbesondere wenn unter den jeweiligen Sprachgemeinschaften auch Sprecherinnen und Sprecher von Minderheiten- oder Nichtstandardsprachen sind. Leivada: Die gesammelten Datensätze sind an sich schon eine Neuheit. Unter theoretischen Gesichtspunkten gehen wir eine Wissenslücke über die Frage an, wie Menschen mit unterschiedlichen Entwicklungsverläufen grammatische Illusionen verarbeiten. Dabei handelt es sich um Sätze, die ungrammatisch sind, aber so aussehen, als seien sie grammatisch korrekt, zum Beispiel: „Lass uns nicht mehr streiten.“ Ähnlich wie optische Illusionen bringen uns linguistische Illusionen dazu anzunehmen, dass Sätze wohlgeformt sind, oder rufen eine fehlerhafte Antwort hervor. Bei der Moses-Illusion etwa wird gefragt, wie viele Tiere einer Art Moses auf die Arche brachte. Die meisten Menschen antworten „Zwei“, weil sie von der Art der Frageformulierung auf die falsche Fährte geführt werden und nicht bemerken, dass Moses statt Noah genannt wurde. Ein Aspekt des DIVA-Projektes bestand in einem Vergleich zwischen Menschen mit unterschiedlichen Entwicklungsverläufen, bei dem herausgefunden werden sollte, wie gut sie grammatische Illusionen erkennen. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass zweisprachige Menschen besser abschneiden, aber langsamer sind. Dieser Beweis für einen neuartigen bilingualen Zielkonflikt hilft uns dabei, die Unterschiede bei der Sprachverarbeitung zwischen verschiedenen Populationen (einsprachige Menschen und verschiedene Typen zweisprachiger Menschen) besser zu verstehen.

Sie erwähnten, dass Ihr Projekt mit mehr als 500 getesteten Personen quantitativ überzeugt. Was ist an Ihrem Forschungsansatz außerdem besonders innovativ?

Westergaard: Die erste Innovation von DIVA ist die komparative Methode. Sie erfasst sowohl grammatische Bereiche als auch Entwicklungsverläufe. Was die Methodik betrifft, bestand die wichtigste Innovation wohl in der Auswahl der getesteten Sprachgruppen. Zypriotisches Griechisch wird in der Forschung weitgehend vernachlässigt und hat nicht den Status einer Amtssprache. Die sprachliche Realität in Zypern ist diglossisch: Die Einwohner bringen ihre lokale Varietät des zypriotischen Griechisch mit Standardgriechisch, der Amtssprache, unter einen Hut. Sie sprechen zwei Varietäten derselben Sprache. Aus verschiedenen Gründen war das linguistische Profil dieser Bevölkerung bis vor Kurzem nicht systematisch entwickelt. Indem wir das mit Untersuchungen zweisprachiger Sprecherinnen und Sprecher kombinierten, die Standardgriechisch und Norwegisch, Schwedisch oder Dänisch sprechen, haben wir effektiv ein neuartiges Netzwerk für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Sprachgemeinden in fünf europäischen Ländern (Zypern, Dänemark, Griechenland, Norwegen und Schweden) aufgebaut. Außerdem wurde das Phänomen der grammatischen Illusionen und die potenziell unterschiedliche Leistung zweisprachiger Menschen beim Erkennen der Illusion vor DIVA noch nie erforscht.

Sie haben sich also auf Skandinavien, Zypern und Griechenland konzentriert. Warum ausgerechnet diese Regionen?

Leivada: Wir haben verschiedene grammatische Phänomene anhand von offline und online gesammelten Antworten untersucht. Bei einem Beispiel ging es um die Einschätzung, wie gut oder schlecht sich ein Satz anhört, und darum, wie schnell diese Einschätzung zustande kommt. Damit das funktioniert, musste die Untersuchungssprache für alle Teilnehmer gleich bleiben. Denn grammatische Phänomene werden in verschiedenen Sprachen auf unterschiedliche Weise grammatikalisiert, und derartige Unterschiede hätten die Reaktionszeiten beeinflusst. Die Wahl auf Griechisch als Untersuchungssprache fiel aufgrund meiner eigenen Expertise. Norwegen wurde aus zwei Gründen als Ausgangsland ausgesucht: seine wachsende griechische Gemeinde und die Tatsache, dass sich dort die Gruppe Language Acquisition, Variation & Attrition („Spracherwerb, -variation & -erosion“: LAVA, derzeit AcqVA Aurora) unter der Leitung von Westergaard befindet. Der Fokus der Gruppe liegt auf Sprachvariation unter verschiedenen Rahmenbedingungen. Das war ein ausgezeichneter Standort für DIVA.

Was waren rückblickend die wichtigsten Ergebnisse des Projekts in Bezug auf Unterschiede zwischen der Sprachverarbeitung bei einsprachigen und bei zweisprachigen Menschen?

Westergaard: Zweifellos die Erkenntnis, dass wir künftig einen neuen Ansatz benötigen, um die langjährige Debatte um die Auswirkungen der Zweisprachigkeit auf die Kognition zu klären. Wir haben kürzlich gemeinsam mit Jason Rothman und Jon Andoni Duñabeitia einen Fahrplan für künftige Forschungsarbeiten zu diesem Thema veröffentlicht.

Welche Langzeitauswirkungen des Projekts erhoffen Sie sich?

Leivada: Wir hoffen, dass DIVA den Stimmen, die die Forschung dazu aufrufen, sterile Dichotomien hinter sich zu lassen, ein überzeugendes Argument liefert. Bei diesen Dichotomien wird die Tatsache ignoriert, dass mit Zweisprachigkeit auch ein reichhaltiger Erfahrungsschatz einhergeht.

Haben Sie die Ergebnisse seit Projektende weiterverfolgt? Wenn ja, wie?

Leivada: Die Projektfinanzierung ist beendet, nicht aber unsere Arbeit an dem Thema! Wir arbeiten immer noch an den Ergebnissen von DIVA, analysieren Datensätze, planen neue Projekte. Und wir glauben, dass noch interessantere Erkenntnisse auf uns warten. Das ist ein wichtiger Vorteil der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen. Bei diesen Stipendien geht es um die Entwicklung neuer Forschungskompetenzen unter der Aufsicht hochqualifizierter Experten, während gleichzeitig die Mobilität vorangetrieben und großartige Vernetzungsmöglichkeiten geschaffen werden. Diese Projekte fördern langfristig stabile Verbindungen. Westergaard: Einer unserer Pläne für die Zukunft – auch im Kontext des seit Kurzem finanzierten AcqVA-Aurora-Zentrums – besteht darin, eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Laboren zu realisieren, wie sie in unserem Fahrplan für künftige Forschungsarbeiten vorgestellt wird. Der Schwerpunkt wird auf der Zweisprachigkeit und ihren Auswirkungen auf die Neurokognition liegen. Genauer gesagt schwebt uns eine laborübergreifende Zusammenarbeit vor, die verstehen möchte, ob bestimmte Kontexte der Zweisprachigkeit die Erfassung kognitiver Effekte besser ermöglichen als andere Kontexte.

Schlüsselbegriffe

DIVA, zweisprachig, Sprachentwicklung, Grammatik, grammatische Illusionen, LAVA