Ein Ökosystem für die integrierte Pflege von multimorbiden Patientinnen und Patienten
Rund 50 Millionen Menschen in Europa leben mit Multimorbidität, dem gleichzeitigen Auftreten von zwei oder mehr chronischen Erkrankungen. Bei den meisten Pflegekonzepten steht eine einzige Erkrankung im Mittelpunkt der Behandlung. Dieser Ansatz eignet sich aufgrund der Komplexität der verschiedenen Krankheitssymptome, Medikamente und Termine bei medizinischen Fachkräften nicht immer für multimorbide Patientinnen und Patienten. Bei einer unsachgemäßen Handhabung kann das zu Verwirrung und möglicherweise zu Gefahren für die Betroffenen führen.
ProACT: eine digitale Lösung für die Selbstüberwachung von chronischen Erkrankungen und Multimorbidität
Damit Patientinnen und Patienten sowie deren Pflegepersonen eine aktive Rolle in der Selbstüberwachung und Pflege spielen können, entwickelte das EU-finanzierte Projekt ProACT ein digitales, integriertes Pflegesystem, das die Überwachung von mehreren Erkrankungen unterstützt. „Wir hatten uns zum Ziel gesetzt, die integrierte Pflege voranzubringen. Deshalb wollten wir den Betroffenen, ihren Pflegepersonen sowie den Sozial- und Gesundheitsdiensten eine einzige digitale Plattform zur Überwachung mehrerer chronischer Erkrankungen zur Verfügung stellen. ProACT bietet ein Paket an digitalen Applikationen und Technologien, die die Überwachung von mehreren Erkrankungen und eine Pflege, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht, wirksam unterstützen. Das Projekt will durch Echtzeit-Feedback für Einzelpersonen rund um die Uhr außerdem das beste Pflegesystem bereitstellen“, erklärt Projektleiter John Dinsmore. Auf der Plattform können multimorbide Patientinnen und Patienten mithilfe einer mobilen Applikation für den einzelnen Nutzer sowohl gesundheitliche Symptome (wie Blutzucker und Blutdruck) sowie ihr Wohlbefinden (wie Bewegung und Schlaf) im Auge behalten. Diese Daten erfasst und analysiert ProACT mithilfe einer mobilen App und einem maßgeschneiderten Set an Instrumenten aus tragbaren und medizinischen Geräten, die an das Krankheitsprofil jedes einzelnen Nutzers angepasst sind. Anschließend stehen die Daten den Patientinnen und Patienten und ihrem Netzwerk aus Pflegekräften, Angehörigen usw. durch eine Reihe von CareApps zur Verfügung. Dort werden sowohl personalisiertes Feedback als auch Schulungen und Anleitungen für die spezifischen Bedürfnisse des Nutzers angeboten (z. B. Schulungen über Herzinsuffizienz oder Diabetes und Anleitungen für die Nutzung der Applikation und der Geräte). Das ProACT-System wurde für Diabetes, Herzerkrankungen, chronische Herzinsuffizienz und chronisch obstruktive Lungenerkrankung entwickelt, hat aber das Potenzial, für andere Erkrankungen weiterentwickelt zu werden. Über 160 wichtige Interessengruppen wie Allgemeinärztinnen und -ärzte, Apothekerinnen und Apotheker, Pflegekräfte und Krankenhausberaterinnen und -berater aus den teilnehmenden Ländern waren am gemeinsamen Design und der Entwicklung der Plattform beteiligt. Daten von 8 504 Erwachsenen aus der TILDA-Studie (The Irish Longitudinal Study on Ageing) wurden für das Training des Systems mit künstlicher Intelligenz über die zentralen Erkrankungen in ProACT angewendet.
Akzeptanz und Zukunftsaussichten
ProACT wurde in einer Machbarkeitsstudie in drei EU-Mitgliedsstaaten (Belgien, Irland und Italien) an 144 Personen getestet. Die Ergebnisse sind vielversprechend. Die Maßnahmen waren erfolgreich: Die Teilnehmenden änderten ihr Verhalten nachhaltig und fingen an, eine digitale Lösung zur Selbstüberwachung zu nutzen. Außerdem legten die Patientinnen und Patienten ein verbessertes gesundheitliches Bewusstsein an den Tag, ernährten sich gesünder und bewegten sich mehr. Sie lernten auch, besser mit ihren Symptomen umzugehen. In gleichem Maße sprachen sich Pflegepersonen und Angehörige der Gesundheitsberufe für den flexiblen Ansatz von ProACT aus, mit dem die Patientinnen und Patienten durch die maßgeschneiderten CareApps überwacht wurden. „Der bedeutendste Erfolg des Projekts war zweifellos die Entwicklung eines einzigen digitalen Systems, das die Überwachung mehrere Erkrankungen unterstützt und dabei die integrierte Pflege sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für das Netzwerk ihrer Pflegenden verbessert. Soweit wir wissen ist ProACT das erste System, das dieses Ziel erfüllt“, betont Dinsmore. Das auf Verhaltenswissenschaften basierende Design und der Ansatz, bei dem die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt stehen, hat das Verständnis von digitaler Pflege für Menschen mit mehreren chronischen Krankheiten in der EU deutlich vorangebracht. Dieses Gebiet war in den Gesundheitssystemen der EU bisher zu wenig erforscht gewesen. Darüber hinaus hat das Projekt deutliche Leitlinien zur Verfügung gestellt, um das Potenzial für die Übertragbarkeit solcher digitaler Plattformen für eine erfolgreiche Integration in die europäischen Gesundheitssysteme zu optimieren. ProACT erhielt eine Auszeichnung der Irish Healthcare Awards 2018 und war 2019 für die European Data Science Awards nominiert. Für die Weiterentwicklung der Plattform und verbundene Forschungsprojekte wurden mehrere Finanzhilfen gesichert, denn für Februar 2020 sind weitere Versuche geplant. 2020 soll außerdem ein Spin-off-Unternehmen gegründet werden, das die gemeinsamen Ergebnisse des Projekts ProACT sowie weiterer laufender Forschungsaktivitäten ausschöpfen soll.
Schlüsselbegriffe
ProACT, Gesundheitswesen, integrierte Pflege, multimorbide Patienten, Selbstüberwachung, Überwachung von Erkrankungen, mobile Applikation, digitale Gesundheit, elektronische Gesundheitsdienste, mHealth