Forscher entdecken Proteingruppe als Ursache für über 130 Gehirnerkrankungen
Forscher haben eine Gruppe von mehr als 1.400 Proteinen im menschlichen Gehirn als Ursache für mehr als 130 Gehirnerkrankungen entdeckt. Ihre im Fachblatt Nature Neuroscience veröffentlichten Forschungsergebnisse könnten die Entwicklung von Therapien für eine ganze Reihe von Krankheiten vorantreiben und liefern auch neue Einblicke in die Evolution menschlichen Verhaltens. Zum Teil wurde die Studie von der EU finanziert. Die Entdeckung betrifft Proteine der postsynaptischen Dichte (postsynaptic density, PSD). Synapsen sind die Verbindungen zwischen den Nervenzellen des Gehirns, PSD wiederum ist eine Struktur von Synapsen und besteht aus vielen eng gekoppelten Proteinen. Tierversuche hatten ergeben, dass die PSD-Proteine einer Reihe von Erkrankungen zugrunde liegen und auch das Verhalten in gewisser Weise prägen können, am Menschen wurden diese Zusammenhänge bislang aber kaum erforscht. In der neuen Studie analysierten britische Forscher die PSD-Proteine von neun Erwachsenen, die bei einer Gehirnoperation entnommen wurden. Wie sich zeigte, besteht eine menschliche PSD-Struktur aus 1.461 Proteinen, von denen jedes durch ein anderes Gen kodiert wird. Mutationen in diesen Genen sind auch die Ursache für 133 neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Ein Siebtel der PSD- Proteine ist, so die überraschende Entdeckung, allein für eine bekannte klinische Störung verantwortlich, die Hälfte davon steht außerdem zusätzlich noch mit anderen Erkrankungen im Zusammenhang. Um dieses komplexe Proteinnetzwerk besser analysieren zu können, entwickelten die Forscher eine molekulare Karte, die die Zusammenhänge zwischen Protein und assoziierter Krankheit darstellt. "Wir entdeckten, dass PSD-Proteine für über 130 Gehirnerkrankungen auslösende Ursache sind - weit mehr, als man erwartet hatte. Hierzu zählen Demenzerkrankungen wie Alzheimer-, Parkinson- und andere neurodegenerative Erkrankungen, aber auch Epilepsie und kindliche Entwicklungsstörungen wie Autismus und Lernbehinderungen", erklärte Professor Seth Grant vom Wellcome Trust Sanger Institute. "Da oftmals ein und dieselbe Proteingruppe an der Entstehung mehrerer Erkrankungen beteiligt ist, könnte es möglicherweise schon bald Therapien für eine Vielzahl von Erkrankungen geben, sowie neue diagnostische Verfahren, um Gehirnerkrankungen schneller zu identifizieren." Mutationen in Genen, die für PSD-Proteine kodieren, sind auch Ursache für Verhaltensauffälligkeiten wie Lern-, Gedächtnis- und Emotionsstörungen, Launenhaftigkeit, Suchtgefahr und Drogenmissbrauch. Die Forscher interessierten sich zudem für die Evolution dieser PSD-Gene. Sie verglichen hierfür PSD-Sequenzen sowohl von Menschen und anderen Primaten (Schimpansen und Makaken) als auch von Mäusen und Ratten - relativ weit entfernten Verwandten des Menschen. Die Analysen zeigten, dass die PSD-Gene und damit auch die Proteine, für die sie kodieren, sich sehr viel langsamer entwickelten als andere Gene. Die Forscher vermuten, dass hier die hohe Interaktionsrate zwischen den verschiedenen PSD-Proteinen eine Rolle spielen mag, da der Zusammenhang zwischen langsamer Evolution und hoher Interaktionsrate war auch von anderen Proteinen bekannt ist. "Die stark konservierte Struktur dieser Proteine lässt vermuten, dass dieser Zusammenhang zwischen Mutationen, Verhalten und Krankheiten seit Millionen von Jahren mehr oder weniger gleich geblieben ist", sagt Professor Grant. "Zudem zeigte sich, dass die Synapsen von Nagetieren denen von Menschen viel ähnlicher sind als bislang vermutet. Daher eignen sich auch Mäuse und Ratten zur Erforschung menschlicher Gehirnerkrankungen." Die Daten wurden von den Forschern auf der Webseite des Programms "Genes to Cognition" veröffentlicht, mit der die Ursachen von Gehirnerkrankungen und Verhaltensstörungen auf molekularer Ebene verständlicher gemacht werden sollen.
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