Trotz rückläufiger Krebssterblichkeit in Europa mehr Prävention erforderlich
Obwohl weniger Menschen in Europa an Krebs sterben, hat die Zahl der Erkrankungen im Zeitraum zwischen 2002 und 2008 um fast 20% zugenommen, wie aus einer Sonderausgabe des European Journal of Cancer (EJC) vom 13. September hervorgeht. Die im EJC, der offiziellen Zeitschrift der European Cancer Organisation (ECCO), vorgestellten Studien wurden durch das Projekt EUROCADET (The impact of key determinants on the current and future burden of cancer in Europe) finanziert, das im Rahmen der bereichsübergreifenden Aktivität "Politikorientierte Forschung" Mittel in Höhe von 987.000 EUR durch das Sechste Rahmenprogramm (RP6) erhielt. In einem dieser Berichte befürchtet Dr. Jos M. Martin-Moreno von der Universität Valencia, Spanien, dass durch die derzeitige Wirtschaftskrise auch die Zahl der Neuerkrankungen in vielen Bereichen steigen könnte, u.a. weil Pharmahersteller und Regierungen ihre Mittel für Forschung und Entwicklung (F&E) zusammenstreichen, öffentliche Spendengelder aus karitativen Organisationen für die Krebsforschung versiegen und berufsbedingte Krebsrisiken steigen könnten. "Sowohl Privatunternehmen als auch Regierungen sparen in wirtschaftlichen Krisenzeiten vorrangig an Arbeitsschutzmaßnahmen", erklärt Dr. Martin-Moreno, "und das betrifft vor allem kleinere Unternehmen oder Entwicklungsländer." Eine südkoreanische Studie aus den späten 90iger Jahren enthüllte eine umgekehrte Proportionalität zwischen Kosteneinsparungen bei Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen und Konkurswahrscheinlichkeit eines Unternehmens. "Das verdeutlicht die ausweglose Lage vieler Unternehmen, wenn sie sich entscheiden müssen, ob sie in Krisenzeiten die Sicherheit ihrer Arbeiter oder das eigene Überleben aufs Spiel setzen", so Dr. Martin-Moreno. "In Branchen mit hohem potenziellen Krebsrisiko wie Bergbau vervielfacht sich dieser Effekt noch." Die Forscher weisen darauf hin, dass bei der Krebsprävention viele Faktoren wie genetische Veranlagung, Umweltbedingungen, Arbeitssituation, Lebensweise, Infektionen und Zugang zu Präventionsmaßnahmen berücksichtigt werden müssen. Idealerweise sollte die Krebsprävention also mit Maßnahmen zur Prävention von Bluthochdruck und Reduzierung von Treibhausgasemissionen einhergehen. Den Forschern zufolge müssen die Menschen sich dies bewusst machen und entsprechend handeln, um die Zahl der Neuerkrankungen zu senken, denn es sind die Menschen selbst, die den hohen Preis zahlen. Auch Gesundheitssysteme bekommen den Druck zu spüren, da Behandlungskosten in die Höhe schießen und Gelder für Therapien und Pflege knapp werden. Dabei sei nur ein geringes Umdenken nötig, so die Meinung von Experten, damit Krebspräventionsmaßnahmen in Krisenzeiten stärker greifen statt den umgekehrten Effekt zu erzielen. Eine gesündere Lebensweise senkt Kosten, da viele Krebserkrankungen gar nicht erst entstehen. "Regierungen könnten hier Einfluss nehmen, indem sie Tabakwaren und Alkohol oder ungesunde Lebensmittel wie Trans-Fettsäuren oder Haushaltszucker höher besteuern und mit diesen Einnahmen Arbeitsplätze im Bereich Prävention und in sozialen Fürsorgeprogrammen schaffen", erklärt Dr. Martin-Moreno. In einer weiteren Studie untersuchte Dr. Esther de Vries vom Erasmus Medical Centre in Rotterdam, Niederlande, gemeinsam mit ihren Kollegen, ob durch Vermeidung von Gewichtszunahme und Förderung körperlicher Bewegung die Zahl der Darmkrebsneuerkrankungen in sieben europäischen Ländern (Tschechische Republik, Dänemark, Spanien, Frankreich, Lettland, Niederlande und dem Vereinigten Königreich) gesenkt werden könne. Seit 1975 haben Darmkrebserkrankungen in Europa zugenommen, im Jahre 2008 schlugen sie bereits mit 13% aller Krebserkrankungen zu Buche. Darmkrebs ist die zweithäufigste Todesursache durch Krebs in Europa. "Bekanntlich könnten viele Darmkrebserkrankungen durch Reduzierung des Expositionsrisikos vermieden werden. Zwei wichtige Risikofaktoren sind mangelnde Bewegung und Übergewicht", erklärt einer der Koautoren der Studie, Dr. Andrew Renehan von der Universität Manchester, Vereinigtes Königreich. Körperliche Untätigkeit erhöhe den Body Mass Index (Körperfettmasse), während Sport eine Gewichtszunahme verhindere. Die Forscher weisen jedoch darauf hin, dass bei übergewichtigen Menschen Sport nicht unbedingt eine Gewichtsabnahme bewirkt. Insgesamt kommen die Forscher zum Schluss, dass es schwer ist, aus festgefahrenen Lebensweisen auszubrechen. "Sicher wäre es schon ein großer Fortschritt, wenn die Menschen in Europa im Hinblick auf körperliche Bewegung das Niveau der Niederlande erreichen könnten, denn dort fährt z.B. jeder Rad", erklärt Professor Jan-Willem Coebergh von der Erasmus Universität, einer der Autoren der Sonderausgabe. "Aber wir müssen immer erst stichhaltige Beweise liefern, bevor Präventionsmaßnahmen durchgesetzt werden." Professor Michael Baumann vom Universitätsklinikum und der medizinischen Fakultät Dresden, Deutschland, und Präsident von ECCO sagt hierzu: "Krebsprävention steht nicht immer ganz oben auf der Tagesordnung der Politiker, aber gerade jetzt ist dies wichtiger denn je. Wir hoffen, dass unsere Sonderausgabe stichhaltig genug ist, um ihnen die Entscheidung für den richtigen Weg zu erleichtern und damit wesentlich dazu beizutragen, Krebserkrankungen in Europa in den kommenden Jahren zu reduzieren."
Länder
Tschechien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Lettland, Niederlande, Vereinigtes Königreich