Ein Quantensprung in der Kryptografie
Ein internationales Forscherteam entwickelte eine Methode, um bei Zufallszahlen echte Zufälligkeit zu erzeugen. Die im Fachblatt Nature veröffentlichte Studie wurde von der EU im Rahmen der Projekte PERCENT (Percolating entanglement and quantum information resources through quantum networks) und QORE (Quantum correlations) mit 7 bzw. 2 Mio. EUR durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) gefördert. Weitere Mittel kamen vom Projekt QAP (Qubit applications), das mit 9,9 Mio. EUR unter dem Themenbereich "Technologien für die Informationsgesellschaft" des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) finanziert wurde. Für die Erzeugung von Zufallszahlenreihen für Verschlüsselungsprozesse nutzen Kryptografen üblicherweise mathematische Algorithmen, sogenannte Pseudozufallszahlengeneratoren. Allerdings kann man nie absolut sicher sein, dass es sich um echte Zufälligkeit handelt und die Zahlenabfolge nicht doch in irgendeiner Weise vorhersehbar ist. Eine Gruppe von Experimentalphysikern erzielte nun bei der Erzeugung von Zufallszahlen einen Durchbruch: sie wendeten die Prinzipien der Quantenmechanik an und erzeugten so Zahlenfolgen, die zweifelsfrei zufällig sind. "Die klassische Physik erlaubt einfach keine echte Zufälligkeit im engeren Sinne", erklärt Forschungsgruppenleiter Chris Monroe vom Joint Quantum Institute (JQI) der University of Maryland, Vereinigte Staaten. "Denn letztendlich könnte man jedes Ergebnis eines klassischen physikalischen Vorgangs vorhersagen, wenn genügend Informationen über die Anfangsbedingungen vorliegen. Nur bei Quantenprozessen kann man von echter Zufälligkeit sprechen - und selbst dann müssen wir darauf vertrauen, dass der Quantenapparat tatsächlich quantenmechanisch arbeitet und keine Überbleibsel der klassischen Physik in ihm stecken." Nach den Gesetzen der Quantenmechanik liegt es in der Natur von Objekten, dass ihre Eigenschaften ungewiss sind. Obwohl sich die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Eigenschaft im Voraus berechnen lässt, haben diese Eigenschaften nur dann einen bestimmten Wert, wenn sie gemessen werden. Theoretisch ist es also möglich, Zufallszahlenreihen zu erzeugen, indem verschiedene, völlig voneinander unabhängige Quantenmessungen durchgeführt werden. Die Forscher wandten nun die revolutionäre Methode der "echten Zufälligkeit" an, eine Idee des irischen Physikers Dr. John Bell aus dem Jahre 1964. Mit ihr wollte Bell die quantenmechanische Hypothese prüfen, dass zwischen zwei Objekten, beispielsweise Photonen oder Materiepartikeln, eine Eigenschaft namens "Verschränkung" existieren kann. Dabei sind sie auf eine bestimmte Weise miteinander verbunden, d. h., wenn eine Eigenschaft an einem Atom gemessen wird, ist diese Eigenschaft selbst bei weiter Entfernung auch für den verschränkten Partner festgelegt. "Bei der Bell'schen Ungleichung werden Messungen an verschränkten Partnern durchgeführt, um daraus den Grad der Verschränkung zu ermitteln", erklärt Professor Monroe gegenüber Research Headlines. "Für einen zuverlässigen Bell'schen Test müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss die Entfernung zwischen den Partnern groß genug sein, um sich nicht gegenseitig zu beeinflussen (sonst ließe sich behaupten, sie "könnten" kommuniziert und sich so gegenseitig beeinflusst haben). Zum anderen muss jedes einzelne Ereignis aufgezeichnet werden. Wenn man eine Münze 1.000 Mal wirft, aber nur 50 Ergebnisse notiert, von denen die meisten Kopf sind, ist es theoretisch immer noch möglich, dass die Wahrscheinlichkeit von Kopf oder Zahl bei 50/50 liegt." Bei der Methode werden die Korrelationen zwischen Messungen an den beiden Objekten gezählt, wobei die Richtung des Messgeräts wechselt. Dr. Bell lieferte den mathematischen Beweis, dass die Korrelationen bei nicht verschränkten Objekten unter einem bestimmten Wert liegen müssten, was sich in einer Ungleichung ausdrücken lässt. Wären sie verschränkt, wäre auch die Korrelationsrate höher, was einer Verletzung der Ungleichung entspräche. In ihrem Experiment platzierten die Forscher einzelne Atome in zwei Behälter mit einem Meter Abstand und verschränkten sie. Sobald der Apparat eine geglückte Verschränkung anzeigte, drehten die Forscher jedes Atom nach dem Zufallsprinzip und kontrollierten das von den Teilchen ausgesendete Licht. Aus den Messergebnissen generierte das Forscherteam dann eine binäre Zahlenfolge. Insgesamt wurden mehr als 3.000 Verschränkungsereignisse registriert und eine Zeichenfolge von 42 echt zufälligen binären Zahlen mit einem Konfidenzniveau von 99 Prozent erzeugt. Wie die Autoren schreiben, sei dies der Beweis "für die Erzeugung einer neuen Art von Zufälligkeit in einem Experiment, bei dem keine detaillierten Informationen über das Modell vorliegen." Dies ist das erste Experiment, bei dem eine Verletzung der Ungleichung zwischen voneinander entfernten Objekten erzielt wurde, ohne ein Ereignis auszulassen. "In der Kryptografie und bei Zufallszahlen kann man sich leicht täuschen lassen, wenn viele Ereignisse ausgelassen werden, in unserem Experiment jedoch entgeht uns nicht ein einziges Ereignis", erklärt Professor Monroe. "Die Verletzung einer Bell'schen Ungleichung ist schließlich nur möglich, wenn das System den Gesetzen der Quantenmechanik gehorcht", erklärt Teammitglied Dzmitry Matsukevich. "Lässt sich also zwischen isolierten Systemen eine Verletzung der Bell'schen Ungleichung bestätigen, ohne dass Ereignisse ausgelassen werden, haben wir die Garantie, dass unser Apparat echte Zufallszahlen generiert. Dabei müssen die Atome nicht übermäßig weit voneinander entfernt sein, nur so weit, dass sie sich nicht gegenseitig beeinflussen, wie es in einer reellen kryptografischen Umgebung der Fall wäre." "Die Produktion von Zufallszahlen läuft momentan noch extrem langsam", berichtet Professor Monroe. "In den kommenden Jahren erwarten wir aber eine um Größenordnungen höhere Geschwindigkeit, was wir durch eine noch effizientere Verschränkung der Atome erreichen wollen, vielleicht mit der Unterbringung eines Atom-ähnlichen Quantensystems auf einem Halbleiterchip." Durch Verletzung der Bellschen Ungleichung über größere Distanzen könne "ein solches System auch die Verschlüsselung von Daten sicherer machen", fügt er hinzu.