Gentherapie kann Gehirnerkrankung stoppen
Die Hirnerkrankung X-chromosomale Adrenoleukodystrophie (ALD) kann durch kombinierte Gen- und Stammzelltherapie gelindert werden, so das Ergebnis einer neuen EU-finanzierten Studie. Sie wurde im Rahmen des Projekts X-ALD (X-linked adrenoleukodystrophy: pathogenesis, animal models and therapy) durchgeführt, das mit 1,8 Millionen EUR unter dem Themenbereich "Biowissenschaften, Genomik und Biotechnologie im Dienste der Gesundheit" des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) gefördert wurde. Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachblatt Science veröffentlicht. X-ALD ist die häufigste monogene Erbkrankheit, bei der die Myelinschutzschicht um die Nervenfasern im Gehirn zerstört wird und die neurologische Fehlfunktionen hervorruft. Fehlt diese Myelinschicht, werden die Nerven so stark geschädigt, dass es zu neurologischen und physiologischen Ausfällen kommt. Betroffen sind Männer im Alter von 20 bis 50 Jahren, erwachsene Frauen über 40 und Jungen im Alter von 5 bis 12 Jahren. Symptomatisch für die Erkrankung sind neurologische Störungen, häufig in Kombination mit Nebennierenerkrankungen, im schlimmsten Fall sterben die Patienten 2 bis 4 Jahre nach Einsetzen der ersten Symptome. Ein internationales Forscherteam aus Frankreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten führte eine zweijährige Pilotstudie an zwei Patienten durch. Es gelang ihnen, die Progression von ALD erfolgreich aufzuhalten, indem sie mithilfe eines lentiviralen Vektors ein therapeutisches Gen in die Blutzellen der Patienten einschleusten. Obwohl Tests an größeren Patientengruppen noch ausstehen, wie die Forscher betonen, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Gentherapien mit lentiviralen Vektoren künftig eine zentrale Rolle bei der Behandlung menschlicher Krankheiten spielen könnten. "Hiermit haben wir erstmals einen aus einem HI-Virus hergestellten Lentivirusvektor für gentherapeutische Zwecke beim Menschen eingesetzt. Gleichfalls wurde zum ersten Mal eine schwerwiegende Gehirnerkrankung effektiv durch Gentherapie behandelt", erklärte Koautor der Studie, Professor Patrick Aubourg von der Universität Paris Descartes in Frankreich und Forschungsabteilungsleiter am Institut INSERM, Universität Paris Descartes. Zwar kann auch eine Knochenmarktransplantation den Verlauf der X-ALD-Erkrankung aufhalten, allerdings ist die Suche nach geeigneten Spendern schwierig und auch die Transplantate bergen gewisse Risiken. Die jüngste Studie belegt, dass es möglich ist, Blutstammzellen aus patienteneigenem Knochenmark genetisch so umzufunktionieren, dass der Patient überleben kann, auch wenn kein geeigneter Spender gefunden wird. Die meisten gentherapeutischen Versuche basierten auf dem Austausch eines krank machenden Gens durch ein in das Genom eingeschleustes intaktes, kloniertes Gen. Aus genetisch veränderten Viren wird ein Trägermolekül hergestellt, in das ein Gen mit gesunden Erbinformationen (DNA) eingebaut wurde. Dieser sogenannte Vektor transportiert das therapeutische Gen in die Zellen des Patienten. In kürzlichen Studien haben Forscher gezeigt, dass sich die Gattung Lentiviren aus der Familie der Retroviren zur Herstellung lentiviraler Vektoren eignet, um Zellen sowohl in der Teilungs- als auch in der Ruhephase zu infizieren. Die Forscher gehen zudem davon aus, dass damit eine stabile und dauerhafte Genexpression gewährleistet ist. "Ein aus einem HI-Virus hergestellter Lentivirusvektor exprimiert das therapeutische Gen quasi lebenslang, denn dieses Gen wird in das Chromosom - also das Genom - eingeschleust", wie Professor Aubourg erklärt. "Die durch Teilung dieser korrigierten Zellen neu entstehenden Zellen, insbesondere Stammzellen, exprimieren daher ebenfalls lebenslang dieses therapeutische Gen." In dieser Studie verwendeten die Forscher einen solchen lentiviralen Vektor. Sie entnahmen den Patienten Blutstammzellen, korrigierten sie im Labor (ex vivo) und schleusten eine klonierte Kopie des ALD-Gens in die Zellen. Anschließend brachten die Forscher die veränderten Zellen wieder in die Patienten ein, nachdem deren Knochenmark durch entsprechende Behandlung außer Funktion gesetzt wurde. Zwei Jahre später konnte nachgewiesen werden, dass die Blutzellen der Patienten ALD-Proteine exprimierten. Die neurologische Störung hatte sich gebessert und die Progression der Erkrankung war ähnlich verlangsamt wie nach einer Knochenmarktransplantation. Den Forschern zufolge exprimierten ungefähr 15 Prozent der Blutzellen gesundes ALD-Protein. "Dieser Anteil an korrigierten Blutzellen ist natürlich nicht für alle Erkrankungsformen ausreichend", erklärt Professor Aubourg. "Hier ist noch eine Menge Forschungsarbeit nötig, um den gentherapeutischen Vektor wirksamer, kostengünstiger und einfacher in der Herstellung zu machen. Aber der Anfang ist getan." Am X-ALD-Konsortium beteiligten sich sechs Partner aus Deutschland, Spanien, Frankreich und den Niederlanden.