Winzige Muschelkrebse beeindrucken mit gigantischen Spermien
Ein prächtiges Gefieder, Pheromone und ausladende Geweihe sind nur einige Dinge aus der Trickkiste männlicher Versuche, auf das andere Geschlecht anziehend zu wirken. Aber sind sie auch absolut sicher? "Nein" lautet nun die eindeutige Antwort internationaler Wissenschaftler. Das Team stellte fest: Konkurrenten können auch nach einer Paarung keinen zuverlässigen Sieg beanspruchen. Die zum Teil im Rahmen des Programms der Marie-Curie-Ausbildungsnetzwerke für Forschung EU-geförderte Forschungsstudie zeigt, dass Spermien und insbesondere deren Größe eine überaus wichtige Rolle in der Schlacht um die Befruchtung spielen. Die Ergebnisse kamen im Fachjournal Science zur Veröffentlichung. Die Studie ist außerdem ein Ergebnis des EU-finanzierten SEXASEX-Projekts ("Sex to asex: a case study on transitions and coexistence between sexual and asexual reproduction"), das mit Mitteln in Höhe von 2,2 Mio. EUR im Themenbereich "Humanressourcen und Mobilität" innerhalb des Sechsten Rahmenprogramms (FP6) gefördert wurde. Spermien werden zu Rivalen: Je größer ein Spermium ist, ums größer ist auch die Chance des Männchens auf eine erfolgreiche Befruchtung der Eizelle. Bei manchen Tierarten haben sich so Spermien von wahrhaft gigantischer Größe entwickelt. In einigen Fällen ist das Spermium im entwirrten Zustand sogar größer als das sie produzierende Männchen. Das Forscherteam um Projektleiterin Dr. Renate Matzke-Karasz von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, Deutschland, fand nun auch bei versteinerten Ostrakoden indirekte Anzeichen von Riesenspermien. Ostrakoden sind Krebstiere, auch Garnelen oder Muschelkrebse genannt. Mithilfe der Synchrotron-Röntgen-Holotomografie gelang den Wissenschaftlern ein nichtinvasiver, tiefer Blick in das Innere dieser winzig kleinen Ur-Krustazeen. "Die Holotomografie ist ein zerstörungsfreies bildgebendes Verfahren wie die Computertomografie, bei der sehr starke, kohärente Synchrotron-Röntgenstrahlen eingesetzt werden", erklärt Dr. Paul Tafforeau von der Europäischen Synchroton-Strahlungsanlage (ESRF), wo das Verfahren entwickelt wurde. "Mit dieser Methode kann ein dreidimensionales Bild der inneren Strukturen auch von mikroskopisch kleinen Objekten reproduziert werden, ohne das Material zu beschädigen. Der Kontrast und die Präzision der Abbildung können mit keiner anderen Technik erreicht werden." "Bei den fossilen Ostrakoden konnten wir vor allem das Fortpflanzungssystem hervorragend darstellen - und stießen dabei auf eine große Überraschung", berichtet Teammitglied Dr. Giles Miller vom Natural History Museum in London, Vereinigtes Königreich. "Denn unsere Resultate zeigen, dass sich auch diese 100 Millionen Jahre alten Ostrakoden aus der Kreidezeit schon mit Riesenspermien fortpflanzten." Dr. Matzke-Karasz zufolge wies das Team Organe in den Mikrofossilien nach, die für die Übertragung der Riesenspermien unbedingt notwendig seien. "Da sich die heutigen Muschelkrebse immer noch mit Riesenspermien fortpflanzen und diese mithilfe der gleichen Organe wie vor 100 Millionen Jahren transportieren, kann man wohl mit einiger Sicherheit behaupten, dass sich diese Besonderheit bei dieser Tiergruppe nur einmal entwickelt hat", schlussfolgert die Paläontologin. Das Team stellte fest, dass die Ostrakoden Spermien produzieren, die bis zu zehnmal so lang wie die Tiere selbst sind. Nach Angaben der Forscher sind Ostrakoden recht häufige Fossilien; einige Funde reichen bis zu 450 Millionen Jahre zurück, da sie - obwohl nur wenige Millimeter lang - von einer aus zwei Teilen bestehenden Kalkschale umgeben sind, die besonders gut versteinert. "Wichtig ist: Diese Organismen speichern in ihren Überresten Informationen über die Umwelt, in der sie lebten", erklärt Matzke-Karasz. "Die fossilen Schalen der Ostrakoden sind damit so etwas wie ein Archiv der Erdgeschichte, das Information zum Klima, der Ökologie und Geologie vor Tausenden und Millionen von Jahren birgt." Man geht wohl meist davon aus, dass es, je mehr Spermien ein Männchen produziert, umso wahrscheinlicher ist, dass diese die Eizelle befruchten, bevor andere es tun. Bei einigen Arten geht es jedoch um Qualität, nicht um Quantität: Es ist für große Spermien einfacher, ihre kleineren Konkurrenten zu übertrumpfen. Die männlichen Tiere müssen dann allerdings mehr Energie zur Produktion und zum Transport ihrer größeren Gameten aufwenden. In einem anderen Teil der Studie vergleichen die Forscher menschlichen Spermien mit den Spermien der Fruchtfliege, Drosophila bifurca. Bis zu 40 Meter müsste ein menschliches Spermium messen, um etwa im Vergleich mit Drosophila bifurca standhalten zu können. Die nur wenige Millimeter großen Männchen dieser Art haben den Angaben zufolge die längsten Spermien eines auf der Erde heimischen Organismus: Sie sind im auseinandergewickelten Zustand kolossale 5,8 Zentimeter lang. Das Projekt puzzelte erfolgreich Stück für Stück eines seit Langem bestehenden Rätsels zusammen. "Bis jetzt war unbekannt, ob Riesenspermien bei Muschelkrebsen im Lauf der Evolution mehrfach aufgetreten sind, wie etwa bei Drosophila, oder ob sie bei bestimmten Gruppen über Millionen Jahre hinweg ein beständiges Merkmal waren", betont Dr. Matzke-Karasz. "Diese Frage lässt sich jetzt wohl endgültig beantworten: Die Riesenspermien sind zumindest bei einigen Arten über sehr lange Zeiträume hinweg produziert worden, obwohl sowohl Männchen als auch Weibchen einen extrem hohen Aufwand dafür treiben müssen." Im nächsten Schritt unserer Forschung geht es um den Versuch zu verstehen, warum und auf welche Weise die Riesenspermien so lange überdauerten."
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