Menschliches Herz bildet neue Zellen
Forscher des Karolinska-Instituts in Schweden haben die strittige biomedizinische Frage beantwortet, ob das menschliche Herz neue Zellen erzeugen kann oder ob es von Geburt an mit einer vorbestimmten Anzahl von Zellen ausgestattet ist, die im Lauf der Zeit abnehmen, ohne wieder aufgefüllt zu werden. Ihre teilweise von der EU finanzierten und im Fachmagazin Science beschriebenen Erkenntnisse zeigen, dass im Verlauf des Lebens eines Menschen weniger als die Hälfte einiger Herzmuskelzellen (Kardiomyozyten) tatsächlich ersetzt werden. Die weitere Analyse dieses Prozesses könnte sich als ein Mittel zur Behandlung von durch Herzinfarkte beschädigten Zellen und der Umlenkung therapeutischer Strategien als sehr vorteilhaft erweisen. Die ein kostbares Organ wie das menschliche Herz betreffende Forschung sei wahrlich keine leichte Aufgabe, erläuterte Professor Jonas Frisén in einem Podcast-Interview mit dem Fachmagazin Science. So gäbe es zwar mehrere Methoden zur Untersuchung von Herzzellumsätzen bei Tieren, aber die Erkenntnisse aus derartigen Studien seien nicht ohne weiteres auf den Menschen anwendbar. Das Team kam auf eine alternative Strategie: "Anstelle der vorausschauenden Kennzeichnung von Zellen bestimmen wir rückwirkend das Alter der Zellen", erklärte Professor Frisén. Der neue Ansatz, der auch bei archäologischen Datierungen zum Einsatz kommt, profitiert auf unglaubliche Weise von einem geophysikalischen Ereignis. Bei den im Kalten Krieg zwischen 1955 und 1963 oberirdisch durchgeführten Atombombentests wurde massiv das radioaktive Isotop Kohlenstoff-14 erzeugt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die hoch angestiegenen Werte des in die Atmosphäre abgegebenen Kohlenstoff-14 in den Zellen der Pflanzen, Tiere, Menschen und anderen Lebensformen auf der Erde widerspiegeln würden. Seit des Verbots dieser Art von Versuchen seien die Kohlenstoff-14-Werte in unserer DNA sehr schnell abgesunken, erläuterte Professor Frisen. Dieser Rückgang geht auf die Aufnahme in "Biotopen" und die Verteilung zurück, was zu unterschiedlichen Werten in der Atmosphäre zu verschiedenen Zeitpunkten resultiert. Die Forscher setzten das Isotop auf geschickte Weise ein, um den Zeitpunkt der Zellerneuerung zu bestimmen. Sie nahmen bei Herzzellen von Menschen, die vor und nach den Atombombenversuchen geboren wurden, Kohlenstoff-Datierungen vor, um zu bestimmen, wann die DNA-Synthese in diesen Zellen stattfand. Den Forschern zufolge verhält es sich folgendermaßen: "Wenn eine Zelle innerhalb der letzten zehn Jahre zu verschiedenen Zeitpunkten im menschlichen Körper entstanden ist, trägt sie in ihrer genomischen DNA das integrierte Kohlenstoff-14 in einer Menge, die genau der Menge in der Atmosphäre entspricht. So können wir durch das Messen des Kohlenstoff-14 in der DNA von Zellen ein Datum markieren, das in die DNA der Zellen eingeschrieben ist und beweisen, wann sie entstanden sind. Auf diese Weise können wir rückblickend sagen, wie alt die Zellen sind und daraus schlussfolgern, wie viel Zellumsatz es dort gegeben haben muss." Nach rund 4 Jahren an Untersuchungen haben Professor Frisén und sein Team nun bewiesen, dass Kardiomyozyten, die rund 20% der Zellen des menschlichen Herzens ausmachen, sich ab dem Alter von 25 Jahren jedes Jahr mit einer Rate von 1% erneuern. Dieser Wert reduziert sich schrittweise auf rund die Hälfte dieser Rate im Alter von 75 Jahren. "Unsere Daten zeigen, dass das Herz neue Kardiomyozyten erzeugen kann", sagte Professor Frisén. "Ich finde diese Erkenntnisse sehr aufregend, da sie die zukünftige Möglichkeit aufzeigen, zu verstehen, wie das Ganze reguliert wird, und möglicherweise [zu] versuchen, die Regulation zu modulieren, um den Prozess der Generierung von Kardiomyozyten zu stimulieren, was natürlich nach dem Verlust von Kardiomyozyten, beispielsweise nach einem Herzinfarkt, von enormem Vorteil sein könnte." Er betonte außerdem die Attraktivität pharmazeutischer Therapien, die eingeführt werden könnten, um die Generierung dieser Herzzellen anzukurbeln. Zu diesen Erkenntnissen beitragende Forschung wurde von Wissenschaftlern durchgeführt, die an Instituten in Frankreich und den USA sowie an anderen schwedische Forschungszentren arbeiten.
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Schweden