Experten fordern radikale Erneuerung des naturwissenschaftlichen Unterrichts
Wir brauchen einen radikal neuen Ansatz zur Vermittlung von Naturwissenschaften, wenn wir das sinkende Interesse der europäischen Schülerinnen und Schüler an den Wissenschaften umkehren wollen. Zu diesem Fazit gelangte eine hochrangige Gruppe zu naturwissenschaftlichem Unterricht. Das Expertengremium war im letzten Jahr von EU-Forschungskommissar Janez Potocnik und von Jan Figel�, dem für allgemeine und berufliche Bildung, Kultur und Jugend zuständigen EU-Kommissar, berufen worden. Die Gruppe wurde mit der Aufgabe betraut, die besten Verfahren zu ermitteln, mit denen das Interesse junger Menschen an den Wissenschaften angeregt werden kann. Unter dem Vorsitz des französischen MdEP Michel Rocard untersuchte die Gruppe bestehende Initiativen zur Förderung des Interesses an den Wissenschaften, insbesondere die Art und Weise, wie Naturwissenschaften an den Schulen unterrichtet werden. Die zentrale Empfehlung des Gremiums betrifft die Abkehr des naturwissenschaftlichen Unterrichts an Schulen vom größtenteils deduktiven zum sogenannten entdeckenden Lernen. Beim deduktiven Ansatz präsentiert der Lehrer Konzepte und deren logische Implikationen und gibt Anwendungsbeispiele. Das entdeckende Lernen (Inquiry-Based Science Education - IBSE) lässt dagegen mehr Raum für Beobachtungen und Experimente, und die Schüler werden ermutigt, unter der Anleitung des Lehrers ihr eigenes Wissen aufzubauen. Den Experten zufolge hat sich das entdeckende Lernen als sehr effektiv erwiesen, wenn es darum geht, das Interesse an und das Leistungsniveau in den Naturwissenschaften zu heben, sowohl in Grundschulen als auch in der Sekundarstufe. Es ist besonders erfolgreich bei Schülern mit mangelndem Selbstvertrauen und aus benachteiligten sozialen Gruppen. Gleichzeitig schafft es aber auch für begabtere Schüler das richtige Umfeld zum tieferen Einstieg in die Materie. Die Gruppe betonte, dass sich der deduktive und der entdeckende Ansatz nicht gegenseitig ausschließen, sondern dass sie kombiniert werden sollten, damit möglichst viele der Lernvorlieben der Schüler abgedeckt werden. Zur Unterstützung der Einführung des entdeckenden Lernens empfehlen die Experten die Förderung und Schulung der Lehrer in diesem Bereich und die Entwicklung von Lehrer-Netzwerken. Die Experten empfehlen darüber hinaus, solchen Maßnahmen Priorität einzuräumen, die die Beteiligung von Mädchen an naturwissenschaftlichen Fächern steigern und die deren Vertrauen in ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten stärken. Gestützt wird diese Empfehlung von der Tatsache, dass Untersuchungen zufolge Mädchen begeisterter an naturwissenschaftlichem Unterricht teilnehmen, der sich auf entdeckendes Lernen konzentriert. In ihrem Bericht fordert die Gruppe auch eine klarere Abstimmung zwischen nationalen und europäischen Maßnahmen. Sie hält über die nächsten zehn Jahre gesehen einen Betrag von 60 Mio. EUR zur Unterstützung dieser Aktivitäten seitens der EU für angemessen. Und schließlich fordern die Experte die Schaffung eines europäischen Beirats für wissenschaftliche Bildung, der unter anderem Initiativen zu entdeckendem Lernen überwacht sowie die Kooperation und den Austausch dieser Initiativen auf europäischer Ebene fördert. Die Gruppen sollten von der Europäischen Kommission eingerichtet und finanziert werden. Die Umsetzung dieser Empfehlungen erfordert Maßnahmen auf allen Ebenen. "Da die Zukunft Europas auf dem Spiel steht, müssen die Entscheidungsträger in den Gremien, die auf lokaler, regionaler, nationaler und EU-Ebene für die Realisierung von Veränderungen verantwortlich sind, konkrete Maßnahmen zur Verbesserung des Wissenschaftsunterrichts fordern", heißt es in dem Bericht. "Dem Thema sollte in der erneuerten Lissabon-Strategie ein prominenter Platz eingeräumt werden und es sollte als oberste Priorität betrachtet werden." "Der Rocard-Bericht spricht sehr klare Empfehlungen aus, in welche Richtung wir gehen müssen, um den naturwissenschaftlichen Unterricht in Europa zu erneuern", erklärte Kommissar Potocnik. "Diese Empfehlungen müssen sehr ernst genommen werden. Die Stimulierung des Interesses der europäischen Jugendlichen an Wissenschaft und Technologie (W&T) ist von zentraler Bedeutung, wenn Europa eine Zukunft haben soll, die auf der optimalen Nutzung von Wissen basiert." "Das sinkende Interesse an naturwissenschaftlichen und technischen Fächern und die Gewinnung von Schülern dafür geht uns alle an", fügte Kommissar Figel� hinzu. "Mehr Jugendliche - und insbesondere die in den meisten europäischen Ländern auf diesem Gebiet unterrepräsentierten Mädchen - an naturwissenschaftliche und technische Fächer heranzuführen, ist zu einem gemeinsamen Ziel auf europäischer Ebene geworden. Aber es gibt noch viel zu tun."