Welche Auswirkungen hat Strahlung im Laufe der Zeit auf die Strukturmaterialien von Kernreaktoren?
Die Zukunft der Kernenergie in Europa ist zwar ungewiss, aber man kann ihre gegenwärtige Unentbehrlichkeit schwer leugnen. Kernkraftwerke (KKW) machen noch immer etwa ein Viertel der Stromproduktionskapazität der EU aus, und bis die Branche einen solchen Verlust durch erneuerbare Energiequellen wettmachen kann, ist es zu einer Priorität geworden, die bereits ausgedehnte Lebensdauer von KKW zu verlängern. Den sicheren Langzeitbetrieb existierender Kernkraftwerke zu garantieren, ist allerdings eine ganz andere Geschichte. Dafür bedarf es eines tiefgreifenden Verständnisses der Rolle von Materialalterungserscheinungen in KKW sowie der Umsetzung dieses Wissens sowohl in verlässliche Werkzeuge für die industriellen Endnutzer als auch in Richtlinien für politische Entscheidungsträger. SOTERIA zielte darauf ab, ein solches Verständnis zu etablieren und konzentrierte sich dabei auf Alterungserscheinungen in Reaktordruckbehältern (RDB) und internen Stahlstrukturen, die auf Neutronbestrahlung zurückzuführen sind. Dieses Projekt, welches auf die Ergebnisse seiner Vorgänger PERFECT und PERFORM60 aufbaut, verband fortgeschrittene Modellierungswerkzeuge mit Versuchsdaten, um die Auswirkungen einer solchen Bestrahlung – im Laufe der Zeit und in verschiedenen Dosen – auf nukleare Komponenten aus komplexen industriellen Werkstoffen zu untersuchen. Intelligente Experimente zur Bewertung eines sicheren Kernkraftwerkbetriebs „Ein sicherer Kernkraftwerkbetrieb hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich des Themas Werkstoffe“, erklärt Dr. Christian Robertson, der Koordinator des Projekts der französischen Kommission für alternative Energien und Atomenergie (CEA). „Kritische KKW-Komponenten neigen dazu, sich aufgrund von Alterungserscheinungen der Werkstoffe mit der Zeit zu wandeln, und eine sichere verlängerte Lebensdauer kann nur präzise garantiert werden, wenn wir die Ursachen und das Ausmaß dieser Vorgänge in vollem Umfang verstehen.“ SOTERIA bestand im Wesentlichen aus der Kombination intelligenter Experimente und physikalischer Modellierungen, die gezielt auf wohletablierte interne und RDB-Materialien zugeschnitten waren. Insgesamt führte das Konsortium eine tiefgreifende mikrostrukturelle Prüfung bestrahlter RDB-Stähle, austenitischer Edelstähle sowie Modelllegierungen durch, studierte die Auswirkungen materieller Inhomogenität auf die mechanischen Eigenschaften von RDB-Stählen, untersuchte die Effekte von Helium- sowie Wasserstoffbeladung auf die Anfälligkeit für Schäden beziehungsweise Oxidation und entwickelte Modelle zur Bewertung von internen und RDB-Komponenten unter Bestrahlung. „Unser Projekt lieferte mehrere wichtige Ergebnisse. Dazu gehören neue Daten über die Variabilität des Materialverhaltens und deren Verhältnis zu wohlkontrollierten Alterungsbedingungen, dank derer wir nun die Alterungsursachen für eine repräsentative Auswahl von Fällen nuklearer Materialien verstehen. Darüber hinaus können unsere Modellierungswerkzeuge mit der Variabilität der Komplexität tatsächlicher nuklearer Materialien in kritischen Kernkraftwerkkomponenten umgehen. Das Tool wird durch eine benutzerfreundliche rechnergestützte Plattform verbreitet“, so Dr. Robertson. Die Ausbildung von Experten der nächsten Generation SOTERIA hatte auch einen Bildungszweck: Die Projektergebnisse sollten der Nukleartechnik- und Nuklearforschungsgemeinschaft übermittelt werden, um das Wissen über Alterungserscheinungen in Kernkraftwerken in ganz Europa zu verbessern und zu harmonisieren. Beispielsweise wurde im September 2018 eine SOTERIA-Fortbildungsschulung abgehalten, um die Erkenntnisse des Projekts über Degradierungsvorgänge in nuklearen RDB- und internen Materialien weiterzugeben und festzuhalten. Dieser Veranstaltung wohnten 60 Teilnehmer von 29 Organisationen aus 13 Ländern bei – Studenten, Doktoranden, Berufseinsteiger, Wissenschaftler und Ingenieure. Dies ist wohl die wichtigste Aufgabe von SOTERIA. Zwar wird das Projekt im August 2019 zu Ende gehen, Dr. Robertson ist aber zuversichtlich, dass dessen Einfluss auch noch nach diesem Stichtag zu spüren sein wird. „Die innovativen, kosteneffektiven und informativen Überwachungsmethoden, die im Rahmen des Projekts entwickelt wurden und auf kritische Komponenten von Kernreaktoren zugeschnitten sind, werden der Gemeinschaft in den kommenden Jahren von großem Nutzen sein“, erklärt er. Die SOTERIA-Mitglieder überprüfen bereits die Möglichkeit der Gründung eines neuen Konsortiums im Rahmen der nächsten Euratom-Ausschreibungen, um die Alterungsvorgänge von Werkstoffen noch eingehender zu untersuchen.
Schlüsselbegriffe
SOTERIA, Langzeitbetrieb, nuklear, Sicherheit, Leichtwasserreaktor, Strukturmaterialien, Kernkraftwerk, Materialverhalten, Strahlungen