Die Puzzleteile des europäischen Kulturerbes zusammensetzen
Von prähistorischen Höhlenmalereien bis zu mittelalterlichen Kirchen, von Skulpturen der Renaissance bis zum modernen Graffiti – Europas kulturelles Erbe genießt Weltruhm. Doch trotz des großen kulturellen Schatzes ist Europas Ruf in der Erforschung des kulturellen Erbes nicht annähernd so gut. Ein Grund dafür liegt darin, dass die Erforschung des kulturellen Erbes meist den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen wird. Jedes europäische Land konzentriert sich also auf seine eigene Forschung, nutzt seine eigene moderne Ausstattung und seine eigenen wissenschaftlichen Einrichtungen. Damit Europas kulturelles Erbe die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient, muss ein kooperativer europaweiter Ansatz für die Erforschung des kulturellen Erbes gefunden werden. Das EU-finanzierte Projekt IPERION CH („Integrated Platform for the European Research Infrastructure ON Cultural Heritage“) arbeitet daran, die nationalen Bemühungen zu verbinden und Experten aus ganz Europa zusammen zu bringen. „Indem wir erstklassige Einrichtungen für eine größere Zahl von Forschern und Wissenschaftlern öffnen, wollen wir mehr kooperative Arbeiten fördern und Europas Ruf in der Erforschung des kulturellen Erbes stärken“, sagt Projektkoordinator Luca Pezzati. Zum Erforschung des kulturellen Erbes gehört eine große Bandbreite von Forschungsdisziplinen, von denen wiederum jede einen anderen Aspekt der Erhaltung, Interpretation und Verwaltung des materiellen und immateriellen kulturellen Erbes abdeckt. Eine lebensfähige Forschungsgemeinschaft Wenn Ihr Forscherteam zum Beispiel eine Kirche in Italien restaurieren will, könnten Ihnen bestimmte Analysewerkzeuge dabei helfen oder die Möglichkeit, sich mit Beteiligten eines ähnlichen Restaurierungsprojekts auszutauschen. Doch sollten diese Werkzeuge und Erfahrungen in Italien gerade nicht zur Verfügung stehen, werden Sie wahrscheinlich keinen Zugang dazu bekommen. „Es ist für Forscher in diesem Bereich eine ständige Herausforderung, dass das kulturelle Erbe so fragmentiert ist,“ erklärt Pezzati. „Die Werkzeuge und Informationen, die ein Forscher brauchen könnte, sind allzu oft in den Archiven oder Institutionen in ganz Europa verstreut.“ Für Pezzati und seine Kollegen liegt die Antwort auf das Problem der Zersplitterung in der Infrastruktur. „Die Infrastruktur von IPERION-CH bietet an einem zentralen Punkt Zugang zu allen Leistungen und Instrumenten sowie zur Expertise teilnehmender Institutionen“, sagt er. „Uns geht es hauptsächlich um eine bessere Koordinierung zwischen den Institutionen und die Schaffung einer lebensfähigen Gemeinschaft für die Erforschung des europäischen kulturellen Erbes.“ Leichter Zugang Aktuell besteht IPERION CH aus 23 Partnern aus 12 Mitgliedstaaten und einem aus den USA, zu denen unter anderem verschiedene führende kulturelle Forschungszentren, Labors, Museen und Universitäten gehören. Kulturforscher können nun über eine der drei Hauptplattformen des Projekts ganz einfach auf 19 führende Einrichtungen zugreifen. Die Plattform MOLAB bietet den Forschern zum Beispiel Zugang zu mobilen Labors. Damit können sie vor Ort forschen und müssen die fragilen Kunstwerke und wertvollen archäologischen Funde nicht mehr in ein Labor transportieren – was für die Sicherheit der zu untersuchenden Objekte äußerst wichtig ist. Weitere Plattformen sind FIXLAB für Einrichtungen im großen Maßstab und ARCHLAB für die Archivierung von technischen und wissenschaftlichen Daten. Neben der besseren Nutzung von in Europa vorhandenem Wissen und Expertise, will das Projekt IPERION CH auch das Bewusstsein dafür erhöhen, wie wichtig der Schutz unseres kulturellen Erbes auf sozialer und ökonomischer Ebene ist. „Wenn es um Förderprogramme oder Forschungsprioritäten geht, macht das kulturelle Erbe nur selten Schlagzeilen“, sagt Pezzati. „Das ist einer der Gründe, warum wir diese Infrastruktur schaffen wollen, nämlich um dieses Fach sichtbarer zu machen.“ Ein andauernder Prozess Dank Projekten wie IPERION CH wird die Erforschung des kulturellen Erbes langsam traditionelleren wissenschaftlichen Disziplinen gleichgestellt. „Die Erforschung des kulturellen Erbes aufzubauen ist ein langsamer Prozess und dieses Projekt ist nur ein Schritt auf dem Weg zu unserem Ziel“, sagt Pezzati. Sobald das Projekt abgeschlossen ist, geht die Forschungsinfrastruktur von IPERION CH in die Europäische Forschungsinfrastruktur für Kulturerbeforschung (E-RIHS) über. Dieses ehrgeizige Infrastrukturprojekt, das gerade in der Vorbereitungsphase ist, soll die Forschung im Bereich Natur- und Kulturerbe vereinen, Forscher aus Geistes- und Naturwissenschaften zusammenbringen und eine disziplinübergreifende Kultur des Austauschs und der Kooperation hervorbringen.
Schlüsselbegriffe
IPERION CH, kulturelles Erbe, Erforschung des kulturellen Erbes