Aktualisierung des dynamischen Paradigmas für galaktische Kugelhaufen
Kugelhaufen sind Ansammlungen von Sternen, die um einen Galaxienkern kreisen. Sie gelten traditionell als einfache, sphärische, nicht rotierende und thermodynamisch entspannte Systeme. Das bedeutet, die Umlaufbahnen ihrer zugehörigen Sterne haben keine bevorzugte Orientierung. Jahrzehntelang wurden sie als Beispiel einer sogenannten „Einzelsternpopulation“ angeführt: Hier werden Sterne gemeinsam geboren und teilen eine einfache Formationshistorie. Seit Kurzem jedoch wird dieses traditionelle Bild von Kugelhaufen durch zahlreiche Entdeckungen im Zusammenhang mit ihren chemischen, strukturellen und kinematischen Eigenschaften in Frage gestellt. Mehrere Sternpopulationen gelten nun als flächendeckend. Das EU-finanzierte NESSY-Projekt hat zu dieser Formulierung eines realistischeren, dynamischen Paradigmas für diese Art der Sternensysteme beigetragen. Dies gelang durch die Kombination analytischer Modelle und numerischer Simulationen sowie eine neue Generation an astronomischen Daten. NESSY zielte auf drei Probleme der modernen Astrophysik ab: die Rolle des internen Drehimpulses und externer Gezeiten auf die dynamische Entwicklung von dichten Sternensystemen, die Bildung von Sternenpopulationen, die zu den ältesten im Universum zählen, und die mögliche Existenz von mittelschweren schwarzen Löchern. Die neue Generation astronomischer Daten Gaia, das europäische Weltraumobservatorium, misst derzeit die Positionen und Geschwindigkeiten Tausender Sterne in Kugelhaufen unserer Milchstraße mit einer bislang nicht dagewesenen Genauigkeit. Diese neue Generation von Daten in Kombination mit Messungen des Hubble-Weltraumteleskops und anderer modernster astronomischer Einrichtungen ermöglicht es den Theoretikern, zum ersten Mal den vollständigen „Phasenraum“ von Sternenhaufen zu erkunden, indem sie sowohl die Position als auch die Geschwindigkeit ihrer Sterne untersuchen. Als NESSY-Wissenschaftlerin und Inhaberin eines Marie-Skłodowska-Curie-Einzelstipendiums sagt Dr. Anna Lisa Varri: „Diese kompakten Sternegruppen sind wie das Schweizer Armeemesser der Astrophysik, da sie über Jahrzehnte hinweg für zahllose Zwecke eingesetzt wurden. Dennoch sitzt die Studie der Bewegungen ihrer Sterne noch immer in einer engen Bandbreite vereinfachender Annahmen fest. Und nun setzen erstklassige Astronomie-Einrichtungen eine wahre Flut von Daten zu diesen Objekten frei, welche die derzeitige Theorie nicht zuordnen kann.“ Unter anderem hat das Team dabei geholfen, ein neues Verständnis der Rolle der kinematischen Komplexität in der Form der internen Rotation und Geschwindigkeitsanisotropie (verschiedene Eigenschaften, in verschiedene Richtungen) in der langfristigen dynamischen Entwicklung von Kollisionssystemen wie Kugelhaufen zu entwickeln. Außerdem hat NESSY zur Entwicklung eines dynamischen Modells eines Galaxiehaufens 47 Tucanae beigetragen, das seine umfassende Struktur im Bereich Geschwindigkeit beschreibt. Dies zeigt ein unerwartetes Ausmaß der internen Rotation. Die Rolle des Drehmoments ist ein Aspekt, der die innere Dynamik von Kollisionssystemen wie Kugelsternhaufen klarstellen kann. Wie Dr. Varri herausstellt, gilt trotz fehlender Forschung bezüglich des Phänomens: „Derzeit wird eine zunehmende Anzahl junger und alter Sternenhaufen beobachtet, um einen Nachweis für die Rotation zu finden. Tatsächlich ist es möglich, dass das Vorliegen eines Drehmoments die dynamische Entwicklung solcher Systeme wirklich beschleunigt.“ Voranbringen der Forschung in eine neue Ära der Astrophysik Die Arbeit von NESSY wird durch die Zusammenarbeit mit der School of Mathematics der Universität Edinburgh weiter vorangebracht, um die Rolle der kinematischen Komplexität weiter zu untersuchen und dabei auf Balance, Stabilität und die evolutionären Eigenschaften von dichten, rotierenden Sternensystemen zu schauen. Man erhofft sich, dass dadurch unser Verständnis von Kugelsternhaufen und Galaxiekernen verbessert wird. Wie Dr. Varri erklärt: „Auf dieser Grundlage werde ich weiterhin die Auswirkungen der kinematischen Komplexität auf zwei noch ungeklärte Rätsel meines Gebiets untersuchen: die dynamische Dimension des Phänomens der Mehrfach-Population und die Bildung von mittelschweren schwarzen Löchern und schwarzen Löchern stellarer Masse.“ Das Vorliegen der inneren Rotation kann sich wesentlich auf die Größe des Raumparameters, in dem die Kollisionsprozesse stattfinden, die zur Bildung von schwarzen Löchern in Haufen führen, sowie auf deren Ergebnis auswirken. Dank der Untersuchung der kinematischen Komplexität im Rahmen von NESSY können Wissenschaftler nun die Auswirkungen dieser weiteren Freiheitsgrade auf die Bildung und Erhaltung von schwarzen Löchern in dichten Sternsystemen untersuchen. Wie Dr. Varri sagt: „Dieses Thema ist besonders zeitgemäß, denn dank des LIGO-Interferometers gibt es nun ein neues astrophysisches Fenster, um die Physik der schwarzen Löcher zu erkunden, wie Gravitationswellen.“
Schlüsselbegriffe
Stellar, Astrophysik, Observatorium, Galaxie, Kugelhaufen, kinematische Eigenschaften, schwarze Löcher, Sterne, Astronomie, kinematisch