Erkenntnisse über Widerstandsdrift in amorphen Halbleitern
Speicherchips in häufig anzutreffenden Geräten wie etwa Computern, Smartphones und USB-Speichermedien bewahren im Normalfall in jeder der winzigen Speicherzellen des Chips ein Bit an digitaler Information auf. In diesem Zusammenhang wird ein Bit, das entweder einen Binärwert von 0 oder 1 haben kann, als Spannung über einem Kondensator gespeichert. Könnten jedoch in jeder Zelle viele Bits gespeichert werden, so wären Speicherchips in der Lage, noch viel mehr Daten zu speichern. Zwei Bits pro Zelle würden die Speicherkapazität verdoppeln, während drei Bits sie verdreifachen könnten und immer so weiter. Mit einer Klasse von Substanzen mit der Bezeichnung Phasenwechselmaterialien (phase-change materials, PCMs) könnten derartige Multibit-Speicher Realität werden, aber da man noch nicht genug über deren elektrische Eigenschaften weiß, wollte das DIASPORA-Projekt hier nachbessern. Phasenwechselmaterialien wie Germanium-Antimon-Tellur (GeSbTe, GST) können in zwei molekularen Phasen auftreten: als geordnete kristallin strukturierte Phase und als ungeordnete amorphe Phase. Durchströmen verschiedene elektrische Ströme einen winzigen Tropfen GST, wird das zwischen zwei Elektroden eingeschlossene Material erwärmt und auf reversible Weise von einer Phase zur anderen verändert. Der wahre Preis der ganzen Mühe: Multibit-Speicher Aber der GST-Tropfen muss nicht vollkommen in Form der einen oder anderen Phase existieren: es kann von jeder ein bisschen sein. Das Verhältnis von amorphem zu kristallinem Material in der Speicherzelle kann durch Anlegen verschiedener Heizströme variiert werden - und jede Mischung aus den zwei Phasen hat ihren eigenen charakteristischen Widerstand. „Könnte man verschiedene Widerstandswerte einstellen, würde das die Speicherung von mehr als einem Bit Information in einem einzigen Bauelement aus Phasenwechselmaterial ermöglichen“, erklärt DIASPORA-Projektkoordinator Abu Sebastian von IBM Research Zürich in der Schweiz. Mit vier Widerstandswerten könnte die Zelle beispielsweise die vier logischen Zustände darstellen, die ein Zwei-Bit-Speicher speichern könnte: 00, 01, 10 und 11. Und mit acht Widerstandswerten könnte sie drei Bits und mit 16 Widerstandswerten vier Bits darstellen. So existiert möglicherweise ein starker Multiplikator für Speicherkapazität . Drifter verderben den Spaß Während die Phasenwechselmaterialien vielversprechend erscheinen, gibt es jedoch ein Problem: Der Widerstand von GST in amorpher Phase driftet mit der Zeit aufwärts, was einen Multibit-Phasenwechselspeicher möglicherweise unzuverlässig werden lässt. „Unser Ziel bei DIASPORA bestand darin, ein tieferes Verständnis der dieser Widerstandsdrift zugrundeliegenden Physik zu gewinnen“, sagt Sebastian, so dass sie in zukünftigen Multibit-Bauelementen überwunden werden könne. Um diese Drift zu verstehen, führte ein von Abu Sebastian und Martin Salinga, DIASPORA-Projektleiter an der RWTH Aachen, Deutschland, elektrische, spektroskopische und optische Experimente an nanostrukturierten PCM-Bauelementen bei variierenden Temperaturen durch, um zu untersuchen, wie sich der Widerstand von GST verändert. Sie untersuchten außerdem, wie Defekte in der molekularen Struktur des Materials die Widerstandsdrift um einiges verschärfen. Im Folgenden verwendete man die experimentellen Daten zur Erschaffung von Computersimulationen, die zur Synthese der bislang quantitativ genauesten Beschreibung der Widerstandsdrift in Bauelementen aus Phasenwechselmaterialien hinführten. Ihr zukunftsweisendes Modell stellt unter Beweis, dass die Ursache der Widerstandsdrift in der spontanen strukturellen „Entspannung“ des amorphen Materials liegt. „Der amorphe Zustand entwickelt sich mit der Zeit zu einem energetisch günstigeren idealen Glaszustand“, sagt Sebastian. Und wie geht es mit den Phasenwechselmaterialien weiter? Die Erkenntnisse von DIASPORA und das revolutionäre Computermodell des Projekts sind ein bedeutender Schritt und helfen den Forschern dabei, zuverlässige Multibit-PCM-Speicher zu erschaffen. „Mit der Möglichkeit, 3 oder mehr Bits in einem einzigen PCM-Bauelement zu speichern, bahnen sich grundlegende Veränderungen in Bezug auf Speicherkapazität und Kosteneffizienz an“, sagt Sebastian voraus. „Es könnten auch Anwendungen weit über das Speichern hinaus, etwa eine vom Gehirn inspirierte Informationsverarbeitung möglich werden, bei der PCM-Bauelemente als neuronale und synaptische Elemente in einem sogenannten neuromorphen Informationsverarbeitungssystem dienen können.“ Sebastian hofft, im Rahmen zukünftiger Forschungen auf DIASPORA aufbauen zu können, um das Design neuartiger Architekturen für Phasenwechselbauelemente zu erkunden, welche die Widerstandsdrift abschwächen, und außerdem herauszufinden, wie klein ein Stück eingeschlossenes Phasenwechselmaterial sein kann, das dennoch als Speicherbauelement funktioniert.
Schlüsselbegriffe
DIASPORA, Phasenwechselmaterialien, nichtflüchtiger Speicher, Mehrebenenspeicher