Zusammenspiel von Hirnfunktionen bei der Fruchtfliege
Das EU-finanzierte Projekt FLIACT (Systems neuroscience of Drosophila: from genes to circuits to behaviour) ist das erste Ausbildungsnetzwerk (ITN), das sich mit der Systemneurologie der Fruchtfliege Drosophila melanogaster beschäftigt. FLIACT untersuchte die genetische Basis angeborener und erworbener Verhaltensweisen, insbesondere molekulare und zelluläre Mechanismen, die sensorische Navigation, soziales Verhalten und Modulation angeborener Reaktionen durch interne Zustände regulieren. Im Rahmen des Netzwerks entwickelten die Stipendiaten innovative Tools und Paradigmen zur Analyse wichtiger Hirnfunktionen wie die perzeptuelle Entscheidungsfindung. FLIACT entwickelte Softwareprogramme, um das Sozialverhalten adulter Fliegen und die Interaktion zwischen mehreren Tieren zu beobachten. Auch wurde eine rotierende Kugel konzipiert, auf der einzelne Fliegen fixiert werden. Auf diese Weise kann die Richtung ermittelt werden, in die sie bei kontrollierter Abgabe von Riechstoffstimuli laufen. Ein automatisiertes System ermöglicht sowohl das Tracking als auch die kontrollierte Freisetzung der Geruchsstoffe. Zudem wurde mit dem 2-Photonen-Bildgebungsverfahren Flywalk die Funktion von Interneuronen im olfaktorischen System bei der Geruchssteuerung durch Lockstoffe und abstoßende Substanzen untersucht. Die Nahrungssuche steuert Drosophila über visuelle Wahrnehmung und Geruch. Die FLIACT-Stipendiaten untersuchten die visuelle Wahrnehmung, indem sie die Reaktion der Photorezeptoren auf Licht verschiedener Wellenlängen ermittelten. Bei adulten Fliegen wurden synaptische Partner dorsaler Neuronen im visuellen System kartiert. Im Larvenstadium nimmt Drosophila vor allem abgestufte chemische Reize (Gradienten) wahr, die von Futter ausgehen. FLIACT konzipierte einen Tracker mit geschlossener Regelschleife (closed loop), um zu klären, wie optogenetisch gesteuerte sensorische Signale in Bewegung umgewandelt werden, und machte bei der Kartierung der an dieser Umwandlung beteiligten neuronalen Signalwege wichtige Fortschritte. Verhaltensreaktionen sind von Natur aus adaptiv. So fanden die FLIACT-Stipendiaten heraus, dass befruchtete Weibchen bei der Eizellenproduktion stark auf natriumreiche Nahrung ansprechen und dass bei der Paarung der Geschmackssinn auf salzhaltige Nährstoffe ausgerichtet wird. In längeren Evolutionszeiträumen erfolgt die Anpassung des Verhaltens während der Speziation. FLIACT untersuchte Drosophila-Arten auf prägnante Unterschiede bei der Geruchspräferenz. So legt die Art D. suzukii Eier vorzugsweise auf frischen reifen Früchten ab, andere Arten hingegen bevorzugen eher faulige Früchte. Die Ergebnisse von FLIACT legen hier Veränderungen im peripheren chemosensorischen System zugrunde. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Drosophila als hervorragendes Modell zur Erforschung menschlicher Krankheiten erwiesen. Amyloid beta ist Hauptbestandteil der Alzheimer-typischen Plaques. Die Forscher testeten daher Mutationen im Amyloid-beta-Peptid am olfaktorischen System von Larven und machten die interessante Entdeckung, dass diese Mutanten ähnliche Orientierungsprobleme hatten wie Menschen im Frühstadium der Neurodegeneration. So konnte wissenschaftlich belegt werden, dass das Screening von Drosophila die Entwicklung von Medikamenten etwa gegen Alzheimer befördern kann. Über die gesamte Projektdauer des FLiACT-Netzwerks (2011-2015) engagierten sich Forscher und Stipendiaten in hohem Maße in Öffentlichkeitsarbeit und Wissenschaftsvermittlung. FLIACT organisierte hierfür u.a. eine internationale Sommerakademie in Lissabon und einen Workshop in Ghana und entwickelte eine öffentlich zugängliche Spiele-App (für Apple und Android). Auf diese Weise sollte FLIACT das öffentliche Interesse für das enorme Potenzial von Drosophila in der Grundlagenforschung und den angewandten Neurowissenschaften fördern.
Schlüsselbegriffe
Hirnfunktion, Drosophila melanogaster, Wahrnehmung, Kognition, FLIACT, Neurodegeneration