Mit Neurowissenschaft und Informatik: das Human Brain Project lüftet die Geheimnisse des Gehirns
Trotz langjähriger Forschung bleibt das menschliche Gehirn eines der größten Geheimnisse der Natur, teilweise auch deswegen, weil Labore typischerweise verschiedene Aspekte unabhängig voneinander untersuchen. Das HBP wurde ins Leben gerufen, um eine einzigartige europäische Technologieplattform für Neurowissenschaften, Medizin und fortschrittliche Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) aufzubauen. Durch die Verknüpfung von Forschungsbereichen in noch nie dagewesenem Umfang sollen Synergien freigesetzt und der Fortschritt beschleunigt werden. Eines der ehrgeizigsten Projekte der EU Die beiden Visionen des Projekts verstärken sich gegenseitig: Fortschrittliche IKT sollen in der Neurowissenschaft zum Einsatz kommen, um das Gehirn und seine Erkrankungen besser zu verstehen, während gleichzeitig die IKT mit Hilfe von Inspirationen aus der Biologie verbessert wird. Mit über 500 Wissenschaftlern von 120 europäischen Partnerinstitutionen aus 19 Mitgliedstaaten ist das HBP eines der größten jemals von der EU finanzierten Projekte. Das Projekt ist zunächst auf zehn Jahre ausgelegt (2013-2023), in denen es eine dauerhafte europäische Forschungsinfrastruktur für Neurowissenschaften schaffen soll. „Als Antwort auf auftretende Probleme zeichnet sich ein Umschwung vom einzelnen spezialisierten Labor hin zu größeren interdisziplinären Initiativen ab“, sagt Prof. Katrin Amunts, die wissenschaftliche Forschungsleiterin des Projekts. „Das liegt zum Teil an rechenintensiven Simulationen und den dabei anfallenden Datenmengen, Terabytes bis Petabytes, die die Kapazitäten einer einzelnen Forschungseinrichtung einfach überschreiten.“ Um ein umfassendes Verständnis der Hirnkomplexität zu ermöglichen und es dann auf Neuromedizin, Informatik, Robotik und KI Innovationen anwenden zu können, spielt die gemeinsame Datennutzung nach den FAIR-Grundsätzen eine Schlüsselrolle im HBP. Der Ansatz des HBP umfasst die experimentelle Untersuchung der Organisation des Gehirns von Mäusen und Menschen genauso wie kognitive und theoretische Neurowissenschaften. All das fließt in sechs technologiegestützte Plattformen in folgenden Bereichen ein: Neuroinformatik, Simulation, Hochleistungsanalytik und -datenverarbeitung, neuromorphe Datenverarbeitung, Neurorobotik und medizinische Informatik. „Die Komplexität des Gehirns ist atemberaubend, weil es völlig unterschiedliche räumliche und zeitliche Skalen umfasst, von der Molekülebene der Synapsen, Zellen und Nervenfasern bis zu Verbindungen zwischen ganzen Hirnregionen, und von Millisekunden bis zu einem ganzen Leben“, so Prof. Amunts. Da Fortschritte in der Neurowissenschaft und Informatik stark emotionsbeladene Themen sein können, die philosophische Fragen über das „Selbst“ und den verantwortungsvollen Einsatz neuer Technologien aufwerfen, arbeitet das HBP mit seinem Bereich für Ethik- und Gesellschaftsforschung gemäß den Prinzipien der verantwortungsvollen Forschung und Innovation (Responsible Research and Innovation, RRI). Gehirnstörungen bekämpfen und gleichzeitig konkurrenzfähige IKT entwickeln Das HBP hat bereits einige neue Ansätze für technologiegestützte Neuromedizin entwickelt. Ein Beispiel dafür ist ein neuer personalisierter Gehirnavatar. Er wurde entwickelt, um die Epilepsiechirurgie zu verbessern, und wird bald in einer klinischen Studie mit 400 Patienten getestet. Ein anderes ist die Erstellung des bisher umfassendsten 3D-Atlas des menschlichen Gehirns. Zwei der weltweit führenden neuromorphen (hirnähnlichen) Datenverarbeitungssysteme, SpiNNaker und BrainScaleS, wurden im Rahmen des HBP entwickelt. Außerdem hat das Projekt die FENIX-Infrastruktur errichtet, ein europaweites Netzwerk von Höchstleistungsrechenzentren, das den Austausch von Daten in sehr großem Umfang ermöglicht. „Wir legen jetzt mit einer breiten externen Nutzergemeinschaft das Fundament für die integrierte europäische Forschungsinfrastruktur. Das heißt, es müssen nicht nur Hard- und Software aufgebaut werden, sondern auch eine Nutzungskultur“, so Prof. Amunts. Die sechs Plattformen, die der Öffentlichkeit seit 2016 zur Verfügung stehen, bieten Wissenschaftlern schon jetzt Zugang zu einem großen Ressourcenspektrum, einschließlich verschiedener Modelle und Atlanten des Gehirns. Externe Nutzer können über ein gemeinsames Internetportal von überall auf der Welt auf die Forschungsinfrastruktur zugreifen. Allen Nutzern steht ein hochrangiges Unterstützungsteam zur Seite. Wissenschaftler können mit Unterstützung eines Kurationsteams auch eigene Daten hochladen.
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