Ein kleiner Tropfen Blut für ein Meer aus Daten
Dieses neue Verfahren wird Pharmakoskopie genannt und vereint automatisierte Mikroskopie und Einzelzellen-Bildanalyse, um Daten zu 20 Millionen Zellen zu liefern. Dank des I-FIVE-Projekts, das von 2010 bis 2015 durchgeführt wurde, konnte es erfolgreich zur Suche nach neuartigen antiviralen oder immunmodulierenden Medikamenten eingesetzt werden. Anhand der Testerkrankungen Myelofibrose und Lymphom demonstriere das Projektteam außerdem, dass der Ansatz Hämato-Onkologen bei therapeutischen Entscheidungen in einem konkreten klinischen Umfeld unterstützen könnte. Mit CHEMOS (Chemical Haematology: breaking resistance of haematological malignancies through personalised drug trials) setzten sich Prof. Dr. Giulio Superti-Furga und sein Team zum Ziel, ihr Screeningverfahren der Markteinführung näher zu bringen: Im Rahmen des Projekts werden durch retrospektive Studien Daten gesammelt und mit den Ergebnissen potenzielle Investoren gewonnen. Prof. Superti-Furga erklärte sich bereit, anlässlich des im September anstehenden Projektabschlusses über die erzielten Ergebnisse zu sprechen. Wir erklären Sie die Tatsache, dass die individualisierte Medizin für Blutkrebs ihre Versprechen bislang nicht einlösen konnte? In erster Linie beruht die individualisierte Medizin sowohl bei Blutkrebs als auch bei anderen Krebsarten auf funktionaler Screeningtechnologie, die auf die durchschnittlichen Eigenschaften der Reaktion auf Medikamente gerichtet ist. Durch diese Verallgemeinerung wird nicht zwischen den Effekten auf verschiedene Zellen unterschieden – wir sind allerdings der Ansicht, dass eine solche Unterscheidung zur Vorhersage der Patientenreaktion sehr wichtig ist. Zudem wurde mit früheren funktionellen Assays anhand von Werten wie dem globalen ATP-Spiegel früh- oder spätphasige Zytotoxizität festgestellt. Diese Assays führten jedoch nicht zu ausreichend robusten Ergebnissen, um routinemäßig in klinischen Umgebungen eingesetzt zu werden. Zudem erfordern die Assays viel Material, um über die Schwellenwerte der Nachweisbarkeit zur gelangen, und Verfahren wie die automatische Durchflusszytometrie werfen das zusätzliche Problem einer praktischen Komponente auf. Natürlich bereiteten diese funktionellen Assays unserer Forschung den Weg, doch die Arbeit an diesen Ansätzen konzentrierte sich auf die Patientenstratifizierung, das Erfassen der Ex-vivo-Reaktionen, die Arzneimittelentdeckung und die Beleuchtung von Wirkmechanismen: Diese Ansätze müssen noch zur klinischen Routine werden. Ein weiteres Problem liegt in dem Umstand, dass Genetik – die den Weg zur individualisierten Behandlung fester Tumore aufgezeigt hat – sich aufgrund der Diversität der klonalen Evolution während der Krebsentwicklung und -behandlung möglicherweise schwer auf hämatologische Malignome anwenden lässt. Wir finden, dass sich unsere Arbeit sehr gut mit der Genetik kombinieren lässt (sei es mit der fokussierten Genetik oder allgemeineren genetischen Ansätzen), sodass unsere Ergebnisse zu mechanistischen Erkenntnissen und denkbaren neuen Vorgehensweisen führen könnten. Wie werden die beschriebenen Probleme mit Ihrem neuen Screeningverfahren behoben? Wir glauben, dass die Unterscheidung zwischen den Arzneistoffwirkungen auf gesunde Zellen und Krebszellen – die in früheren Assays meist vernachlässigt wurde – zur Vorhersage der Reaktion entscheidend ist. Daher nutzen wir in unserem Programm High-Content-Mikroskopie, um, mit einem Auflösungsvermögen von einer einzigen Zelle, die Wirkung von Medikamenten auf jede Zelle zu beurteilen. Wie mit Mikroskopie festgestellt wurde, führt diese Wirkung in den meisten Fällen zum Zelltod, da der Zellkern zerfällt. Die Phänotypen der Krebszellen können mithilfe fluoreszierender Antikörper anhand von diagnostischen Markern von denen der gesunden Zellen unterschieden werden – wie dies auch in der Pathologie gängig ist. Wird dieses Assay mit einem Auflösungsvermögen einzelner Zellen und im großen Maßstab automatisiert durchgeführt, wird jede Zelle zu einem Assay. So können verschiedene Zellreaktionen gesammelt und genau die Medikamente gefunden werden, die Krebszellen abtöten, ohne gesundes Zellmaterial zu beschädigen. Diesen Prozess können wir für jeden Wirkstoff mit tausenden Zellen durchführen, und mit hunderttausenden pro Patientenprobe. Bei diesen Ergebnissen handelt es sich durchweg um robuste Messungen mit hoher statistischer Aussagekraft, die ohne großen Arbeitsaufwand erhoben werden, da der Ablauf vollständig automatisiert werden kann und nur sehr wenig Material erforderlich ist. Die Bilder sind beispiellos, da sie uns einen riesigen Datenschatz liefern, aus dem wir schöpfen können. Wie gehen Sie genau vor? Jeder Schacht einer Mikrotiterplatte mit 384 Schächten wird mit einem Wirkstoff beschichtet. Die Patientenzellen werden hinzugegeben, und wir erzeugen eine Monoschicht der Zellen, die wir unter einem automatischen Konfokalmikroskop beobachten können. So werden pro 384-Schacht-Mikrotiterplatte etwa 2 000 Bilder angefertigt, die Daten zu insgesamt 20 Millionen Zellen enthalten. Diese Bilder werden dann in eine Bildanalysepipeline geleitet, in der Bilder von Interesse ermittelt werden. Was macht diese Projektergebnisse so innovativ? Wir fanden eine Lösung, bei der eine Platte mit 384 Schächten keine 384 Tests bedeutet, sondern nur einen einzigen, der Daten zu etwa 20 Millionen Zellen ergibt. Wir glauben, dass dies in der Medizin das Zeitalter von „Big Data“ einläutet, und wir kratzen vielleicht nur an der Oberfläche der Informationen, die in diesen Bildern enthalten sein und noch ausgewertet werden könnten. Dies ist eine ganz bedeutende Entdeckung. Aus konzeptioneller Sicht stellten wir fest, dass etwa 10 % der häufig angewandten Therapeutika das Immunsystem modulieren können. Welche Erkrankungen könnten mit diesem Verfahren behandelt werden, und warum? Wir konzentrierten uns auf hämatologische Malignome, da bei diesen während Routinebesuchen leichter Proben von Patienten genommen werden können (ein Großteil der von uns eingesetzten Proben stammt aus der Routinepathologie). Wir begannen auch mit der Untersuchung anderer Typen von Erkrankungen, darunter autoinflammatorische Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis, wenn auch für andere Arten von Programmen der individualisierten Medizin. Wie haben potentielle Investoren bislang reagiert? Sowohl von Unternehmen und strategischen Investoren als auch von staatlich geförderten Programmen hier in Österreich erhielten wir sehr positive Rückmeldungen. Wie möchten Sie die in CHEMOS erzielten Ergebnisse vermarkten? Hier in Wien haben wir das Unternehmen Allcyte gegründet, mit dem wir uns auf die Vermarktung der Technologie konzentrieren. CHEMOS Finanziert unter H2020-ERC CORDIS-Projektseite
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