ERC Storys – Eine Reise in eine sehr kleine Welt
Stellen Sie sich ein kreisförmiges Schwimmbecken mit einem Sprungbrett am Rand vor. Stellen Sie sich nun vor, dass dieses "Schwimmbecken" das runde Ende einer Glasfaser ist und dass das "Sprungbrett" dünner als ein menschliches Haar ist. Dies ist das Projekt von Dr. Iannuzzi: Es trägt den Namen "Faserenden-Cantilever" und verfügt über das Potenzial, verschiedenste Forschungsbereiche grundlegend zu verändern. Faserenden Das Projekt ging aus Experimenten von Dr. Iannuzzi zur Grundlagenphysik hervor, bei denen versucht wurde, Kräfte aufgrund von Quanteneffekten wie des Casimir-Effekts zu messen. Die herkömmliche Apparatur schießt einen Laserstrahl auf einen winzigen Cantilever. Die zu messende Kraft verbiegt den Cantilever. Misst man diese Krümmung über die Lichtablenkung, kann man die Kraft messen. "Im Handel befindliche Instrumente verfälschten jedoch die Effekte", erklärt Dr. Iannuzzi. "Der Fokus des Lasers war zu groß und das Licht, das den Federbalken verfehlt, verursachte Probleme bei den hochempfindlichen Messungen im kleinen Maßstab, die wir durchführen wollten." Um diese Probleme zu vermeiden, kamen die Forscher auf die Antwort: "Warum bringt man den Cantilever nicht am Ende einer Glasfaser an?" Das Team verwendete die gleichen Glasfasern wie in der Telekommunikation: eine Glasfaser mit einem Durchmesser von 0,1 mm, die einen Lichtstrahl von 0,01 mm übermittelt. Der Laser trifft den Cantilever genau und wird in die Glasfaser zurückgeworfen, sodass der Unterschied zwischen dem abgegebenen und dem zurückgeworfenen Licht die Bewegung angibt. Dank eines ERC Starting Grant 2007 "konnten wir diese Technologie zur Reife bringen und haben eine Herstellungsmethode patentieren lassen", erklärt Dr. Iannuzzi. "Wir können mikrobearbeitete Geräte auf Glasfasern mit den gleichen Techniken wie bei silikonbasierten mikroelektromechanische Systemen anbringen", fährt er fort. Zu den Anwendungen zählt die Rasterkraftmikroskopie (RKM): Ein spitzes Ende am Cantilever kann in eine Oberfläche gedrückt und "wie die Nadel eines Schallplattenspielers" bewegt werden. Mit der Aufnahme der Lage und der Krümmung der "Nadel" kann ein Bild der Oberfläche mit einer Auflösung im Nanometerbereich erstellt werden. Dies ist besser als das bisherige Verfahren mit optischen Mikroskopen. Normalerweise ist diese Ausstattung sperrig, teuer und erfordert eine komplexe Einstellung mechanischer und optischer Teile, aber bei der Faserenden-Technologie ist keine Einstellung erforderlich", führt Dr. Iannuzzi an. Zwar ist die Herstellung des Sensors teurer, aber die Mikroskope werden billiger und kleiner. "Wir haben bereits ein Tischmodell erstellt und sie waren sogar tragbar", sagt er. Da sich der Cantilever am Ende einer langen Glasfaber befindet, ist er für die Verwendung in härteren Umgebungen geeignet. Die Elektronik befindet sich in einer sicheren Entfernung. Er kann auch an kleinen und engen Stellen eingesetzt werden: "Unsere Wunschvorstellung ist, dass wir ihn schließlich in Anwendungen wie der minimalinvasiven Chirurgie verwenden könnten." Start-up-Unternehmen und Ableger Mit der Hilfe des neuen ERC Proof of Concept Grant möchte das Team nun zeigen, dass dieser Vorgang auf eine Massenproduktion ausgeweitet werden kann. "Dies wäre ein Riesenerfolg für unsere Forschungsgruppe und für Optics11, unser Start-up-Unternehmen, das die Faserenden-Technologie vermarktet." Der neue Entwurf hat sogar einige Vorteile, die das Team nicht geahnt hatte. "Wir können auch einen kürzeren Cantilever herstellen, das äußerste Ende ist hier exakt auf den Lichtstrahl ausgerichtet", erklärt Dr. Iannuzzi. "Wir könnten die Position des Cantilevers mit einer Farbe messen, während der gleiche Punkt der Probe mit einem Licht in einer anderen Farbe beschienen würde." Durch den Lichtstrahl könnten die untersuchten Materialien fluoreszieren. Gleichzeitig werden chemische Daten von dem Punkt gesammelt, der untersucht wird. Der Faserenden-Cantilever ist offensichtlich empfindlicher und präziser als bestehende Techniken. "Wir können sogar die Stabilität und die Härte bzw. Weiche einer Oberfläche erkennen", so Dr. Iannuzzi. So könnten Forscher die physikalischen Eigenschaften biologischer Zellen untersuchen und die Stabilität der Zellwand erkennen, was auf Krankheiten schließen lassen kann. Diese biophysikalischen Anwendungen könnten zu einem besseren Verständnis der grundlegenden Eigenschaften von Zellen führen, was wieder zu Anwendungen in der Medizin und der Chirurgie führen könnte. - Quelle: Dr. Davide Iannuzzi - Projektkoordinator: VU University Amsterdam, Niederlande - Projekttitel: Fiber-top micromachined devices: ideas on the tip of a fiber - Projektakronym: FTMEMS - Website von Dr. Davide Iannuzzi - RP7 Förderprogramm (ERC-Aufruf): Starting Grant 2007 & Proof of Concept 2011 - Finanzierung durch die EK: 1,8 Mio. EUR - Projektdauer: fünf Jahre Glossar RKM – Rasterkraftmikroskopie: eine sehr hochauflösende Art der Rastersondenmikroskopie, die mit einer physikalischen Sonde anstatt von Licht eine viel höhere Auflösung erreicht als optische Mikroskope Casimir-Effekt: eine Kraft, erklärt durch die Quantentheorie, die zum Beispiel eine Anziehung oder eine Abstoßung zwischen zwei ungeladenen Platten, die sehr nah beieinander liegen, erzeugen kann. Cantilever: eine überstehende Feder oder ein überstehender Federbalken, der nur an einem Ende befestigt ist. Fluoreszenz: die Ausstrahlung oder Lumineszenz durch Materialien, die Energie von Licht oder einigen anderen Formen elektromagnetischer Strahlen aufgenommen haben. MEMS – Mikroelektromechanische Systeme: sehr kleine, elektronisch gesteuerte mechanische Geräte. Sie werden für gewöhnlich mit Ablagerungstechniken auf die gleiche Art wie Halbleitermikrochips hergestellt. Glasfaser: flexible, durchsichtige Fasern aus Glas, die in der Telekommunikation verwendet werden, da sie Licht von einem zum anderen Ende der Faser übertragen können.