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Inhalt archiviert am 2024-04-22

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Projekt-Erfolgsstorys - Erforschung eines sehr alten Teils des Gehirns

Europäische Wissenschaftler erkunden die motorische Steuerung und kognitive Funktionen, um die zur Bewegungssteuerung eingesetzten grundlegenden Mechanismen besser verstehen zu können. Ihre Arbeit soll Erkenntnisse zu den Ursachen chronischer Gehirnerkrankungen wie etwa Morbus Parkinson, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHD) liefern.

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Die EU-finanzierten Wissenschaftler konzentrieren ihre Anstrengungen auf einen wichtigen und noch immer etwas rätselhaften Teil des Gehirns, die Basalganglien, die für die motorische Steuerung und kognitive Aspekte des Verhaltens zuständig sind. Die Basalganglien bilden einen Teil des Großhirns und sind eine Gruppe von Strukturen im Gehirn von Wirbeltieren, die als eine zusammenhängende funktionelle Einheit wirken. Stellt man sich das menschliche Gehirn als einen runden Filzhut – eine Melone – vor, die schief auf einem Kleiderständer thront, dann befinden sich die Basalganglien in der Mitte, ungefähr drei Zentimeter vom unteren Rand entfernt. Die europäischen Forscher des Select-and-Act-Projekts erforschen nun diesen Bereich und nutzen eine Vielzahl moderner Werkzeuge, um genauer zu verstehen, wie er funktioniert. Gesicherte Erkenntnisse für die Grundlagenforschung sowie neue Einblicke in Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie Parkinson, Chorea Huntington und sogar ADHS sind wichtige Ziele der Forschungsbemühungen. "Die Basalganglien stehen mit einer Vielzahl von Funktionen im Zusammenhang. Dazu gehören die Willkürmotorik, das prozedurale Lernen in Bezug auf gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen, Augenbewegungen sowie kognitive und emotionale Funktionen", erklärt Sten Grillner, Select-and-Act-Koordinator und Professor am renommierten schwedischen Karolinska-Institut. Schwerpunkt der Select-and-Act-Forschung ist ein wichtiger Bestandteil innerhalb der Basalganglien, das sogenannte Striatum. Das Striatum spielt eine elementare Rolle – es dient als Filter für Signale aus dem Cortex und dem Thalamus. Professor Grillner erläutert weiter, dass die Sensitivität des Striatums durch Dopamin bestimmt wird. An dieser Stelle sei der wichtige Ansatzpunkt für die Parkinson-Krankheit. Bei zu wenig Dopamin werden die Schaltungen im Striatum nicht aktiviert. Zuviel davon und es werden offensichtlich unwillkürliche Bewegungen, die sogenannte Hyperkinese, ausgelöst. Ähnliche Auswirkungen haben 5-HT und Histamin. Die Großhirnrinde ist ein zentraler Bereich für Gedächtnis, Aufmerksamkeit, perzeptuelle Wahrnehmung, Denken, Sprache und Bewusstsein, während der Thalamus Sinnesempfindungen, räumliches Vorstellungsvermögen und motorische Signale an die Großhirnrinde und die Basalganglien weitergibt. Großhirnrinde und Thalamus stehen in enger Wechselwirkung mit den Basalganglien. Was das Striatum sonst noch drauf hat Cortex und Thalamus nehmen Daten über zu erledigende Dinge auf, das Striatum empfängt diese Informationen und nutzt sie, um festzustellen, welche Aktionen zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeführt werden sollten. Das Ganze spielt eine offensichtliche und wichtige Rolle bei der motorischen Kontrolle und Koordination. "Schwerpunkt unserer Forschung ist das Striatum, denn hier handelt es sich um die Struktur im Gehirn, die weitestgehend für die Auswahl von Verhaltensweisen verantwortlich ist", begründet Grillner. "Wenn Sie sich also nach links oder rechts drehen müssen, haben Sie dafür einzelne Schaltkreise im Hirnstamm. Man braucht allerdings eine andere Struktur, um zu entscheiden, welche Schaltung zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiviert werden soll – genau darin besteht eine primäre Funktion des Striatums." Das Select-and-Act-Team besteht aus fünf Forschergruppen, die über einander ergänzendes Fachwissen verfügen und das Striatum innerhalb eines Rasters verwandter und relevanter Verfahren systematisch untersucht haben. Grillners Labor erforscht die Funktionsweise der Mikroschaltungen im Striatum auf molekularer, zellulärer und synaptischer Ebene durch Aufnahme mehrerer Nervenzellen gleichzeitig. Man nutzt dabei sowohl das Striatum von Nagetieren als auch das eines primitiven Wirbeltiers: des Neunauges. Inzwischen betrachtet das Bolam Labor in Oxford die Feinstruktur spezieller Typen von Synapsen im Striatum und außerdem, auf welche Weise verschiedene Modulatoren wie Dopamin, 5-HT und Histamin die Mikroschaltungen des Striatums mittels verschiedener physiologischer Methoden beeinflussen. Am Königlich Technischen Institut (Royal Institute of Technology) in Stockholm entwirft das Labor Lansner/Hellgren Computermodelle des Striatums und seiner Wechselwirkung mit der Hirnrinde und den verschiedenen motorische Zentren. Die Modelle basieren auf den detaillierten biologischen und morphologischen Erkenntnissen der Labore Grillner und Bolam. "Die Modelle erlauben uns zu testen, ob unsere biologischen Resultate mit der Funktionsweise der verschiedenen Schaltkreise in Übereinstimmung zu bringen sind." Am Graybiel Labor des MIT in Cambridge, USA, findet eine in-vivo-Studie statt. Dort untersuchen Forscher die Aktivität des Striatums an Nagermodellen, wobei an rennenden Ratten eine Anzahl von Nervenzellen in den Mikroschaltungen des Striatums gleichzeitig dokumentiert wird. Die Ratten werden außerdem darin trainiert, je nachdem, wo sie Futter erwarten, nach links oder rechts abzubiegen. Das Team kann dann sehen, wie diese Aktionen das Striatum in Anspruch nehmen. "So sehen wir, wann die verschiedenen Schaltungen zum Einsatz kommen", erläutert Professor Grillner. Auch das Bergman Labor der Hebrew University, Jerusalem, ist in die Forschung eingebunden und untersucht die Aktivität von Nervenzellen im Striatum im Zusammenhang mit Dopaminzellen, die Affen für ein bestimmtes Verhalten Belohnung signalisieren. Der Affe ist darin ausgebildet, verschiedene Hinweise zu erfassen und zu interpretieren, die jeweils Belohnungen oder einfach Luftstöße zur Folge haben. Die Testsituation gestattet eine Analyse der Funktion des Striatums unter komplexeren Bedingungen. "Durch die Kombination der Ansätze der fünf Laboratorien werden wir besser verstehen, wie Mikroschaltungen im Striatum bei einfacheren Aufgaben bei Nagern und komplexeren Aufgaben bei Primaten funktionieren", verdeutlicht Grillner, hinzufügend, dass diese Kombination von Forschungsverfahren Select-and-Act einzigartig mache. Die Entdeckung, wie lange das Striatum bereits existiert, war für das Team eine große Überraschung. "Wir verglichen die Schaltungen bei Säugetieren mit den Schaltungen bei einem der ersten in der Evolution auftauchenden Wirbeltiere, dem Neunauge", erzählt der Professor. Das Neunauge ist schon sehr alt: Es entwickelte sich vor 560 Millionen Jahren, als es aus der Hauptevolutionslinie der Wirbeltiere ausscherte. Es ist eines der primitivsten Wirbeltiere – wahrlich ein lebendes Fossil – das der Wissenschaft noch zu Forschungszwecken zur Verfügung steht. "Aber es überraschte uns ehrlich zu erfahren, dass sich bereits vor 560 Millionen Jahren der grundlegende Aufbau und die Eigenschaften sowie die Verbindungsfähigkeit dieser Nervenzellen entwickelt hatten. Die Säugetiere haben sich erst vor 130 Millionen Jahren entwickelt und der Mensch erschien erst vor 200.000 Jahren auf der Bildfläche. So war die gesamte Steuerungsstruktur des Striatums schon sehr früh in der Wirbeltierevolution fertig und hat sich seitdem auch nicht viel verändert", zeigt sich Grillner verblüfft. Die Forschungsarbeit wird noch ein weiteres Jahr fortgesetzt. "Den Endpunkt dieses Projekts sehen wir darin, die Striatum-Mikroschaltungen besser zu verstehen, und zu begreifen, wie sie durch verschiedene Modulatoren wie Dopamin, 5-HT und Histamin modifiziert werden", verdeutlicht Grillner. Während das Team bis hierher schon viel erreicht habe und wichtige neue Einsichten gewonnen wurden, bleibe – so der Wissenschaftler – an dem Projekt auch weiterhin viel zu tun. Professor Grillner bilanziert: "Diese Art der Forschung muss jedoch noch für lange Zeit fortgesetzt werden, um den komplizierten Mechanismus tatsächlich zu verstehen, welcher der komplexe Funktion unseres Gehirns zu Grunde liegt." Das Select-and-Act-Projekt erhielt Mittel aus dem Bereich "Gesundheit" des Siebten Rahmenprogramms (RP7) für Forschung.