Projekt-Erfolgsstorys - Eine Stufe besser: Roboter im OP
Hört man das Wort "Operation", hat man automatisch ein Bild eines Schnitts, eines Eingangs in den Körper vor Augen, der groß genug ist, dass der Chirurg das Organ mit eigenen Augen sehen und mit den Fingern berühren kann. Manchmal ist die Beschädigung von Haut und Muskeln, die leider erforderlich ist, um überhaupt an den gewünschten Bereich heranzukommen, eine größere Verletzung als der kurative Eingriff an sich. Diese lange Schnittwunde ist der Schwachpunkt der traditionellen Chirurgie. Nicht überraschend ist daher der Trend zur minimal-invasiven Chirurgie, bei der durch kleine Einschnitte in die Haut des Patienten hindurch operiert wird, um gesunde Organe und Gewebe zu verschonen. Typischerweise führen die Chirurgen dabei zwei dünne Schläuche ein und verwenden sogenannte Endoskope. Eines trägt eine faseroptische Kamera und eine Lichtquelle; das andere führt miniaturisierte chirurgische Instrumente mit sich. Der Chirurg arbeitet mit langen, schlanken Instrumenten, die ihm nur sehr wenig Rückmeldung geben und - durch eine einzige Kamera - lediglich eingeschränkte Sicht auf das Operationsfeld bieten. Diese Methode erfordert überdies eine sehr gute Hand-Auge-Koordination. Das alles ist nicht ideal und deshalb muss man viele komplexe chirurgische Eingriffe immer noch auf traditionelle "invasivere" Weise vornehmen. Und nun: Roboterchirurgie! Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in Deutschland und seine Partner wollten diese Einschränkungen innerhalb des Accurobas-Projekts durch Einsatz von Robotik überwinden. Es mag futuristisch klingen, aber die Roboterchirurgie ist eigentlich eine Erweiterung der minimal-invasiven Techniken. Der Unterschied besteht darin, dass der Chirurg an Stelle von Endoskopen und Instrumenten wie Skalpell und Klemme Roboterarme verwendet. Die im Accurobas-Projekt untersuchten Roboter gehören nach Angaben von Projektleiter Dr. Jörg Raczkowsky vom KIT zu der neuen Klasse von Leichtrobotern, die einen sehr geringen Platzbedarf haben. "Sie können auf einfache Weise entsprechend den konkreten Anforderungen des jeweiligen Eingriffs konfiguriert werden", so Raczkowsky. Mirosurge ist ein solcher Chirurgieroboter, der dem Chirurgen direkt am OP-Tisch zur Hand gehen kann. Der am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelte Roboter besteht aus drei MIRO® - Roboterarmen, die durch kleine Inzisionen in den Körper des Patienten eingeführt werden. Ein Arm führt ein Laparoskop - ein teleskopähnliches Endoskop - und zwei dienen als Hände des Chirurgen. Auf der anderen Seite des OP-Saals sitzt der Chirurg ganz gemütlich vor einem ergonomisch gestalteten stereoskopischen Betrachtungsgerät. Die Displays zeigen hochauflösende Videobilder in Echtzeit, die ein an dem Laparoskop angebrachtes Kamerapaar aufnimmt. Der Chirurg kann durch den Betrachter direkt in den Patienten und auf den Operationsbereich schauen. Wenn er seine Hände bewegt, imitieren die Roboterarme innerhalb des Körpers des Patienten die Bewegungen des Chirurgen - sie schneiden und nähen. Soft-Aktuatoren erlauben eine leichtgängige Bewegung der Roboterarme. Noch wichtiger sind die miniaturisierten Drehmomentsensoren, die für Rückmeldungen zu den Reaktionskräften sorgen, wodurch der Chirurg Informationen über das manipulierte Gewebe erhält. Jenseits der Grenzen menschlicher Fingerfertigkeit Mit dem neuen chirurgischen Roboter können Chirurgen nun Operationen mit bisher unerreichter Präzision in einer Weise vornehmen, die das Komplikationsrisiko verringert und sogar weniger Personal während des chirurgischen Eingriffs erfordert. Die Patienten profitieren von kleineren Schnitten, weniger postoperativen Schmerzen und einer schnelleren Genesung. "Wohl keiner würde den massiven Narben und langen Krankenhausaufenthalten der traditionellen 'offenen' Chirurgie nachweinen", vermutet Dr. Raczkowsky. Aufgrund des besseren ergonomischen Hantierens würde der Chirurg überdies weniger ermüden und könnte am Patienten bessere Arbeit leisten. Das Robotersystem hat Abmessungen ähnlich denen eines menschlichen Arms und ein eher geringes Gewicht von zehn Kilogramm. Und MIRO® gibt dem Chirurgen sieben Freiheitsgrade in der Bewegung - genau wie sie auch das menschliche Handgelenk hat. Da ein Computer außerdem die Bewegungen digitalisiert, wird jedes Zittern und jeder Ruck der Hand in gleichmäßige, kontinuierliche Bewegungen umgewandelt, wie sie bei heiklen Eingriffen zwingend erforderlich sind. Das Hochleistungs-Laparoskop hat zwei voneinander unabhängige Bildkanäle. Durch das Zusammenführen der beiden Bilder bekommt der Chirurg eine genaue Tiefenwahrnehmung. Das Robotersystem beinhaltet außerdem eine Bildbearbeitungssoftware zur Kantenanhebung und Rauschunterdrückung. Das daraus resultierende hochauflösende dreidimensionale (3D) Bild ist hell, scharf und klar. Die aber vielleicht vielversprechendste Funktion in Hinsicht auf die Mensch-Roboter-Zusammenarbeit ist das Verfolgen der Augenbewegung (Eye-Tracking) - die Berechnung des "Fixationspunkts" des Blicks des Chirurgen auf dem 3D-Display, der das Operationsfeld darstellt. Diese Informationen können dann auf vielfältige Weise verwendet werden. Möglich ist zum Beispiel, ein schlagendes Herz zu stoppen! Die sogenannte blickbedingte Verlaufsstabilisierung nutzt Informationen zur Tiefe des Gewebes und über die Häufigkeit der Änderung der Tiefe, und passt die Kamera und die Instrumente automatisch an, damit die Bewegung mit der gleichen Frequenz und in der gleichen Ebene erfolgt. So kann der Chirurg faktisch im Wesentlichen anhand eines Standbilds operieren. Einen Blick in die Zukunft wagen Offenbar liegt die Zukunft der Chirurgie in den Händen der Roboter - davon gehen zumindest die europäischen Forscher des Accurobas-Projekts aus. Eines liegt jedenfalls auf der Hand: Mit Geräten wie dem Mirosurge können chirurgische Konsistenz und Genauigkeit verbessert werden. Dieser chirurgische Präzisionsassistent verkörpert ein neues Paradigma, wie Chirurgie aussehen kann. "Der Chirurg fungiert als eine Art integrierte Aufsichtsperson", erklärt Dr. Raczkowsky. Während die Anwendungsmöglichkeiten zahlreich sind, müssen die neuen Accurobas-Technologien vom Chirurgen beherrscht werden. Angesichts der Komplexität chirurgischer Eingriffe und der hohen Inzidenz unerwarteter Komplikationen ist aber wohl der Tag, an dem technisch ausgereifte Roboter die Abläufe im OP bestimmen, doch noch fern. Erst müssen noch gravierende Fragen beantwortet werden - vor allem in Bezug auf Roboter, die tatsächlich am Menschen zum Einsatz kommen. Die Roboterarme werden, da sie ein erhebliches Risiko für die Gesundheit des Patienten darstellen können, nicht nur hinsichtlich der Leistungsfähigkeit, sondern auch in Sicherheitsfragen bewertet werden müssen. Erste Labortests ergaben einen klaren Vorteil beim Einsatz der Leichtroboter bei zwei verschiedenen Eingriffen: Laserosteotomie und Palpation. Bei der Osteotomie werden Knochen mithilfe eines CO2-Lasers gekürzt, verlängert oder in der Ausrichtung verändert. Die Palpation wiederum ist eine Untersuchung des Körpers eines Patienten, bei der Gewebe oder ein Organ abgetastet wird, um Größe, Form, Festigkeit und Position zu bestimmen. Nach der Beendigung des Projekts im Jahr 2009 erhielten die drei Partner - die Universität Verona, Italien, das KIT in Deutschland und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt - innerhalb des Siebten Rahmenprogramms fast 3,9 Mio. EUR für die Fortsetzung des Accurobas-Projekts unter der Bezeichnung Safros ("Patient safety in robotic surgery"). Inzwischen hat das Altair Lab an der Universität Verona eine Spin-off-Firma gegründet, um die im Laufe des Accurobas-Projekts entwickelten vielversprechenden Technologien nicht nur zu industrialisieren, sondern auch zu vermarkten. Altairmed srl ist der Beschleunigung der Anpassung von Präzisionsroboterassistenten in der minimalinvasiven Chirurgie verpflichtet. Das "gezielte Forschungsprojekt" (Specific targeted research project, STREP) Accurobas erhielten innerhalb des Themenbereichs "Technologien für die Informationsgesellschaft" (IST) des Sechsten Rahmenprogramms für Forschung mehr als 3 Mio. EUR an EU-Mitteln.