Mit neuen Modellierungsinstrumenten die Evolution in Ökosystemen besser verstehen
Was treibt das Gedeihen oder den Niedergang einer Spezies an, und wie beeinflussen die beweglichen Teile eines komplexen Zusammenspiels von umweltbedingten und genetischen Faktoren das Überleben? Die Frage stellt sich zum Beispiel, wenn wir den Einfluss von Umweltverordnungen auf bestimmte Fischpopulationen betrachten. Weitgehend unbekannt ist, warum sich einige Fischarten von der Überfischung erholen und andere nicht, obwohl der Fischereidruck verringert oder die Fischerei sogar komplett eingestellt wurde. Wenn wir verstehen, wie sich selbst geringfügige Veränderungen im Lebenszyklus auf das Populationswachstum auswirken können, könnten wir unsere Einflussnahme auf die Natur besser erkennen. „Es gibt“, erklärt Anna Kuparinen, „gute Gründe für die Annahme, dass sich die Evolution auch auf Merkmale wie etwa die Körpergröße auswirkt, die eine ökologische Rolle spielen. Der Kabeljau ist ein berühmtes Beispiel, ähnlich dem Atlantischen und Pazifischem Lachs. Im Labor wurde eine Dynamik dieser Art zum Beispiel bei Zebrafisch nachgewiesen.“ Kuparinen leitete das Projekt COMPLEX-FISH, mit dem das Ziel verfolgt wurde, ein besseres Verständnis für die Elemente zu entwickeln, die zwischen der Fähigkeit von Arten zur Resilienz, und sich von Umweltschocks erholen zu können, und evolutionären Prozessen eine Rolle spielen. „Ich wollte die Bereiche Ökologie und Evolution zu zwei Schnittstellen komplexer biologischer Dynamik verschmelzen“, fügt Kuparinen hinzu, die ihre Arbeit mit Unterstützung des Europäischen Forschungsrats durchführte. Die Zielstellung lautete, beide Seiten der Medaille der biologischen Dynamik zu verstehen. „In der Praxis müssen dafür der Lebenszyklus, die Populations- und Ökosystemdynamik modelliert werden“, sagt Kuparinen.
Allometrische Beziehungen als Mittel zur Vereinfachung komplexer Dynamiken
Das Team von COMPLEX-FISH hat die sogenannten „allometrischen trophischen Netzwerke untersucht. Allometrische Beziehungen dienen dazu, die Körpermasse der Arten mit verschiedenen biologischen Prozessen in Zusammenhang zu bringen, welche die Häufigkeit der Fütterung und die Dynamik der Arten bestimmen (beispielsweise stellen die Ausscheidungsgeschwindigkeit, die Handhabungszeit und die Stoffwechselraten eine Funktion der Körpermasse der Arten dar). Das Modell kann gleichermaßen genutzt werden, um den Energie- und Nährstofftransfer zwischen den Organismen einer Gemeinschaft, die „trophische Wechselwirkung“, abzuschätzen. „Ich habe Modelle allometrischer trophischer Netzwerke entwickelt, um die Alters-Körpergrößen-Struktur von Fischen zu berücksichtigen, was bedeutet, dass Fische unterschiedlichen Alters unterschiedliche Körpergrößen haben und damit auch unterschiedliche ökologische Funktionen übernehmen, erläutert Kuparinen. Das Projektteam überprüfte die Auswirkungen der Fischerei und der Invasion von Arten in See- und Meeresökosystemen, analysierte von Mitwirkenden bereitgestellte Daten zu Strukturen von Nahrungsnetzen, und führte theoretische Simulationen anhand von Nahrungsnetzen durch, die mit selbst entwickelten Algorithmen konstruiert wurden. Ergebnis ist ein sich entwickelndes Ökosystemmodell, das die Simulation verschiedener Fischereieinflüsse und deren Auswirkungen auf die Entwicklung bestimmter Fischspezies gestattet. „Wir haben außerdem untersucht, wie Ökosysteme Umweltlärm filtern und wie ihre Stabilität durch die Eigenschaften des Nahrungsnetzes und den Fischereidruck beeinflusst wird“, merkt Kuparinen an.
Phänotypische Evolution und ihre Beziehung zum Ökosystem
Das Team fand heraus, dass die phänotypische Evolution, d. h. beobachtbare Merkmale eines Organismus wie etwa das Körpergewicht oder das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein einer Krankheit, Auswirkungen auf Ökosystemebene hat und stärker berücksichtigt werden muss. „Wir haben zudem die Aufmerksamkeit auf Faktoren gelenkt, die sich auf die Stabilität des Ökosystems auswirken, beispielsweise die Struktur des Nahrungsnetzes selbst, menschliche Einflüsse wie die Fischerei und auch durch den Klimawandel bedingte Veränderungen wie invasive Arten und Parasitenbelastung.“ Für Kuparinen besteht die wichtigste Erkenntnis darin, dass Arten nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil eines Ökosystems zu begreifen, und dass die Auswirkungen nicht nur bei den Zielarten, sondern im gesamten Ökosystem zu beobachten sind.
Schlüsselbegriffe
COMPLEX-FISH, phänotypische Evolution, Ökosysteme, allometrische Beziehungen, Umweltstress, Umweltveränderungen