Die Evolutionsgeschichte der Arten neu beleuchten
Bei der Artbildung – der Verlauf, in dem sich eine Population innerhalb einer Art abspaltet und ihre eigenen einzigartigen Merkmale entwickelt – handelt es sich um einen langsamen Evolutionsprozess, der schwer direkt zu beobachten ist. Die beste Informationsquelle dafür, wann und wie die Artbildung stattgefunden hat, ist oft die Sequenzvariation entlang des Genoms (der Satz von DNS-Anweisungen in einer Zelle). „Wir können zum Beispiel die Anzahl der Sequenzunterschiede nutzen, um die Divergenz der Arten zu datieren“, erklärt Konrad Lohse, Projektkoordinator von ModelGenomLand, der an der Universität Edinburgh im Vereinigten Königreich tätig ist. Die Forschenden haben sich jedoch eher auf eine kleine Anzahl von Modellorganismen konzentriert. Dazu gehören Fruchtfliegen und andere Insekten, bei denen die Artbildung schnell vonstatten ging oder die auffällige Veränderungen aufweisen, wie z. B. unterschiedliche Farbmuster bei Schmetterlingen. Sie haben sich außerdem bemüht, die natürliche Selektion, die allgemein innerhalb einer Art wirkt, von der Selektion zu unterscheiden, die den Genfluss zwischen den Arten behindert. „Angesichts dieser Verzerrungen ist unser Verständnis davon, wie Artbildung im Allgemeinen abläuft, nach wie vor mangelhaft“, fügt Lohse hinzu.
Mathematische Instrumente zum Verständnis genetischer Veränderungen
Ziel des vom Europäischen Forschungsrat finanzierten Projekt ModelGenomLand war es, neue mathematische Instrumente zu entwickeln,mit denen Forschende Variationen in der Stärke von Artgrenzen entlang des Genoms modellieren können. „Ein wichtiger mathematischer Durchbruch gelang dem Promovierenden Gertjan Bisschop, der einen Algorithmus erstellte, um diese Berechnungen zu beschleunigen“, bemerkt Lohse. Daraus könnte sich ein besseres Verständnis der genetischen Veränderungen ergeben, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Unterschieden zwischen den Arten geführt haben, und eine unverzerrte Rekonstruktion der Geschichte der Artbildung unterstützt werden. Um die Artbildungsprozesse zu untersuchen, schlossen sich Lohse und sein Team mit dem Labor von Roger Vila, einem der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Vielfalt von Schmetterlingsarten, beim Nationalen Forschungsrat Spaniens zusammen und generierten Daten für 20 Schwesterpaare von Schmetterlingsarten. Das ModelGenomLand-Team arbeitete zudem mit dem Projektteam von Darwin Tree of Life und dem Labor von Alex Hayward an der Universität Exeter zusammen, um Referenzgenome für diese Arten zusammenzustellen.
Genomweite Variationen und evolutionäre Prozesse
Projektintern entstand erfolgreich eine neue Methode, um genomweite Variationen mit grundlegenden Modellen evolutionärer Prozesse zu verknüpfen. Daraus haben sich einige wichtige Erkenntnisse ergeben. „Die Datenanalyse verdeutlicht, dass die meisten Schmetterlingsarten, die in Europa entstanden sind, nicht, wie bisher angenommen, während eines der großen Eiszeitzyklen entstanden sind“, sagt Lohse. „Sie sind viel älter und stammen in vielen Fällen schon von vor dem Beginn des Pleistozäns vor 2,6 Millionen Jahren.“ Das Team fand zudem heraus, dass selbst Artenpaare, die sich vor mehr als 1 Million Jahren zu unterscheiden begannen, weiterhin genetische Variationen austauschen. „Ein anderer Promovierender, Alexander Mackintosh, der an dem Projekt mitarbeitete, analysierte Genomsequenzen von zwei Schmetterlingsarten, deren Chromosomen eine große Anzahl von Umlagerungen erfahren hatten“, kommentiert Lohse. „Dadurch, dass er den Artbildungsprozess entlang des Genoms modellierte, konnte er nachweisen, dass Umlagerungen mit einer geringeren Rate des Genaustauschs zwischen den Arten einhergingen und ihre Divergenz begünstigten.“
Artenübergreifende Evolutionsszenarien untersuchen
Die neuen Ansätze, die über ModelGenomLand erarbeitet wurden, werden nun zur Untersuchung von Evolutionsszenarien für eine Vielzahl von Arten eingesetzt. „Die Analysen der gewonnenen Genomdaten zur Artbildung sind noch nicht abgeschlossen“, fügt Lohse hinzu. „Die Beschreibung der allgemeinen Eigenschaften von Artgrenzen erfordert umfassende Vergleiche der demografischen Entwicklung und der Genome.“ Ein wichtiger nächster Schritt, besteht nach Ansicht von Lohse darin, zu verstehen, wie „undicht“ die Grenzen zwischen den Arten sind, und sowohl die Dauer, über die vorteilhafte Variationen zwischen neu entstehenden Arten weitergegeben werden, als auch die Art der auftretenden Variation zu charakterisieren.
Schlüsselbegriffe
ModelGenomLand, evolutionär, Arten, mathematisch, DNS, genetisch, Genom