Ein klareres Bild von Coronavirus-Infektionen für bessere künftige Therapien
Die 3,5 Millionen Todesfälle weltweit, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind, machen deutlich, wie wichtig bessere Therapien sind. Wie aber lassen sich wirksame Medikamente entwickeln, ohne genau zu wissen, was bei einer Infektion der Wirtszelle durch SARS-CoV-2 geschieht? Daher schickten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz an, ein vollständigeres Bild von der Virusinfektion zu zeichnen. Das Forschungsteam untersuchte mittels modernster Proteomik, der groß angelegten Untersuchung der durch eine Zelle, ein Gewebe oder einen Organismus exprimierten Proteine, die molekularen Funktionen und Interaktionen der Virusproteine. Dank der Unterstützung durch das EU-finanzierte Projekt ProDAP konnte es die Interaktion zwischen den nahe verwandten Coronaviren SARS-CoV und SARS-CoV-2 und einer Zelle auf fünf verschiedenen Proteomik-Ebenen dokumentieren. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht. Unter der Leitung von Prof. Andreas Pichlmair von der Technischen Universität München, dem Träger des ProDAP-Projekts, und Prof. Matthias Mann vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Deutschland, stellte das Forschungsteam die Interaktome von SARS-CoV und SARS-CoV-2 im Profil dar. Anschließend dokumentierte es, wie sich diese molekularen Interaktionen auf das Transkriptom, Proteom, Phosphoproteom und Ubiquitinom der menschlichen Lungenzellen auswirken.
Untersuchung der Interaktion zwischen Virus und Wirtsprotein
Infiziert ein Virus eine Wirtszelle, binden die Proteine auf der Oberfläche des Virus an bestimmte Rezeptorproteine auf der Oberfläche der menschlichen Zelle. Mithilfe fortschrittlicher Massenspektrometrieverfahren und einer bioinformatischen Analyse erstellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen umfangreichen Datensatz, der Informationen zu den zellulären Proteinen bietet, an die die Virusproteine binden. Außerdem erfährt man, wie sich diese Interaktionen auf die Wirtszelle auswirken. Laut einer Pressemitteilung auf „EurekAlert!“ entdeckten sie insgesamt 1 484 Interaktionen zwischen Proteinen des Virus und denen der menschlichen Zelle. „Hätten wir aber nur auf die Proteine selbst geschaut, hätten uns wichtige Informationen gefehlt“, wird Andreas Pichlmair in derselben Pressemitteilung zitiert. „Eine Datenbank, in der nur das Proteom untersucht wird, könnte man mit einer Landkarte vergleichen, in der Ortsnamen, aber keine Straßen oder Flüsse verzeichnet sind. Kennt man die Verbindungen zwischen den einzelnen Punkten, lässt sich aus einer Karte viel mehr lesen“, erklärt er weiter. Die Forschung ergab tiefergehende Erkenntnisse zu der Art und Weise, wie sich SARS-CoV-2 auf verschiedene Funktionen auswirkt. So wurde festgestellt, dass die Autophagie, bei der sich der Körper beschädigter Zellteile entledigt, besonders beim SARS-CoV-2-Protein ORF3 fehlreguliert ist. Der Signalweg des transformierenden Wachstumsfaktors beta bzw. TGF-β, ein Protein, das eine entscheidende Rolle bei der Regulation vieler zellulärer Prozesse spielt, wurde besonders durch ORF8, ein weiteres SARS-CoV-2-Protein, fehlreguliert. „Eine vergleichbare Aufstellung gab es für SARS-CoV-2 bislang nicht“, so Prof. Mann.
Die nächsten Schritte
Aktuell arbeiten die Forschenden an neuen Wirkstoffkandidaten für COVID-19, die sie durch ihre Analysen identifizieren konnten. Prof. Pichlmair: „Außerdem entwickeln wir derzeit ein Scoring-System, um Hotspots automatisiert zu finden. Ich bin überzeugt, dass wir durch detaillierte Datensätze und intelligente Analysemethoden in Zukunft wirksame Medikamente gezielter entwickeln und Nebenwirkungen vorab eingrenzen können.“ Das fünfjährige Projekt ProDAP (Protein Dynamics in Antiviral Processes) endet im März 2024. Weitere Informationen: ProDAP-Projekt
Schlüsselbegriffe
ProDAP, COVID-19, Coronavirus, SARS-CoV, Protein, Zelle