Gentechnisch erzeugte Bakterien als „Gehäuse“ für Impfstoffe
Bakterien eignen sich optimal als Impfstoffträger, da sie gentechnisch so angepasst werden können, dass sie auf der Oberfläche spezifische molekulare Signaturen (Antigene) von verschiedenen Krankheitserregern oder Krebszellen oder auch Peptidadjuvantien zur Verstärkung der Immunreaktion präsentieren. Die weitere Entwicklung steht jedoch vor erheblichen Problemen. So darf die Immunreaktion z. B. nur durch die Fremdpeptide auf der Bakterienoberfläche stimuliert werden und nicht durch endogene bakterielle Proteine, was die Immunreaktion abschwächen würde. Das EU-finanzierte Projekt MYCOCHASSIS entwickelte den Einzeller Mycoplasma pneumoniae als bakteriellen Träger von Impfstoffen. Das normalerweise pathogene Bakterium verursacht bei Mensch und Tier Atemwegserkrankungen, kann jedoch attenuiert (abgeschwächt) werden, da ihnen eine Zellwand fehlt. „Ohne Zellwand lassen sich auf der Oberfläche des Bakteriums auf einfache Weise antigene Peptide und Adjuvantien präsentieren, was sie als Transporter für Impfstoffe prädestiniert. So kann auch der Fokus der Immunabwehr nicht auf der Zellwand und ihren entzündungsfördernden Lipopolysacchariden liegen“, erklärt Projektleiter Luis Serrano vom koordinierenden Zentrum für Genforschung, Spanien. Das Unternehmen MSD als kommerzieller Partner des Projekts testet und validiert derzeit die gentechnisch erzeugten Impfstoffe an Tieren und legte ein Patent vor. Zudem wurde das neue Unternehmen Pulmobiotics ausgegründet, das mit Mycoplasma pneumoniae menschliche Lungenerkrankungen heilen will.
Hochspezifische Gentechnik
Da die Biologie und Pathogenität von Mycoplasma pneumoniae weitgehend beschrieben ist, befasste sich die Arbeitsgruppe um Serrano mit der gentechnischen Modifizierung des Bakteriums für therapeutische Zwecke. Aufgrund der fehlenden Zellwand kann das Bakterium ganz einfach und ohne unerwünschte immunologische Reaktionen verändert werden, „und die naheliegendste medizinische Intervention, um das Prinzip auszuprobieren, war für uns zunächst die Impfung“, ergänzt Serrano. Am virtuellen Modell des gesamten Lebenszyklus von Mycoplasma pneumoniae, das von Markus Covert erstellt wurde, konnte die Arbeitsgruppe neue Erkenntnisse gewinnen. Die Modellinteraktion zwischen DNA und Zellkomponenten zeigte verschiedenste Szenarien, wie die immunologische Abwehr auf molekulare Veränderungen am Bakterium reagieren könnte, und bestätigte auch die Wirksamkeit und Sicherheit. „Am lebenden Modellsystem lässt sich die absolute Richtigkeit von Vorgängen zwar nicht immer belegen, aber es kann mögliche Schwachstellen im Konzept aufzeigen“, sagt Serrano. Basierend auf den Simulationen wurde dann experimentell mit mobilen genetischen Elementen gearbeitet, die sich an zufälligen Stellen des Genoms einfügen, sogenannten Transposons. Auf diese Weise konnten aus beliebigen bakteriellen DNA-Sequenzen nicht-essentielle virulente genetische Elemente ausgeschnitten werden, sodass ein nicht-pathogener Stamm entstand. Schließlich wurde für die Impfung von Tiermodellen eine Machbarkeitsstudie entworfen. Zunächst wurden die effektivsten antigenen Peptide pathogener Bakterien ermittelt, die Schweine und Kühe infizieren, um sie dann auf der Oberfläche von Mycoplasma pneumoniae quasi als „Gehäuse“ für den Impfstoff zu exprimieren. „Bei den geimpften Tieren erzeugten die exponierten Antigene eine starke Immunantwort“, schließt Serrano. Der bakterienspezifische Ansatz von MYCOCHASSIS ist somit nicht nur geeignet, um ein nicht-pathogenes Bakterium zum Impfstofftransporter umzufunktionieren, sondern auch, um humanrelevante Lungenkrankheiten wie COVID-19 und vielleicht sogar Lungenkrebs heilen zu können. Mit dieser Zielstellung will die Forschungsgruppe Mycoplasma pneumoniae nun so umbauen, dass es immunmodulatorische Moleküle exprimiert, die in der Regel den Impfeffekt bewirken, und an Antikörpern gegen verschiedene Lungenerkrankungen forschen.
Schlüsselbegriffe
MYCOCHASSIS, Bakterien, Impfstoff, Peptide, Antigene, immunologisch, Lungenkrankheit, Mycoplasma pneumoniae, DNA, Zelle