Pssst … da drüben, ein Räuber unter uns
Bis vor kurzem noch mussten sich Wildtierökologen auf globale Positionierungssysteme (GPS) verlassen, die nur begrenzt in der Lage sind, kollektive Tierverhaltensweisen für Feldstudien zu erfassen. Mit der Unterstützung des Marie-Skłodowska-Curie-Programms wurden im Rahmen des Projekts UNGULATE (z. Dt. „Huftier“) mit Videogeräten, maschinellem Sehen und maschinellem Lernen ausgestattete Drohnen nach Kenia gebracht, um neues Licht auf die Dynamik kollektiver Wachsamkeit und Informationsaustausch bei Huftieren in natürlichen Herden zu werfen.
Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile
Mit GPS kann ein Tier, das den Kopf hebt oder auf dem Hinterteil sitzt, im Kontext der Dinge wie Gruppengröße, Geschlecht und Reproduktionsstatus analysiert werden. Der Informationsfluss durch die Gruppe ist jedoch nach wie vor ein Rätsel. Blair Costelloe, Projektstipendiatin, bemerkt: „Wir wollten das Wachsamkeitsverhalten einzelner Huftiere (unter anderem Zebra, Büffel und Impala) in natürlichen Herden quantifizieren, um zu verstehen, wie diese individuellen Strategien kollektive Wachsamkeitsmuster generieren und wie Informationen zwischen den Individuen ausgetauscht werden.“ Costelloe setzte moderne Technologie ein, um besser mit der Gruppendynamik umgehen zu können. Drohnen, die Starrflüglern ähneln, deckten große Bereiche ab und nahmen überlappende Fotos auf, mit deren Hilfe per Photogrammetrie eine 3D-Karte rekonstruiert wurde. Helikoptern ähnliche Drohnen flogen über Herden und nahmen Videos in hoher Auflösung auf. Anschließend wurden tief faltende neuronale Netzwerke eingesetzt, wobei sich die Tiefe auf jede „Ebene“ der Verarbeitung für unterschiedliche Aspekte, z. B. Ränder, bezieht. Auf diese Art und Weise wurde Software trainiert, um Tiere exakt zu identifizieren und sie von der Umgebung zu unterscheiden. Das Software-Instrumentarium des Teams, DeepPoseKit, wurde vor kurzem in einer eLife-Veröffentlichung beschrieben.
Ein natürlich (ein wenig) kontrolliertes Experiment
Beobachtungsdaten wären zwar ideal, aber die „Stichprobengröße“ wäre klein bzw. das Experiment würde extrem lange dauern, wenn Costelloe warten müsste, um zu sehen, wie Tiere auf natürliche Räuber reagieren. Da die Tiere an ihrem Untersuchungsort nicht an Menschen gewöhnt waren, spielten sie und ihr Team die Rolle der „Räuber“. Costelloe zeichnete Aktivitätswerte am Anfang in einem nicht gestörten Zustand auf, bevor sie sich den Tieren näherten. Dann, erklärt sie, „beobachteten wir den Informationsfluss durch die Gruppe, als sich die Teammitglieder näherten, wenn jedes Tier den Kopf hob und zu uns blickte. Wir werden dies mit prädiktiven Netzwerken vergleichen, die auf visuellem Kontakt, dem Abstand zwischen Nachbarn oder dem Verhaltenszustand von Individuen basieren.“ Die Videomöglichkeiten haben eine komplett neue Welt der Wildtierökologie eröffnet. Zusätzlich zum Echtzeitverhalten hat Costelloe auch komplizierte Netzwerke von Wegen erfasst, die im Lauf der Zeit von Tieren etabliert wurden, die sich durch die Landschaft bewegen. Diese könnten eine Art kollektives „Gedächtnis“ der Tiergemeinschaft darstellen, das in die Landschaft eingraviert ist.
Die Jagd ist eröffnet
Nun arbeitet das Team mit dem Wildtiermanagement und dem Naturschutz in Kenia sowie mit Fachkräften aus den Bereichen Informatik und Roboterentwicklung zusammen, um praktische Werkzeuge für die Erfassung und Überwachung von Wildtieren zu entwickeln. Costelloe plant, das Wachsamkeitsverhalten in Herden mit gemischten Arten zu untersuchen, um bewerten zu können, wie „Regeln“ innerhalb einer Art sich verändern könnten, wenn mehrere Beutetiere mit unterschiedlicher Angreifbarkeit betrachtet werden. Sie sucht außerdem Partner, um die Reaktionen von Beutetieren auf wirkliche Raubtiere zu untersuchen. Projektkoordinator Iain Couzin fasst zusammen: „Es ist dringend notwendig, neue Multiskala-Bildgebungstechnologien für ökologische Systeme zu entwickeln. Wir stehen vor der immer dringlicheren Notwendigkeit, zu verstehen, wie wir das Leben auf unserem Planeten beeinflussen und quantitative Instrumente zu entwickeln, um die biologische Vielfalt zu erhalten.“ UNGULATE hat einen ausgezeichneten Start hingelegt.
Schlüsselbegriffe
UNGULATE, Tier, Wachsamkeit, Verhalten, kollektiv, Herden, Drohnen, Video, Tierwelt, Informationsfluss, behuft, Raubtiere, Kenia, Beute, Ökologie, Erhaltung, Artenvielfalt