AIDS-Medikament wirksam gegen Herpesvirus
Auch Herpes ist nicht unbesiegbar: Ein europäisches Forscherteam meldete jüngst die Entdeckung, dass Raltegravir bei der Behandlung des Herpesvirus von Nutzen sein könnte. Das Medikament wird von dem Pharmazieunternehmen Merck unter der Bezeichnung Isentress verkauft und bei der Behandlung der Immunschwächekrankheit AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) eingesetzt. Die Studie könnte zur Entwicklung eines gegen die gesamte Herpesvirus-Familie wirksamen Arzneimittels beitragen. Sie wird zum Teil innerhalb des Projekts SPINE2-COMPLEXES ("From receptor to gene: structures of complexes from signalling pathways linking immunology, neurobiology and cancer") finanziert, das unter dem Themenbereich "Biowissenschaften, Genomik und Biotechnologie im Dienste der Gesundheit" des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) 12 Mio. EUR erhielt. Die Forscher unter Leitung des Instituts für Forschung in der Biomedizin (IRB Barcelona) in Spanien legen Beweise dafür vor, dass Raltegravir die Funktion eines für die Replikation einer Herpesvirusart unentbehrlichen Proteins lahmlegen kann. "Diese Ergebnisse haben aus drei Gründen eine eindeutige medizinische Bedeutung", erklärt Miquel Coll, Koordinator des IRB-Programms Structural and Computational Biology. "Erstens verfügen Menschen nicht über das betroffene virale Protein - folglich hätte man hier ein hochspezifisches Medikament ohne all die Nebenwirkungen, die andere Arzneimittel verursachen können. Zweitens ist der Inhibitor für den Menschen nicht giftig, wenn er in therapeutischen Konzentrationen verabreicht wird. Er ist bereits auf dem Markt und das erleichtert die Toxizitätstests. Drittens haben wir Daten, die zeigen, dass alle Herpesviren dieses Protein aufweisen. Daher könnte es sich hier um eine angreifbare Schwachstelle aller Herpesviridae handeln." Herpesviren sind Krankheitserreger wie zum Beispiel Herpes simplex 1 und 2, das Windpocken auslöst und auch als Zoster-Virus bekannt ist, das Epstein-Barr-Virus (das mit verschiedenen Arten von Krebs in Zusammenhang gebracht wird), das Roseola-Virus, das Zytomegalievirus und das Herpesvirus im Zusammenhang mit dem Kaposi-Sarkom. Das humane Zytomegalievirus (HCMV), an dem die Studie durchgeführt wurde, verursacht bei einem Prozent der Neugeborenen in den Industrieländern neurologische Defekte. Es ist außerdem für Netzhautentzündungen (Retinitis), die sich bei 25% der an AIDS erkrankten Patienten bis zur Erblindung verschlechtern, für Defekte im Hirn und im Zentralnervensystem junger Erwachsener, Entzündungen des Dickdarms, Mononukleose - eher bekannt als "Pfeiffersches Drüsenfieber" oder "Kusskrankheit" - und schwere Erkrankungen des Rachens verantwortlich. Obwohl 90% der Erwachsenen das HCMV-Virus tragen, handelt es sich um eine opportunistische Infektion, die Menschen mit geschwächtem Immunsystem befällt: Krebs- und HIV-Patienten, Empfänger von Organtransplantaten und Neugeborene. Zur Replikation dringt das Herpesvirus in den Zellkern ein; dort nutzt es den Zellmechanismus aus, um seine DNA (Desoxyribonukleinsäure) mehrmals zu einer einzigen langen Kette zu kopieren. Sobald diese Kopie angefertigt worden ist, schneidet ein durch drei Proteinuntereinheiten gebildeter Terminasekomplex die neue DNA in kleine Bruchstücke von der Größe eines einzigen Virengenoms und bringt diese in leere Schalen (Kapside) ein, die im Zellkern entwickelt wurden. Die neuen Viren verlassen dann die Zelle, um die Infektion zu verstärken. Die Forscher zerlegten in Zusammenarbeit mit dem Europäischem Labor für Molekularbiologie (European Molecular Biology Laboratory, EMBL) in Grenoble, Frankreich, die dreidimensionale Struktur eines Teils der Terminase mithilfe eines modernen Hochleistungs-Proteinexpressionsverfahrens und entdeckten, dass sie der Integrase des AIDS-Virus ähnelt, für die bereits Medikamente verfügbar sind. Die Assays wurden in Reagenzgläsern direkt in dem Protein durchgeführt. "Jetzt müssen wir die Assays an vollständigen infizierten Zellen durchführen, die Wirkung des Medikaments verbessern und seine Wirkung auf andere Arten von Herpesviren überprüfen", erläutert Dr. Coll, dessen Labor diese zweite Anwendung von Raltegravir patentieren ließ. Experten aus Deutschland, Frankreich, Israel, Italien, den Niederlanden, Portugal, Spanien, Schweden, der Tschechischen Republik, Ungarn und dem Vereinigten Königreich leisteten Beiträge zu dieser Studie. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachmagazin Proceedings of the National Academies of Sciences (PNAS) veröffentlicht.
Länder
Tschechien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Ungarn, Israel, Italien, Niederlande, Portugal, Schweden, Vereinigtes Königreich