Wissenschaftler erforschen Europas kulturelles Gedächtnis
Historiker aus den Niederlanden, Österreich und dem Vereinigten Königreich erforschen gemeinsam, wie die Menschheitsgeschichte die mittelalterliche Vorstellungswelt über die Entstehung von Völkern und deren Identität prägte, und warum diese Ideen noch immer eine wichtige Rolle in der heutigen Gesellschaft spielen. Das Projekt "Cultural Memory and the Resources of the Past, 400-1000" ist ein Gemeinschaftsvorhaben der Universitäten Cambridge und Leeds, Vereinigtes Königreich, und der Universitäten Wien, Österreich, und Utrecht, Niederlande. Finanziert wird das Projekt mit 1 Mio. EUR im Rahmen des gemeinsamen Forschungsprogramms HERA JRP (Humanities in the European Research Area - Joint Research Programme) unter dem ERA-NET-Schema des Siebten Rahmenprogramms (RP7). Die Forscher konzentrieren sich auf sechs Jahrhunderte westeuropäischer Geschichte im Zeitraum von 400 bis 1000 n. Chr. Drei Jahre lang werden sie untersuchen, wie sich aus frühen Traditionen und unter Einfluss weiterer wichtiger Quellen wie der Bibel nationalstaatliche Identitäten herausbildeten, nachdem im 5. Jahrhundert der letzte römische Kaiser in Westeuropa abgesetzt wurde. Im Wesentlichen gehen die Forscher dabei zwei Fragen auf den Grund: auf welche Weise Texte zwischen kulturellen Zentren "weitergegeben" wurden, und welchen Herausforderungen sich die Völker bei ihrer Identitätsbildung im komplexen Kontext des sozialen, politischen und religiösen Gefüges des frühmittelalterlichen Europas gegenüber sahen. Unter anderem wird erforscht, inwieweit sich die Vorstellungswelt unter dem Einfluss des Römischen Kaiserreichs im Mittelalter veränderte und welche Rolle die ethnischen und gesellschaftlichen Konzepte der damaligen Zeit für das heutige Europa spielen. Untersucht werden auch die komplexen Prozesse, die den Ideenaustausch zwischen der griechisch sprechenden byzantinischen Welt im Osten und dem latinisierten Westeuropa ermöglichten. Wie sehr das frühe Mittelalter die westeuropäische Geschichte beeinflusst hat, ist den Europäern durchaus bewusst. Noch sind jedoch eine Reihe von Fragen zum kulturellen Erbe Europas zu klären, beispielsweise wie sich neue Ideen durchsetzten und wie solche Prozesse Europa langfristig veränderten. 600 Jahre lang war das Leben der Europäer von stetigem Wandel geprägt, sei es bei der Herausbildung nationalstaatlicher Identitäten, der Entwicklung neuer Vorstellungen über die verschiedenen westeuropäischen Gesellschaften oder im religiösen Kontext - die Christianisierung breitete sich zu dieser Zeit wie ein Lauffeuer aus. Die damaligen Herrscher, so die Meinung der Forscher, sahen in der lateinischen Bibel das Gesetz Gottes und den Inbegriff der Geschichtsschreibung mit einem starken Bezug zur Gegenwart. Auch das klassische Altertum hinterließ in Europa einen nachhaltigen Eindruck. Rom galt als geistiges Zentrum, in dem sich die kulturelle und religiöse Macht konzentrierte, da Rom vor allem auch als Quelle aller lateinischen Texte fungierte. Klassische Schriftstücke dienten der Etablierung von Traditionen und Ideen in Europa. All diese Ereignisse förderten die Entstehung moderner Mythen, die auch jetzt noch das Leben im modernen Europa prägen. Heutige Ideen über den Ursprung nationalstaatlicher und christlicher Identitäten wurden bereits im frühen Mittelalter formuliert. Das neue Projekt wird sich mit der Entstehung dieser Ereignisse und deren bisherigem Einfluss auf die europäische Geschichte befassen. Das Forschungsvorhaben ist eines mehrerer durch HERA finanzierter Projekte, die Fragen zum Erbe und zur Identität Europas klären sollen. Geplant ist eine Webseite, über die die Partner erste Forschungsberichte, Materialien und Ergebnisse des Projekts veröffentlichen werden.
Länder
Österreich, Niederlande, Vereinigtes Königreich