Stillen hat weniger Einfluss auf die Gesundheit Neugeborener als bislang vermutet
Norwegische Forscher wiesen in einer Studie nach, dass der Stellenwert des Stillens für die Gesundheit von Mutter und Kind nicht so hoch ist wie bislang vermutet. Dies könnte Müttern, die ihr Baby nicht stillen können, das schlechte Gewissen nehmen. Die Forscher an der Technisch- Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (Norwegian University of Science and Technology - NTNU) fanden heraus, dass es weniger die Milch ist, die gestillte Kinder etwas gesünder macht als Flaschenkinder, sondern die hormonelle Situation im Mutterleib. Der Arbeitsgruppe der Abteilung für Onkologie und Molekularmedizin der NTNU zufolge entscheiden vor allem Hormone darüber, ob eine Mutter nach der Geburt stillen kann oder nicht. Die Forscher entdeckten, dass die Höhe des Androgenspiegels während der Schwangerschaft (Androgene sind männliche Geschlechtshormone und steuern die Entwicklung zum Mann) Einfluss auf die produzierte Milchmenge hat. "Je höher der Androgenspiegel der Schwangeren ist, desto weniger Milch haben sie nach der Geburt", erklärte Sven M. Carlsen, Professor an der Abteilung für Angewandte medizinische Forschung der NTNU. "Dies wird offenbar direkt von Hormonen gesteuert, die die Milchproduktion in der mütterlichen Brust reduzieren und somit die Stillfähigkeit einschränken." Frühere Studien hatten einen Zusammenhang zwischen Testosteron und Stillfähigkeit festgestellt. Das Androgen Testosteron wurde früher verordnet, wenn aus verschiedenen Gründen abgestillt werden musste. "Unter anderem aus diesem Grund wollten wir wissen, ob die angeblichen gesundheitlichen Vorteile von Muttermilch tatsächlich durch die hormonelle Situation in der Schwangerschaft bedingt sind", erklärt Professor Carlsen. Wie die Forscher herausfanden, können auch Übergewicht, Rauchen oder eine hormonelle Erkrankung (polyzystisches Ovariensyndrom - PCOS) die Ursache dafür sein, dass manche Frauen vergleichsweise weniger stillen. Der offensichtlichste Zusammenhang ist, dass bei solchen Frauen der Testosteronspiegel in der Schwangerschaft höher ist. "Es ist daher keine Frage des Willens, ob eine Frau stillen kann oder nicht", betont Professor Carlsen. "Die verminderte Stillfähigkeit beruht auf einer hormonellen Testosteronüberproduktion während der Schwangerschaft. Aus dem Grund ist das Stillen für diese Frauen nicht so einfach." Entscheidend für die Entwicklung des Kindes sei die Situation in der Plazenta, wie Professor Carlsen hinzufügt. "Normalerweise werden Hormone des Fötus in der Plazenta in Testosteron und Östrogen umgewandelt - solange alles ordnungsgemäß verläuft", so Carlsen. "Ist die Plazenta für diesen sehr energieaufwendigen Prozess zu schwach, verbleibt ein Teil des Testosterons, der eigentlich zu Östrogen umgewandelt werden soll, im mütterlichen und kindlichen Körper und kann dort zu Beeinträchtigungen führen." Je höher die Exposition des Fötus gegenüber Testosteron ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind später an Übergewicht, PCOS (bei Mädchen) oder Typ-2-Diabetes leiden wird. Bei der Mutter ist in diesem Fall das Milchdrüsengewebe der Brust unterentwickelt. Daher produziert sie weniger oder gar keine Milch, da die Voraussetzungen für eine ausreichende Milchproduktion ungünstig sind. Das Forscherteam weist darauf hin, wie wichtig es ist, Mütter nicht zu verurteilen, wenn sie nicht stillen können. "Es reicht aus, wenn man in der Schwangerschaft eine gesunde Lebensweise einhält: ohne Rauchen, übermäßigen Kaffee- oder Teegenuss und ohne Alkohol", erklärt Professor Carlsen. "Und nach der Geburt sollte die Frau entsprechend den gegebenen Möglichkeiten versuchen, ihr Kind zu stillen, ohne sich von übereifrigen Stillberatern ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen." Allerdings gibt es einen Bereich, in dem das Stillen durchaus vorteilhaft ist - und zwar bei der geistigen Entwicklung. Laut Professor Carlsen "ist der IQ [Intelligenzquotient] bei gestillten Kindern etwas höher als bei Flaschenkindern, dies muss allerdings erst noch durch weitere sorgfältig geplante und durchgeführte Studien bestätigt werden."
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Norwegen