EU-finanzierte Forscher präsentieren neue Technik zur Messung von Ladungszuständen
Wissenschaftler in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz haben mithilfe einer innovativen Methode für Rasterkraftmikroskopie (RKM) erfolgreich die Ladungszustände einzelner Gold- und Silberatome messen können. Ihre in der Fachzeitschrift Science veröffentlichte Arbeit ist von Bedeutung für das Studium technologisch wichtiger Prozesse in der Physik und der Chemie und hat Auswirkungen auf die Entwicklung von Einzelelektronenbausteinen. Die Ergebnisse stammen aus dem Projekt Nanoman ("Control, manipulation and manufacture on the 1-10nm scale using localised forces and excitations"), das mit 1,5 Millionen EUR unter dem Themenbereich "Nanotechnologien und -wissenschaften, wissensbasierte multifunktionale Werkstoffe sowie neue Produktionsverfahren und -anlagen" des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) der EU finanziert wurde. Der Studie zufolge ist der Ladungszustand eine wichtige Eigenschaft, die viele Prozesse in der Physik und der Chemie beeinflusst und in Einzelelektronenbausteinen ausgenutzt werden kann. "Dies mittels RKM messen zu können, ermöglicht uns diese Messungen an Isolatoren durchzuführen, die technologisch bedeutsame Werkstoffe sind", erklärte Dr. Leo Gross vom IBM-Forschungslabor Zürich in der Schweiz in einem Podcast-Interview für Science. Dr. Groß verwies neben wertvollen Einblicken in Katalyseprozesse auf Folgendes: "In der Fotovoltaik wäre es schön, die Ladungsverteilung eines Ladungsübertragungskomplexes mit Präzision auf atomarer Skala messen zu können." Bei vorausgegangenen Experimenten mit Rastertunnelmikroskopie (RTM) konnten Forscher den Ladungszustand einzelner Atome untersuchen. Doch der Hauptnachteil dieser Experimente war, dass RTM nicht mit Isolatoren funktioniert (Isolatoren sind erforderlich, um Ladungen getrennt voneinander zu halten). Die Ergebnisse von Untersuchungen mit kontaktloser RKM waren vielversprechend. Allerdings verwendet die Technik Oszillationen im Bereich von 10 bis 50 Ångström, und zum Erreichen einer angemessenen Bildauflösung sind Oszillationen von knapp 1 Ångström erforderlich. Die Forscher kombinierten RKM mit der Technik der sogenannten "Kelvinsonden-Kraftmikroskopie", bei der die Bildgebung bei Tieftemperaturen erfolgt, und beobachteten den Ladungszustand von auf einem sehr dünnen Natriumchloridfilm absorbierten Goldatomen. Sie überprüften die Gültigkeit ihrer Ergebnisse durch Beobachtung von Silberatomen mithilfe desselben Systems. "Wir verwendeten die sogenannte qPlus-Sensor-Technik. Dabei handelt es sich um eine sehr kleine Stimmgabel wie in Armbanduhren, von der eine Zinke des Trägers befestigt ist und die andere die Spitze hält", erklärte Dr. Gross. Der Träger ist ein (nur an einem Ende befestigter) Cantilever. Freihängende Träger finden breite Verwendung in Mikroelektromechaniksystemen. Ohne Wandler mit freihängendem Träger wäre RKM nicht möglich. "Uns gelang der Einbau dieses Sensors in unseren bereits bestehenden Tieftemperatur-RTM-Aufbau", fügte er hinzu. "Vorteil dieses qPlus-Sensors ist, dass er sehr kleine Amplituden oszillieren kann, weil es ein sehr steifer Cantilever ist. So konnten wir mit Oszillationsamplituden von nur 0,2 Ångström (etwa einem Zehntel des Durchmessers eines Atoms) aufzeichnen und messen. Diese kleinen Oszillationsamplituden sind wichtig, um eine [...] atomare Auflösung zu erreichen." Die Experimente wurden unter extrem hohen Vakuumbedingungen und bei Temperaturen von flüssigem Helium (ca. 4,2 Kelvin) durchgeführt, die sehr günstig für den qPlus-Sensor sind. "Die niedrigen Temperaturen sind nicht nur für die Stabilität der Messeinrichtung, sondern auch für das gesamte System erforderlich. Das einzelne Atom auf der Isolierschicht wäre bei Zimmertemperatur nicht stabil", erläuterte Dr. Gross. Die Forscher fanden heraus, dass sowohl positive als auch negative Ladungen an den Atomen die Kraft auf die RKM-Spitze etwas erhöhen. Dies schafft wiederum eine elektrostatische Kraft, die im neutralen Zustand des Atoms nicht vorhanden ist. Also konnten die Forscher feststellen, ob die Gold- und Silberatome positiv geladen, negativ geladen oder neutral waren. Ihre Methode demonstriert, dass kontaktlose RKM für die Bildgebung einzelner Atome oder Moleküle nutzbar ist und dass sie zur Feststellung des Ladungszustands einzelner Atome auf dünnen Isolierfilmen verwendet werden kann. In einem Begleitartikel schreiben Ernst Meyer und Thilo Glatzel von der Universität Basel, dass "die neue Technik enorme Auswirkungen im Bereich der Molekularelektronik hat". Wie sie schreiben, sei die Tatsache, dass die Forscher ihre Experimente ohne Verdrahtung des Untersuchungsgegenstands durchführen konnten, eine große Leistung. Man hoffe, dass die neue Methode auf Moleküle oder molekulare Netzwerke ausgeweitet werden kann. "Nun bietet RKM die Möglichkeit zur weiteren Arbeit mit dickeren Isolierfilmen und Volumenisolatoren, was wichtig ist, wenn man bspw. Ladungstransport in planaren molekularen Filmen oder Einzelmolekularbausteinen oder molekularen Netzwerken untersuchen möchte. Dann sollte man wirklich einen dickeren Isolierfilm haben, bei dem kein Abgang von Elektronen durch die Isolierschicht vorkommt", so Dr. Gross. Die Forscher planen die Nutzung ihrer Technik auf dickeren Isolierfilmen oder Volumenisolatoren sowie die Untersuchung von Molekülen und Molekül-Metall-Komplexen mithilfe dieses Systems. "Was uns wirklich interessiert ist die Messung von Ladungstransport und Ladungsverteilung in solchen Netzwerken", meinte Dr. Gross. Man erwartet von der modifizierten RKM-Technik wertvolle neue Einblicke in Energiequellen, Molekularelektronik, Photonik und Katalyse.
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Schweiz, Deutschland, Niederlande