Warum die Atmosphäre der Sonne heißer als ihre Oberfläche ist
Zur Lösung des Rätsels, warum die dünne äußere Atmosphäre der Sonne, die Korona, so viel heißer als ihre Oberfläche ist, haben EU-finanzierte Forscher im Vereinigten Königreich und den USA beigetragen. Sie entdeckten, dass Wellen magnetischen Plasmas, ausgehend von großen "hellen Flecken" auf der Sonne, energetisch ausreichend sind, um die Korona aufzuheizen. Die im Fachmagazin Science veröffentlichten Erkenntnisse der Wissenschaftler liefern wertvolles Wissen zur Erforschung der Nutzung der Kernfusion hier auf der Erde. Die Beobachtungen waren ein Ergebnis des Netzwerkes OPTICON ("Optical infrared coordination network for astronomy"), das 47 Forschungszentren zusammenbrachte und innerhalb des Themenbereichs Forschungsinfrastrukturen des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) der EU mit 19,2 Mio. EUR finanziert wurde. Die von David Jess von der Queen's University Belfast im Vereinigten Königreich geleitete Forschergruppe nutzte das schwedische 1-m Sonnenteleskop (SST), um Bilder von der Sonne zu erhalten. Wie es der Name schon vermuten lässt, hat das vom schwedischen Institute for Solar Physics auf der Insel La Palma in Spanien betriebene SST einen Vorderlinsendurchmesser von 1 Meter, was es zum größten optischen Sonnenteleskop in Europa macht. Das adaptive optische System wirkt der durch die Atmosphäre verursachten Unschärfe entgegen und ermöglicht die Beobachtung und das Fotografieren äußerst detailreicher Bilder bei minimalen optischen Aberrationen. Die in der Studie erzielten Bilder hatten eine Auflösung von ungefähr 80 Kilometern. "Wir hatten 40 Kilometer auf jedem Pixel unserer [...] Kamera, und das ist wirklich eine noch nie erreichte Auflösung", betonte Dr. Jess in einem Interview im Science-Podcast. "Das sind bis heute einige der schärfsten Bilder der Sonne." Die detaillierten Bilder erlaubten es den Forschern, eine "Gruppe heller Flecken", eine Struktur von 430.000 Quadratkilometern, (ungefähr doppelt so groß wie das Vereinigte Königreich) auf der Oberfläche der Sonne zu beobachten, um das Vorhandensein von Alfvén-Wellen nachzuweisen. "Eine Alfvén-Welle ist eine Welle, die sich von einem Punkt A zu einem Punkt B hin ausbreitet, das aber nur in einer kreisförmigen Richtung", erklärte Dr. Jess. "Man kann sich das am besten vorstellen, wenn man an einen zwischen zwei Punkten ausgebreiteten elastischen Schlauch denkt, und man diesen an einem Punkt in einer Kreisbewegung verdreht und dies bewirkt, dass sich die Welle vom Punkt A zum Punkt B fortbewegt. Die Verdrehung induziert Geschwindigkeiten." Alfvén-Wellen sind rein magnetische Plasmawellen. Frühere Studien haben gezeigt, dass sie stark genug sind, um den Sonnenwind zu erzeugen, aber nicht ausreichend energiereich, um die Korona um Millionen von Grad aufzuheizen. Die neuen Erkenntnisse beweisen Anderes. Die Wissenschaftler konnten die Geschwindigkeiten der Alfvén-Wellen durch Beobachtung der Dopplerbewegung des Plasmas bei einer Torsionsdrehung bestimmen. Die Geschwindigkeiten waren unglaublich hoch: weit über 20 Kilometer pro Sekunde. Während die Gruppe heller Flecken nur einen kleinen Teil der Sonnenoberfläche darstellt, hat sich herausgestellt, dass solche Gruppen heller Flecken recht reichlich vorhanden sind. Der spezielle Punkt, den die Forschergruppe analysierte, zeigte, dass Alfvén-Wellen auf jeden Fall energiereich genug sind, um die Korona aufzuheizen. "Und wenn die hellen Punkte, die wirklich in großer Zahl vorhanden sind, [...] alle einen ähnlichen Mechanismus enthalten, dann ist die Gesamterwärmung der Korona mittels dieser Wellen natürlich möglich", stellte Dr. Jess fest. Die Forschungsergebnisse erklären, auf welche Weise die Energie von der Oberfläche der Sonne in ihre äußere Atmosphäre transportiert wird. Der nächste Schritt besteht den Forschern zufolge nun darin, in einer statistischen Untersuchung über die gesamte Sonnenoberfläche hinweg die Energie zu bestimmen, die in den hellen Flecken steckt. "Nur auf diese Weise können wir eindeutig feststellen, ob diese hellen Flecken tatsächlich energiereich genug sind, um das Geheimnis der Aufheizung der Korona zu lüften", ergänzte Dr. Jess. Die Sonne ist eine konstante Kernfusionsquelle, wobei die Kernfusion ein Gebiet intensiver globaler Forschungsbemühungen ist. Während auf der Sonne seit Millionen von Jahren Tag für Tag und Stunde für Stunde ununterbrochen Fusionsreaktionen stattfinden, hat sich das unaufhörliche in Gang halten von Reaktionen dieser Art unter Nutzung terrestrischer Technologien als sehr problematisch erwiesen. "Einer der Gründe, warum die Sonne auf diese Weise funktioniert, besteht darin, dass sie einen effizienten Mechanismus zum Transport ihrer Energie durch die gesamte Atmosphäre besitzt", sagte Dr. Jess. Alfvén-Wellen wurden schon seit Langem als potenzielles Mittel zum Transport dieser Energie in Betracht gezogen, doch erst jetzt wurde ihre Existenz nachgewiesen. "Dies könnte ein möglicher Ansatzpunkt sein, der den Forschern hilft, [...] Kernfusionsreaktionen hier auf der Erde zu unterstützen und aufrecht zu erhalten, die vielleicht letztlich freie Energie liefern können", so Dr. Jess.
Länder
Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten