Neue Scanner-Technologie für 3D-Reproduktionen von Felskunst
Felskunst wird von Archäologen allgemein als wertvolle Aufzeichnung von vor- und frühgeschichtlichem Gedankengut angesehen. Menschen stellten die Dinge dar, die ihnen wichtig waren, und anhand von Felskunst lässt sich auf einzigartige Art und Weise herausfinden, was sie beschäftigte – von der Nahrungsversorgung über drohende Gewalt zwischen den Menschen bis hin zu den Rollen der Geschlechter. Der wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Universität von Cambridge Giovanna Bellandi zufolge "kann Felskunst als eine Art alter Sprache oder als Kommunikationsmittel gesehen werden. Es ist keine Kunst im modernen Sinne, sondern vielmehr eine Form der Sprache, durch die die Menschen in der Vergangenheit gewisse Vorstellungen kommunizierten." Felskunst unterscheidet sich auch sehr von einer Region Europas zur anderen: "Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Felskunst und dem Ort, an dem sie entstanden ist", betont Bellandi. "Man muss den geographischen Kontext berücksichtigen, die besondere Art von Gestein und wahrscheinlich auch den sozialen Kontext. Es bestehen viele offene Fragen über Felskunst, und nur durch fortlaufende Forschungen mit unterschiedlichen und neuen Ansätzen können wir hoffen, diese Fragen zu beantworten." Das Projekt 3D-PITOTI (3D acquisition, processing and presentation of prehistoric European rock-art) konzentrierte sich auf Valcamonica in der italienischen Region der Lombardei – ein UNESCO-Weltkulturerbe mit mindestens 100.000 Felszeichnungen, die als "Pitoti" bekannt sind und von denen vermutlich nochmal so viele noch gar nicht entdeckt wurden. Die meisten wissenschaftlichen und technischen Experten mit umfassenden Kenntnissen zu Valcamonica vereinten in diesem Projekt ihre Kräfte. Ihr Ziel war es, eine Technologie zu entwickeln, um diese Bilder, die als einige der besten Felskunst-Objekte in der Welt angesehen werden, dreidimensional zu erfassen, zu verarbeiten und zu visualisieren. Gemeinsam wollen sie es einem breiteren Publikum ermöglichen, die Pitoti auf interaktive und ansprechende Art und Weise zu erleben. "Die meisten früheren Aufnahme waren lediglich zweidimensional (2D) – Fotos oder Pausen von 3D-Formen, die in die Felsoberflächen geschnitzt sind", erklärt Projektkoordinatorin Dr. Sue Cobb von der Universität von Nottingham. "Die dritte Dimension liefert zusätzlich wertvolle Informationen, zum Beispiel durch die Überlagerung von Schnitzereien, mit der wir relative Chronologien entwickeln können." Das Teammitglied Craig Alexander wies darauf hin, dass dies zwar nicht das erste Mal ist, dass eine 3D-Aufnahmetechnik in diesem Bereich verwendet wurde. Aber es ist das erste Mal, dass sie zu digitalen Aufnahmen führt: "Vor über 40 Jahren wurde eine Reihe von Gipsabdrücken in Valcamonica gemacht, die an anderer Stelle reproduziert und ausgestellt werden konnten. Digitale Daten aber wiegen nichts und können sehr schnell an andere Orte übertragen werden – das macht unsere 3D-Modelle für jeden mit einem funktionierenden Internetanschluss zugänglich. Auch eine greifbare Darstellung der Felskunst in einer anderen Umgebung kann mithilfe moderner 3D-Drucktechnologien hergestellt werden." Ein neues Instrumentarium Die Entwicklungen des Teams führten zu einem völlig neuen Weg für die multiskalige Erfassung, Verarbeitung und Visualisierung von Felskunst. Dazu gehören ein Scanner-System für die Erfassung von Felskunst mit einer Genauigkeit im Submillimeterbereich sowie neue Techniken zur Flugbahnplanung von unbemannten Flugzeugen (Unmanned Aerial Vehicles, UAV), die eine effiziente und mühelose Erfassung des Geländes rund um einzelne Pitoti auf Zentimeter- bis Kilometerskalen ermöglichen. Für den Verarbeitungsschritt wurden Techniken entwickelt, mit denen eine große Anzahl dieser 3D-Scans aufgezeichnet und zu einem kohärenten 3D-Multiskalenmodell kombiniert werden kann. Fortschrittliche Segmentierungs- und Klassifikationstools unterstützen die halbautomatische Identifizierung verschiedener Typen von Pitoti wie Menschen, Gebäude und Tiere. Schließlich ermöglichen Visualisierungs- und Interaktionstools die Erforschung der Pitoti in ihrer natürlichen Umgebung auf einer Vielzahl von Plattformen: von Tablet-Computern und Notebooks bis hin zu Datenbrillen und dem Pitoti Scientists’ Lab, einer einzigartigen High-End-3D-Visualisierungseinrichtung an der Bauhaus-Universität Weimar. "Die in dem Projekt entwickelte Software ist äußerst nützlich, da sie die Integration der Möglichkeiten einer normalen Datenbank, die Organisation und das Speichern der Daten ermöglicht. Außerdem lassen sich mit ihr die Pitoti in ihrer natürlichen 3D-Umgebung lokalisieren und nicht nur auf einer zweidimensionalen Karte", erklärt Paolo Medici, Archäologe am Camunia Zentrum für prähistorische Studien. "Die Datenbank wurde auf Basis der Anfragen der Archäologen erstellt, sodass sie die Bedürfnisse für fortschrittliche digitale Forschungen zur Felskunst erfüllt." Das System von 3D-PITOTI hat viele Vorteile. Während die aktuelle Aufzeichnung von Felskunst (durch Pausen auf Kunststoffplatten) viel Zeit und besondere Fähigkeiten erfordert und eine analoge Technik darstellt, ermöglicht die neue Technologie den Archäologen, Scans in hoher Auflösung, auf verschiedenen Skalen und in kürzerer Zeit anzufertigen - unabhängig von der Anzahl der Gravuren. Die Kombination dieser Rekonstruktionen innerhalb einer einzigen Datenbank ermöglicht es den Forschern auch, sich auf das große Bild zu konzentrieren. "Bei der Arbeit mit einer integrierten digitalen Methode kann eine große Anzahl von Pitoti untereinander und mit Felskunst an anderen Standorten verglichen werden. Die Verarbeitungsmöglichkeit für große Datenmengen hilft uns auch, Muster in der Kunst zu erkennen, die auf ihre Bedeutung hinweisen können", erklärt Dr. Cobb. Diese umfassende digitale Bibliothek für Felskunst definiert in Kombination mit den kollaborativen 3D-Visualisierungsmöglichkeiten in Weimar den neuen Standard für die Felskunst-Forschung. Geradewegs zur Umsetzung Das Konsortium hofft, die Technologien des Projekts im Laufe der kommenden Monate weiter entwickeln und testen zu können. Die Technische Universität Graz und ArcTron 3D werden am nächsten Prototyp des Scanners arbeiten, und einige der Archäologen der Universität von Cambridge haben bereits ihr Interesse geäußert, die Technologien über den Rahmen des Projekts hinaus einzusetzen. Craig Alexander möchte Technologien wie die Bildsegmentierung und -klassifikation für die Analyse von Luftbildern verwenden, um neue Stätten wie die neolithischen Dörfer in Apulien zu finden, und Liliana Janik hofft, sie als Teil ihrer Ausrüstung bei ihrer Feldforschung zu Felskunst verwenden zu können. Frederick Baker, ein Pitoti-Forscher, interessiert sich für die Videomöglichkeiten: "Ich hoffe, der Scanner wird zur neuen Standardausrüstung für die Feldforschung gehören. Als Filmregisseur werde ich die Scanner-Technologie verwenden, um auch weiterhin neue Film in einer neuen Filmsprache zu schaffen", schließt er.
Schlüsselbegriffe
Prähistorische Kunst, Felsmalereien, UAV, 3D-Software, Bildsegmentierung