Neue kosmologische Theorie: das Universum ist kleiner, einfacher und endlich
Aktuelle Theorien gehen davon aus, dass der Urknall nicht nur zur Entstehung eines Universums, sondern vieler Universen geführt hat, des sogenannten Multiversums. Allgemein wird angenommen, dass das Multiversum wie ein unendliches Fraktal aus verschiedenen kleinen Taschenuniversen aufgebaut ist. Doch für das Multiversum gibt es eine unendliche Anzahl an Möglichkeiten. Genau da liegt das Problem. Da irgendwo in dieser Sammlung von Universen sowieso alles möglich ist, kann die Theorie nicht wirklich Vorhersagen für unser Universum ableiten. In einem Beitrag im „Journal of High Energy Physics“ präsentieren der verstorbene Stephen Hawking und Thomas Hertog von der KU Löwen ein Modell, mit dem sich das grenzenlose Multiversum auf eine überschaubarere Menge möglicher Universen reduzieren lässt. Der Beitrag wurde im März nur wenige Tage vor Hawkings Tod eingereicht. Das Modell der Physiker wurde mit Unterstützung des EU-finanzierten Projekts HoloQosmos entwickelt und beschäftigt sich mit dem Konzept der sogenannten ewigen Inflation. Laut der Theorie der ewigen Inflation muss sich die Raumzeit im Bruchteil einer Sekunde nach dem Urknall mit enormer Geschwindigkeit ausgedehnt haben. Man geht davon aus, dass diese schnelle Expansion, die als Inflation bezeichnet wird, seit diesem Zeitpunkt ewig weitergeht. Doch in einigen Gegenden hört die Inflation auf und bildet dort lokale Taschenuniversen mit Sternen und Galaxien aus. Dieser Theorie zufolge befindet sich unser gesamtes beobachtbares Universum in so einer Tasche. In ihrem Beitrag behaupten die Autoren nun, dass das aktuelle Modell einer ewigen Inflation seit dem Urknall nicht stimmen kann, weil sein Verständnis der Entwicklung des Universums auf Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie basiert, die für den Urknall nicht gilt. „Wir sagen voraus, dass das Universum – als Ganzes betrachtet – ziemlich glatt und nicht unendlich groß ist. Es ist also keine fraktale Struktur“, so Hawking vergangenes Jahr in einem Interview mit der Cambridge University. Hawking und Hertog bauten ihr neues Modell auf der Stringtheorie auf. Ihr Ansatz zur ewigen Inflation dreht sich um das sogenannte holografische Prinzip, demzufolge die für uns wahrnehmbare physikalische dreidimensionale Realität wie ein Hologramm auf eine zweidimensionale Oberfläche geschrieben werden kann. Die Forscher haben eine Variation des holografischen Prinzips entwickelt, um die Zeitdimension auf die ewige Inflation zu projizieren. So konnten sie die ewige Inflation beschreiben, ohne auf Relativität zurückzugreifen. Stattdessen reduzierten sie sie mathematisch auf einen zeitlosen Zustand auf einer räumlichen Oberfläche am Beginn der Zeit. Ihre neue Theorie spricht für „eine wesentlich überschaubarere Gesamtstruktur des Universums, in der Räume sich zwar unterscheiden können, aber nicht annähernd so stark wie in der alten Theorie des Multiversums“, erklärte Hertog in einem Interview mit dem Europäischen Forschungsrat. „Ich glaube, die Kernaussage unseres Modells ist nicht so sehr, dass Oberflächen mit konstanter Dichte im Universum endlich sind, sondern vielmehr, dass die Variation im Multiversum beschränkt ist. Anders gesagt, die Spanne verschiedener Taschenuniversen ist wesentlich kleiner. Damit kann die Kosmologie auf Basis unserer Theorie wesentlich bessere Vorhersagen treffen, wird als wissenschaftliche Theorie selbst gestärkt und schließlich, hoffentlich, nachprüfbar.“ Im nächsten Schritt will Hertog Gravitationswellen finden, die beim Urknall entstanden sein könnten, und so die Theorie testen. Mit seiner Entwicklung eines holografischen Systems für Quantenkosmologie will HoloQosmos (Holographic Quantum Cosmology) die konventionelle Sicht auf die Kosmologie revolutionieren. Weitere Informationen: CORDIS Website
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