Wissenschaft im Trend: Ich bin Künstler, kein unkultivierter Höhlenmensch!
Man glaubte bisher, dass Kunst ein Verhalten ist, das einzig unsere Spezies beherrscht, etwas eindeutig Menschliches. Das muss für unsere vermeintlich niederen Verwandten in der Evolutionsgeschichte doch eine unerreichbare Fähigkeit gewesen sein. Offensichtlich sind wir doch nicht die Einzigen, die sich durch die Kunst ausdrücken, und wie es aussieht auch nicht die Ersten. Die Neandertaler haben lange vor den Menschen Höhlenwände bemalt und so Kunst in die Welt gebracht. Hatten diese krummen, rohen, haarigen und dummen Urzeitmenschen eine künstlerische Ader? Wirklich? Europas erste Maler Eine neue Studie, die in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht wurde, zeigt, dass die ältesten bekannten Höhlenmalereien der Welt von Neandertalern geschaffen wurden, nicht von modernen Menschen. Ihre Höhlenmalereien in Spanien – ausgerechnet dem Heimatort Pablo Picassos – entstanden lange bevor der moderne Mensch in Europa ankam. Mit modernsten Methoden wurden die Malereien auf ein Alter von mindestens 65 000 Jahren bzw. 20 000 Jahre bevor der moderne Mensch aus Afrika nach Europa kam, datiert. Anhand dieser Erkenntnisse müssen die altsteinzeitlichen Kunstwerke von Neandertalern geschaffen worden sein, den einzigen Menschen, die damals in Europa lebten. Das Forscherteam hat ausschließlich abstrakte Kunstformen gefunden. Neandertaler lassen endlich ihr schlechtes Image hinter sich Unter Archäologen glaubt man, dass Neandertaler weiter entwickelt waren als allgemein angenommen wird, die Funde sind jedoch nicht eindeutig. Zumindest bis jetzt. Alistair Pike, Professor für Archäologie an der University of Southampton, der als einer der Leiter an der Studie mitwirkte, sagte „Reuters“: „Hier haben wir einen eindeutigen Beweis, der das Bild vom Neandertaler als primitiven Höhlenmenschen komplett über den Haufen wirft.“ In drei Höhlen, die mehrere hundert Kilometer auseinander liegen, wurden die frühen Kunstwerke mit Symbolen, Handumrissen und geometrischen Formen gefunden. Um so etwas zu schaffen, bedurfte es besonderer Fähigkeiten, wie zum Beispiel Farbpigmente mischen zu können oder eine passende Stelle für das Bild zu finden. Die Forscher nutzten ein präzises Datierungssystem, um das genaue Alter der Malereien zu bestimmen. Für ihre Analysen kratzten sie wenige Milligramm der Kalziumkarbonatablagerungen von den Malereien. Außerdem gibt es auch noch Indizien für eine lange künstlerische Tradition. Die Neandertaler haben anscheinend bemalte Muscheln als Schmuck benutzt. Laut einer zweiten Abhandlung in „Science Advances“ haben sie auch vor ungefähr 115 000 Jahren gefärbte und verzierte Muscheln hergestellt, die in einer anderen spanischen Höhle gefunden wurden. Die „BBC“ zitiert Pike mit den Worten: „Die Frage wie menschlich sich die Neandertaler verhalten haben, wird heiß diskutiert. Unsere Funde leisten einen wichtigen Beitrag zu dieser Diskussion.“ Und er fügt hinzu: „Die nächste große Frage ist: haben die Neandertaler auch bildende Kunst geschaffen? Wir haben hier Umrisse von Händen, wir haben viele rote Punkte und wir haben solche Linien. Jetzt wollen wir wissen, ob die Bilder die Tiere zeigen, die damals gejagt wurden.“ Pike will herausfinden, wie umfassend die Kunst der Neandertaler wirklich war. Er hat vor, Höhlenzeichnungen in Frankreich und anderen Ländern zu datieren und zu untersuchen. Seine Funde mögen die Forschung zur menschlichen Evolution auf den Kopf gestellt haben, aber es bleibt eine Frage, die wahrscheinlich nie beantwortet werden wird: Was hätten die Neandertaler alles erreichen können, wenn sie nicht vor etwa 40 000 Jahren ausgestorben wären, als sich ihre direkten Vorfahren in Europa ansiedelten?
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