180 000 Jahre alter Kieferknochen belegt frühere Präsenz des Menschen außerhalb Afrikas als bisher angenommen
Die These, dass der frühe moderne Mensch seinen Ursprung in Afrika hatte und sich vor rund 60 000 Jahren nach Eurasien ausbreitete, wo er schon bald die Neandertaler und möglicherweise andere dort heimische Menschenarten verdrängte, ist seit Jahrzehnten wissenschaftlich anerkannt. Doch neuere Funde werfen gewisse Zweifel auf: In einer Höhle in China fand man eine große Zahl von Zähnen, die rund 100 000 Jahre alt sind, und mit der jüngsten Entdeckung öffnet sich nun ein unbekanntes Kapitel unserer Entstehungsgeschichte. Ein internationales Forschungsteam berichtete kürzlich in der Fachzeitschrift „Science“ von seinem Fund. In der Misliya-Höhle im Norden Israels entdeckten die Forscher ein Maxilla-Fragment und die zugehörige Bezahnung eines erwachsenen Individuums, deren Morphologie und Merkmale denen des Homo sapiens ähnlich sind. Wie der Leiter der Forschungsarbeit der Universität Tel Aviv, Professor Israel Hershkovitz, erklärt, revolutioniert dieser Fund unser bisheriges Verständnis von der Evolution unserer Spezies. Die Datierungsstudie wurde zum Teil durch ein Stipendium der Europäischen Union (EU) im Rahmen des Projekts HR_ESR finanziert. Das Alter der Fossilie wurde durch eine Kombination aus verschiedenen Datierungsmethoden, die übereinstimmende Ergebnisse lieferten, sicher bestimmt. Sie ergaben ein Alter zwischen 177 000 und 194 000 Jahren und liefern damit den frühesten Beweis für die Existenz des modernen Menschen außerhalb Afrikas, die demnach um 50 000 Jahre in die Vergangenheit zurückgeschoben wird. Dr. Mathieu Duval, der durch das Projekt HR_ESR unterstützt wurde, arbeitete gemeinsam mit Kollegen an der direkten Datierung eines von der Maxilla stammenden Zahnes. Sie arbeiteten, unter Einsatz fortschrittlichster Analyseverfahren, mit einer Kombination aus zwei Methoden – der sogenannten Uran-Thorium-Datierung und der Elektronenspinresonanz –, um eine Beschädigung der Überreste weitgehend zu vermeiden. Misliya schreibt die Geschichte um Die Entdeckung hat unter Fachleuten selbstverständlich für Aufsehen gesorgt. Man geht davon aus, dass der Fund auf mehrere Einwanderungswellen in Europa und Asien hindeutet und möglicherweise ein Beleg dafür ist, dass der moderne Mensch über zehntausende Jahre hinweg mit anderen Menschenformen zusammenlebte und sich möglicherweise auch mit ihnen paarte. Die ersten Homininen lebten vor rund 6-7 Millionen Jahren in Afrika. Diese frühevolutionären Vorfahren werden der menschlichen Familie insbesondere deshalb zugerechnet, da ihre Knochen eindeutig auf Bipedie schließen lassen. Erst vor rund 2 Millionen Jahren verließen Vormenschen erstmals Afrika und breiteten sich in der Alten Welt aus. Fortschrittliche Steinwerkzeuge und -klingen, die in der Umgebung entdeckt wurden, deuten darauf hin, dass die Höhlenbewohner gut ausgerüstete Jäger waren, die Wurfschlingen und elegant geschliffene Klingen einsetzten, um Gazellen, Auerochsen, Wildschweine, Hasen, Schildkröten und Strauße zu erlegen und zu schlachten. Forscher entdeckten außerdem Beweise für Flechtmaterial, das aus Pflanzen gewonnen wurde. Mittels radiometrischer Datierung konnte auch das Alter der Werkzeuge auf zwischen 131 000 und 221 000 Jahren bestimmt werden – und stimmt damit mit den ESR-Ergebnissen des Zahnfossils überein. EU-Unterstützung für die Entwicklung geeigneter Methoden zur Datierung der frühesten Funde Die Elektrospinresonanz (ESR) ist die wahrscheinlich einzige chronometrische Methode, die zur Datierung von Zahnfossilien des Frühpleistozäns aus Hominidensiedlungen im Mittelmeerraum herangezogen werden kann. Mit dem Standardverfahren ist man jedoch bereits an die Grenzen gestoßen. Das kürzlich durchgeführte Projekt HR_ESR (Developing High Resolution Electron Spin Resonance (ESR) dating of fossil teeth: contribution to the chronology of early hominid occupations in the Mediterranean area) verfolgte einen zweigleisigen Ansatz, um die Datierungsmethode zu verbessern. Die Wissenschaftler untersuchten die physischen und chemischen Prozesse, die den Zahnschmelz auf Mikroebene beeinflussen, und wie sich diese auf die ESR-Datierungsergebnisse auswirken. Zugleich entwickelten sie eine kombinierte hochauflösende Methode von ESR- und Uranreihen-Datierung zur Altersbestimmung fossiler Zähne. Die gleiche Vorgehensweise wurde jüngst angewendet, um das Zahnfossil der neu entdeckten Menschenart, Homo naledi, direkt zu datieren. Die Datierungsarbeit wurde teilweise mit Fördermitteln aus dem Projekt HR_ESR unterstützt. Weitere Informationen: CORDIS-Projektwebsite 3D-Rekonstruktion des ältesten Fossils des modernen Menschen, das außerhalb von Afrika gefunden wurde
Länder
Spanien