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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Verformbarer Beton für erdbebensichere Gebäude

Beim Entwurf von Bauten, die Erdbeben standhalten sollen, können die Ingenieure derzeit nur auf kraftbasierte Verfahren zurückgreifen. Sie können nicht bestimmen, auf welche Weise sich die Struktur an seismische Schwingungen anpassen wird, was wiederum unerwünschte Fehlfunktionen nach sich ziehen kann. Ein innovatives Design für stark verformbare Stahlbetonbauteile soll nun diesen Freiraum gewähren, während gleichzeitig der Einsatz von Ressourcen optimiert wird, Kosten minimiert und die Sicherheit gewährleistet werden.

Das Projekt SHDS (Seismic-resistant Highly Deformable Structures) baut auf den Resultaten eines weiteren EU-finanzierten Projekts mit dem Titel ANAGENNISI auf, das Reifengummipartikel als Ersatz für sowohl feine als auch grobe Betonzuschlagstoffe recycelt. Mit dem Einsatz dieses „High deformability concrete“ (HDC), d. h. eines stark verformbaren Betons, beim flexiblen Verbinden von Trägern und beim Aufbau von duktilen Scherwänden zielt das Team darauf ab, eine Struktur mit kontrolliertem Leistungsverhalten zu entwickeln, bei der sich strukturelle Schäden auf spezielle, dafür vorgesehene Elemente konzentrieren. Im Einzelnen bedeutet das einfachere und schnellere Reparaturen, die zu einer Kreislaufwirtschaft beitragen. Dr. David Escolano, Empfänger eines Marie-Curie-Einzelstipendium an der University of Sheffield und Koordinator of SHDS, erörtert die bisherigen ambitionierten Errungenschaften des Projekts. Im Rahmen des Projekts befasst man sich eher mit dem Leistungsverhalten der Struktur als mit der Festigkeit. Inwiefern ist das wichtig? Dazu Dr. David Escolano: Bei kraftbasierten Methoden wird seismische Wirkung unter Anwendung seitlicher „Äquivalentkräfte“ definiert, die über die Höhe des Bauwerks verteilt sind. Die elastische Magnitude derartiger Kräfte hängt von der Gefährdungsstufe am Standort (Bodenbeschleunigungen) ab, und für Standorte mit hoher seismischer Gefährdung erlauben existierende Codes die Reduzierung der Seitenkräfte. Resultat sind kostengünstigere Bauteile, vorausgesetzt natürlich, dass diese Strukturen vor dem Einsturz ein gewisses Maß an Schäden aushalten können. Während diese Designphilosophie unkompliziert und einfach anzuwenden ist sowie auf wirkungsvolle Weise Menschenleben schützen kann, unternehmen die Ingenieure Schritte hin zu einer Entwurfsphilosophie, dem Performance-based Design (PBD), das ihnen die Konstruktion von Bauteilen auf eine Weise erlauben würde, dass sie Erdbeben verschiedener Stärken innerhalb vorgegebener begrenzter Schadenshöhen aushalten können. Mit einem Design dieser Art wird die Entwicklung von optimalen Bauteilen möglich und werden Ressourcen bei minimalen Kosten maximal ausgeschöpft, wobei man ein annehmbares Maß an Sicherheit erzielt und die Konstrukteure mit neuen Entwurfslösungen, innovativen Materialien und strukturellen Komponenten experimentieren können, um so die gewünschten Stufen in der Leistungsfähigkeit zu erreichen. Welche Punkte bringt SHDS in diesem Zusammenhang auf den Tisch? Im Rahmen des SHDS-Projekts konzentriert man sich auf eine sehr spezifische bautechnische Komponente: Verbindungsträger in gekoppelten Wandsystemen. Zwei oder mehr tragende Wände sind in einem regelmäßigen Muster über die Höhe des Bauwerks durch Träger verbunden, was die seismische Leistung jeder einzelnen Wand verbessert und eine sehr stabile Quelle der Energiezerstreuung liefert. Da das Gesamtverhalten des Systems stark von der Verformungsfähigkeit der Verbindungsträger abhängt, besteht unser Ziel darin, mit Hilfe eines neu entwickelten HDC innovative Lösungen für die Konstruktion von Verbindungsträgern mit beispielloser Verformungsfähigkeit zu konzipieren. Was ist HDC und worin besteht sein Mehrwert für dieses Projekt? HDC ist ein Produkt des ANAGENNISI-Projekts, welches das Ziel verfolgt, alle Bestandteile von gebrauchten Reifen in hochwertigen Betonanwendungen einzusetzen. In dessen Mittelpunkt steht unter anderem, die mineralischen Zuschlagstoffe im Beton durch Gummiteilchen zu ersetzen, um so die Verformungsfähigkeit des traditionell spröden Betons zu erhöhen. Da eine hohe Verformbarkeit einen hohen Gummigehalt erfordert, der wiederum die Druckfestigkeit des Materials radikal um bis zu 90 % reduzieren kann, kommen bei HDC außerdem moderne kompositbewehrte Stützen zum Einsatz, um die Druckfestigkeit bis in bautechnische Größenordnungen zu steigern, während die gewünschte große axiale Verformungsfähigkeit des mit Gummi versetzten Betons beibehalten wird. Eine um Säulen aus mit Gummi versetztem Beton gewickelte, nur 1,6 mm dicke Aramidummantelung kann außergewöhnliche Festigkeits- und Verformbarkeitsverbesserungen herbeiführen. Zwei der Hauptargumente zugunsten dieses neuen Betons sind seine Nachhaltigkeit und Reparaturfreundlichkeit. Können Sie diese Punkte näher erläutern? Mittels PBD können die Ingenieure vorgefertigte und technisch ausgereifte Bauteile konstruieren, welche die Erdbebenschäden aufnehmen können. Aufgrund dessen würden sich nach Erdbeben erforderliche Reparaturen an gemäß PBD konzipierten Strukturen auf diese Komponenten und nicht auf das gesamte Bauwerk konzentrieren. Die im Rahmen dieses Projekts entwickelten Verbindungsträger funktionieren gewissermaßen als „Sicherungen“ und sind somit die ersten Elemente, die bei einem Erdbeben erhebliche Schäden davontragen, die wiederum den Großteil der übrigen tragenden und nichttragenden Bauteile schützen. Was die Nachhaltigkeit betrifft, so können die vorgeschlagenen Verbindungsträger nach großen seismischen Einwirkungen problemlos ausgetauscht werden, wodurch kostspielige Reparaturen minimiert und die Auswirkungen auf das Gemeinwesen begrenzt werden, da eine wesentlich schnellere Gebäudenutzung erfolgen kann. Bei den vorgeschlagenen Verbindungsträgern nutzt man gleichermaßen aus Altreifen gewonnene Materialien, womit man dazu beiträgt, dem Ziel einer umweltfreundlicheren Wirtschaft mit reduzierter Abfallerzeugung und weniger Druck auf den Rohstoffverbrauch näher zu kommen. Was können Sie uns über die bereits vorliegenden Ergebnisse der Versuchsphase berichten? Auf Materialebene haben wir mehr als 300 Zylinder/Würfel Versuchen unterzogen, um die Eigenschaften des mit Gummi versetzten Betons im frischen und ausgehärteten Zustand zu analysieren. Es wurden verschiedene Mischungen und Gummimengen getestet, was im Endeffekt in der Entwicklung einer optimierten Mischung resultierte, bei der 60 % der groben und feinen mineralischen Zuschlagstoffe durch Gummi ersetzt waren. Diese optimierte Mischung wurde im letzten Schritt der Entwicklung des HDC angewandt. Im Folgenden unterzog man verschiedene Typen verbesserter kompositbewehrter Ummantelungen einschließlich Aramid und Carbon FRP Tests, um die optimale Kombination aus Verformungsfähigkeit und Festigkeit bereitzustellen. Mit dem entwickelten HDC können für tragende Zwecke geeignete Druckfestigkeiten (40-120 MPa) bei maximalen axialen Verformungen erzielt werden, die um das Zwanzigfache größer als bei herkömmlichem Beton sind. Die Resultate von SHDS sind bislang sehr ermutigend und beweisen, dass HDC-Verbindungsträger ähnlichen Belastungen wie ihre traditionellen Pendants standhalten können, während sie eine viermal höhere Verformungsfähigkeit aufweisen. Sind Sie schon mit potenziellen Investoren in Kontakt gekommen? Wir haben bislang noch keine Investoren kontaktiert. Was die bautechnischen Anwendungen betrifft, so schätzen wir ein, dass wir Technologie-Reifegrad 5 erreicht haben. Und deshalb sind wir noch nicht zur Kommerzialisierung bereit. Wir sind noch immer mit der Entwicklung der Technologie beschäftigt und müssen unser Verständnis des Materials und seiner tragenden Funktionseigenschaften weiter vorantreiben, bevor wir bereit sind, die nächste Stufe zu nehmen. Wir führen gleichermaßen Versuche durch, um die langfristige Haltbarkeit des neuen HDC zu bewerten. Ein weiteres wichtiges Thema, das nicht außer Acht gelassen werden darf, ist, dass unsere neuen Material- und Ingenieurlösungen von keiner existierenden Norm abgedeckt werden und in dieser Richtung mehr Arbeit geleistet werden muss, um Einführung und Nutzung dieser neuartigen Technologien zu ermöglichen. Jedoch sind wir sehr begeistert über das bislang Erreichte und wir hoffen, dass die Bauindustrie den Wert der zahlreichen, von uns vorgeschlagenen Innovationen erkennen wird. Welche Pläne haben Sie für die Zeit nach dem Abschluss des Projekts? Die Arbeit an SHDS hat zu einigen sehr positiven Ergebnissen hingeführt, hat jedoch auch eine Anzahl von sehr interessanten Fragen zum physikalischen und strukturellen Verhalten von HDC und zu seinen vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in bautechnischen Anwendungen aufgeworfen. Sollten wir die Gelegenheit haben, möchten wir unsere Erkenntnisse über dieses Material weiterentwickeln und sein langfristiges Leistungsverhalten (einschließlich Kriecheigenschaften und Materialermüdung) sowie seine Reaktion auf Brände und Stoßwirkungen untersuchen. SHDS Finanziert unter H2020-EU.1.3.2. CORDIS-Projektseite

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