Von Textilien inspirierte Mikromanipulation bringt die Biomedizin voran
Seitdem es möglich ist, biologische Strukturen auf mikroskopischer Ebene zu manipulieren, wurden im Bereich der Biotechnologie zahlreiche Fortschritte erzielt. Doch auf Gebieten, die hohe Fingerfertigkeit und Materialien mit speziellen Eigenschaften erfordern, kann das volle Potenzial dieser Neuerungen nur selten ausgeschöpft werden. Beispielsweise werden Zellen und Gewebestücke in der Mikrochirurgie üblicherweise mit Mikropipetten angesaugt, was jedoch mit einem Verletzungsrisiko verbunden ist, da diese Instrumente weder filigran genug aufgebaut sind noch ausreichend präzise geführt und bedient werden können. Darüber hinaus sind mit Elektromotoren oder pneumatischen Systemen betriebene mikrorobotische Geräte oftmals sperrig, schwer und laut. Vor allem fühlen sie sich, wenn sie am oder im menschlichen Körper genutzt werden, für die Patienten äußerst künstlich an. Das EU-geförderte POLYACT-Projekt wurde ins Leben gerufen, um diese Probleme durch die Mikrofabrikation von Polymer-Mikroaktoren zu beheben. Indem zahlreiche Exemplare in einem günstigen Muster angeordnet werden und auf gleiche Weise Kraft ausüben wie Muskeln und Elektromotoren, könnten diese Aktoren für eine breite Auswahl von Anwendungen infrage kommen, bei denen eine weiche, flexible Mikromanipulatoren erforderlich ist. Die mikroskopischen Aktoren sind um ein bis zwei Größenordnungen kleiner als die Geräte, die aktuell eingesetzt werden. Klein angelegte Produktion Die POLYACT-Forscher konnten zwei Generationen dieser weichen und flexiblen Mikroaktoren entwickeln, herstellen und beurteilen sowie zwei neue Fertigungsverfahren ausarbeiten und prüfen. Das Team produzierte zuerst zwei separat gesteuerte Milli-Aktoren, die auf einer Dünnschicht aus PVDF-SPE (Polyvinylidenfluorid-Feststoffpolymerelektrolyt) basieren, stellten jedoch fest, dass die erforderliche Flexibilität ohne ausreichende ionische Leitfähigkeit nicht erreicht werden konnte. Das Team musste das Layout des Aktors anschließend überarbeiten und Alternativen zu PVDF-SPE finden – sogenannte Interpenetrierende Polymernetzwerke (IPN) erwiesen sich als am besten geeignet. Zudem passten die Forscher ihr Verfahren zur Anordnung der hochleitfähigen Polymerelektroden an und wechselten von einem metallbasierten Ansatz zur Nutzung elektrisch leitfähiger Polymerschichten, die elektrochemisch synthetisiert wurden. Die resultierenden Aktoren konnten mit sehr wenig elektrischer Energie (20–30 W) und bei geringem elektrischen Potenzial (~ 1–2 V) betrieben werden, sodass diese Mikromanipulatoren, die ihre eigene Energiequelle in sich tragen, separat gesteuert werden konnten. Zu Anfang des Projekts verdeutlichten die Projektforscher, dass POLYACT wesentlich zur inneren Biomedizin beitragen könnte. Sie stellten Anwendungen für biomedizinische Eingriffe, etwa in Form optischer Blenden und Verschlüsse, in Aussicht, insbesondere jedoch ferngesteuerte mikrorobotische Technologie, die im Inneren des menschlichen Körpers eingesetzt werden und das Risiko für operationsbedingte Verletzungen senken könnten. Technologie für weiche Manipulatoren verspricht jedoch einen größeren Paradigmenwechsel, da mit ihr die Textur und Konsistenz biologischer Objekte besser aufeinander abgestimmt werden kann als mit verfügbaren alternativen Technologien. Zurück in die Zukunft mit Textuatoren Letztes Jahr veröffentlichten Projektmitglieder einen Artikel in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Science Advances“, in dem sie erklären, dass die Herstellung in Mustern angeordneter Aktoren mit der Textilproduktion vergleichbar sei, weshalb sie ihre Erfindung „Textuatoren“ tauften. Dieses Paradigma ermöglichte dem Team, bei der Konstruktion Kenntnisse aus der Textilherstellung heranzuziehen, um absehen zu können, wie sich Webe- bzw. Stricktechniken auf relative Eigenschaften wie Festigkeit, Flexibilität und Belastung auswirken. Sobald die Vorteile der Serienfertigung ausgeschöpft werden können, könnte die POLYACT-Technologie für verschiedenste am und im Körper genutzte Geräte anwendbar werden. Im Artikel, der in Science Advances veröffentlicht wurde, wird auch auf Innovationen im Bereich assistiver Geräte aufmerksam gemacht. So könnten Exoskelett-Anzüge mit integrierten tragbaren Aktoren entwickelt werden, die unter der Kleidung getragen werden könnten und sich natürlich und lebensecht anfühlen würden. Hier könnten die Textuatoren Muskelfunktionen übernehmen und Menschen mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit wie ältere oder behinderte Menschen unterstützen. Darüber hinaus sprechen die Projektforscher davon, „Sensorgarne in das Gewebe“ zu integrieren, die einen Mechanismus ermöglichen würden, der bestimmte Bedingungen erkennt und so die Steuerung erleichtert. Weitere Informationen: CORDIS-Projektseite
Länder
Schweden