Wissenschaftler lüften das Geheimnis der Auswirkungen der CO2-Einlagerung unter dem Meeresboden auf lokale Ökosysteme
Die Meeresböden Europas sind oft vernarbt oder gerissen, doch die Ölindustrie in der Nordsee und der Barentssee lagern Kohlendioxid (CO2) unter diesen, um ihre eigenen Emissionen zu senken. Ist diese CO2-Speicherung unter dem Meeresboden eine realistische Lösung? Ein Team europäischer Wissenschaftler hat nun Licht auf diese Frage geworfen. Da das Ziel, die Erderwärmung bis 2050 auf +2°C zu beschränken, in unerreichbare Ferne zu rücken scheint und die UN-Klimakonferenz bevorsteht, stehen die EU und ihre internationalen Partner unter vermehrtem Druck. Alle passenden Lösungen, um die CO2-Emissionen zu reduzieren, wurden betrachtet und die Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (carbon capture and storage, CCS) ist eine davon. Hierbei handelt es sich um Technologien, die verhindern, dass CO2 in die Atmosphäre gelangt, indem es in passenden geologischen Formationen im Untergrund gespeichert wird. In ihrer jüngsten Mitteilung für eine Energieunion erkennt die Europäische Kommission den Bedarf an einer verstärkten Unterstützung der CSS an. Die Technologie hat sich bisher nicht so entwickelt wie erwartet, was vor allem auf die hohen Investitionskosten und die geringen Anreize in Folge der niedrigen Erdölpreise zurückzuführen ist. Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt der CCS, der mögliche Investoren und Entscheidungsträger im Dunkeln tappen lässt: die Frage der Leckagen, insbesondere an empfindlichen Speicherorten wie den Meeresböden. In den letzten vier Jahren hat eine europäische Wissenschaftlergruppe die existieren CCS-Anlagen in der Nord- und Barentssee überwacht, um die Wahrscheinlichkeit eines Leckagenszenarios und seine Auswirkungen auf die lokalen Ökosysteme zu bestimmen. Die Wissenschaftler von ECO2 (Sub-seabed CO2 Storage: Impact on Marine Ecosystems) stellten mögliche Wege für eine CO2-Leckage fest, überwachten Versickerungsstellen, verfolgten die Verbreitung von CO2 im Wasser am Meeresgrund und studierten die Reaktionen der am Meeresboden lebenden Tier- und Pflanzenwelt auf CO2. Anfang Mai stellte das Projekt diese Beobachtungen in einem Leitfaden für die Auswahl und Überwachung von Speicherstätten zusammen und legte diesen der Europäischen Union vor. Klaus Wallmann, Koordinator von ECO2, erörtert die Projektergebnisse und die Pläne des Teams in Bezug auf weitere Forschungen in diesem Bereich. Wieso forschen Sie in diesem Bereich? In Europa wird der größte Anteil des in Kraftwerken abgeschiedenen CO2 unter dem Meeresboden eingelagert. Daher ist es wichtig zu verstehen, ob CO2 in den Speicherformationen unter dem Meeresboden bleiben wird oder entweicht und damit dem Ökosystem am Meeresgrund schaden wird. Was ist ihrer Meinung nach der innovativste Aspekt des Projekts in dieser Hinsicht? Das wichtigste neue Element des ECO2-Ansatzes ist der „Leckagen-Neigungsfaktor“ (Propensity to Leak Factor), der durch eine Kombination einer kompakten Beschreibung des Speicherkomplexes und heuristischer Techniken entwickelt wurde, die eine große Anzahl an Parameterunsicherheiten unterbringen. Da es mit der derzeit verfügbaren Modellierungssoftware nicht möglich ist, alle relevanten geologischen Merkmale, Prozesse und Ereignisse zu simulieren, haben wir einen Weg gefunden, um realistisch einzuschätzen, wie wahrscheinlich eine Leckage an einer bestimmten CCS-Anlage sein könnte. Wo haben Sie ihre Forschungen durchgeführt und aus welchem Grund? Wir haben echte Speicherstätten in der Nord- und Barentssee vor Norwegen untersucht, wo Millionen Tonnen CO2 vom Erdgas abgeschieden wurden und seit vielen Jahren in geologischen Formationen unter dem Meeresboden gelagert werden. Wie sind Sie vorgegangen, um Leckagen an diesen Standorten zu ermitteln? Um Leckage zu entdecken, wurde in diesem Projekt eine breite Palette von seetauglichen Instrumenten eingesetzt. Diese Instrumente wurden von Forschungsschiffen aber auch von ferngesteuerten Fahrzeugen aus eingesetzt. Zu den vom Projekt verwendeten Spitzentechnologien gehören seismische P-Kabel-3-D-Instrumente zur hochauflösenden Bildgebung des Fluidstroms, der durch das Deckgestein über der Lagerungsformation dringt, hydroakkustische Methoden, um aus dem Meeresboden aufsteigende Gasblasen zu entdecken, sowie chemische Sensoren, um die Werte des im Meerwasser gelösten CO2 zu messen. Haben Sie möglichen Raum für Verbesserungen bei den Einlagerungsverfahren und -technologien festgestellt? Ja, wir haben einen Leitfaden für bewährte Umweltpraktiken erstellt, der unter http://oceanrep.geomar.de/28739/ heruntergeladen werden kann. Dort beschreiben wir, wie Speicherstätten unter dem Meeresboden ausgewählt und überwacht werden sollen. Bei der Auswahl der Stätten empfehlen wir, geologische Strukturen, die als Leiter für Formationswasser und Gasfreisetzung dienen könnten, geologische Formationen, die toxische Verbindungen enthalten, sowie hydrografisch niedrigenergetische Umgebungen mit schleppenden Strömungen und stark geschichteter Wassersäule zu vermeiden. Die Lagerstätten sollten auch in großer Entfernung zu wertvollen natürlichen Ressourcen oder Bereichen liegen, in denen Flora und Fauna bereits an ihrer CO2-Toleranzgrenze leben. Der Leitfaden betont auch, dass Deckgestein, Meeresgrund und Wassersäule mithilfe von seismischen 3-D-Techniken, hochauflösender Bathymetrie oder Rückstreu-Mapping des Meeresbodens, hydroakkustischer Bildgebung von Gasansammlungen und -auslässen, Video- und Fotoaufnahmen sowie chemischer Detektion des gelösten CO2 in Umgebungstiefenwasser überwacht werden sollen. Die meisten dieser Technologien sind entweder bereits verfügbar oder werden bald zum Stand der Technik gehören. ECO2 konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Leckagefolgen für Meeresökosysteme. Was sind ihre Schlussfolgerungen? Wir haben gelernt, dass im Falle einer Leckage die Auswirkungen auf das Meeresökosystem auf die direkte Umgebung des Lecks beschränkt sein werden. In diesem kleinen Bereich würden empfindliche Organismen sterben und durch andere, widerstandsfähigere Organismen ersetzt werden. Im seitlichen Abstand von mehr als 100 Metern vom Leck entfernt wären die Auswirkungen gering und kaum wahrnehmbar, da das ausgetretene CO2 sehr schnell durch die Bodenströmungen verdünnt wird. Würden Sie auf der Grundlage der Projektergebnisse sagen, dass die CO2-Lagerung unter dem Meeresboden eine realisierbare Technik ist? Ja, denn wir konnten keine Anzeichen für Leckagen an den Lagerstätten finden, die derzeit betrieben werden. Es ist möglich, dass Leckagen auftreten werden, wenn Hunderte neuer Speicherstätten geöffnet und betrieben werden sollten. Doch nur ein geringer Anteil des gespeicherten CO2 würde austreten und die Auswirkungen auf die Meeresumwelt wären weiterhin gering und lokal. Das Projekt ist jetzt beendet. Welche Pläne haben Sie? Es ist immer noch sehr viel zu tun: Wir müssen besser verstehen, wie die Leckage-Raten durch die geologischen Strukturen und physikalischen Prozesse im Deckgestein gesteuert werden. Außerdem sollten die Überwachungstechniken weiter verbessert werden, damit sie empfindlicher und die Betriebskosten gesenkt werden. Weitere Informationen finden Sie unter: ECO2 http://www.eco2-project.eu/
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